«Jeden kann es treffen» - Schuldnerberatung hilft in Corona-Zeiten Von Demy Becker, dpa

In der Pandemie müssen viele Menschen finanzielle Verluste verkraften
- manchmal so gravierend, dass auch Reserven aufgebraucht sind.
Berater können Wege aus der Krise zeigen - die Suche nach Hilfe nimmt
zu.

Hannover (dpa/lni) - Der Kontostand im Minus und kein Ende der roten
Zahlen in Sicht - wer bei Thomas Bode im Büro sitzt, steckt meist in
einer Krise und sucht Hilfe. Der Leiter der Schuldnerberatung der
Arbeiterwohlfahrt (AWO) Göttingen ist seit 15 Jahren in dem Job. Die
Anträge auf seinem Schreibtisch zeigen Schicksale von Menschen, die
infolge der Pandemie vieles verloren haben. Das war nicht immer so.

«Es hat gedauert, aber jetzt kann man die Auswirkungen der Pandemie
bei unseren Ratsuchenden erkennen», sagt Bode. Seit April des
vergangenen Jahres habe sich die Nachfrage «drastisch» verändert:
«Manche Kollegen sprechen von einem regelrechten Run.»

Schuldnerberatungen landesweit berichten von erhöhter Nachfrage. Beim
Paritätischen Wohlfahrtsverband in Oldenburg-Ammerland heißt es, im
vergangenen Jahr sei die Nachfrage um etwa 30 Prozent höher gewesen
als 2020. Nach Angaben der Diakonie Niedersachsen haben auch die 54
sozialen Schuldnerberatungsstellen in diakonischer Trägerschaft mehr
Beratungsbedarf registriert. Besonders Menschen, die durch lange
Kurzarbeit oder den Wegfall von geringfügigen Jobs in eine
finanzielle Schieflage geraten seien, seien betroffen.

«Durch die Pandemie mussten plötzlich Menschen die Hilfe der sozialen
Schuldnerberatungsstellen in Anspruch nehmen, für die dies vor der
Pandemie überhaupt kein Thema war», sagt der Sprecher der Diakonie
Niedersachsen, Sven Quittkat. Viele Menschen kämen erst lange nach
einer Überschuldung. Deshalb sei mit steigender Nachfrage zu rechnen.

Die Wirtschaftsauskunftei Crifbürgel etwa war im vergangenen Oktober
davon ausgegangen, dass die Zahl der Privatinsolvenzen in Deutschland
2021 auf bis zu 120 000 klettert - was erstmals seit zehn Jahren
wieder ein Anstieg sei. Das niedersächsische Justizministerium
verweist auf die Entwicklung von Anträgen auf Verbraucher- und
Kleininsolvenzverfahren: Während 2020 etwa 7500 Anträge gestellt
wurden, waren es im vergangenen Jahr über 11 100.

Den starken Anstieg im Vergleich zu 2020 führen Experten auch darauf
zurück, dass viele Betroffene eine Gesetzesreform abgewartet hätten.
Die Reform des Verbraucherinsolvenzrechts ermöglicht Privatpersonen
eine schnellere Restschuldbefreiung. Seit Jahresbeginn 2021 war es
deshalb zu einem Run auf Amtsgerichte gekommen. Experten verwiesen
aber auch darauf, dass sich seit Mitte vergangenen Jahres zunehmend
die Folgen der Corona-Pandemie bemerkbar machten.

Grundsätzlich gebe es verschiedene Wege, mit Schulden umzugehen, so
Berater Bode: Mit den Schulden zu leben, Vergleiche zu vereinbaren
oder Insolvenzverfahren zu starten. Etwa 20 bis 30 Prozent der
Ratsuchenden wählten den Weg der Privatinsolvenz: «Das ist normal.»

Doch nicht nur die Pandemie selbst ist oft ein Auslöser höherer
Verschuldung. Vor allem weil sie arbeitslos, erkrankt oder suchtkrank
waren oder einen Unfall hatten, haben Menschen nach Angaben des
niedersächsischen Statistikamts im Jahr 2020 Beratung gesucht.
Trennung, Scheidung oder Tod des Partners seien weitere Gründe.

«In unserer Gesellschaft hat so viel mit Geld zu tun. Und alles, was
mit Geld zu tun hat, kann ein potenzielles Anliegen unserer
Ratsuchenden sein», sagt Bode. Kontopfändungen, Mietschulden oder
Schulden bei Krankenkasse machten einen Großteil der Beratung aus.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung (BAG-SB) rät
Betroffenen, sich schnell Hilfe zu suchen. «Denn die
Schuldnerberatung hilft ja nicht nur bei der Eröffnung einer
Insolvenz, sondern in der Regel umso besser, je früher die Beratung
in Anspruch genommen wird», sagt Ines Moers von der BAG-SB. Gerade
wenn es nichts koste, sollte man ihr zufolge die Angebote nutzen.

Es hängt derzeit laut Bode von Kommunen, Bundesland und anbietenden
Organisationen ab, ob soziale Schuldnerberatung kostenlos sei. Bode
fordert, dass jeder ein Recht auf kostenlose Schuldnerberatung haben
sollte. «Gerade die Pandemie hat gezeigt: Jeden kann es treffen. Aber
nicht jeder hat Zugang zu Beratung», sagt der 45-Jährige.

Rund 84 000 Personen nahmen im Jahr 2020 nach Angaben des
Statistischen Landesamts eine Schuldnerberatung in Anspruch. Knapp
die Hälfte der Ratsuchenden war arbeitslos. Landesweit gab es
insgesamt 264 Schuldnerberatungsstellen, hinzu kamen weitere
Möglichkeiten wie die Beratung bei Anwälten. Die Gesamtzahlen für
2021 liegen in Niedersachsen noch nicht vor.