Steinmeier mahnt: «Impfpflicht bedeutet Debattenpflicht»

Es geht um ein besonderes Instrument für den Kampf gegen die
Pandemie: Soll eine Impfpflicht kommen - und wenn ja, wie und auf
welchem Weg? Unter dem Druck steigender Infektionszahlen ist das
weiter strittig.

Berlin (dpa) - Im Ringen um eine allgemeine Corona-Impfpflicht hat
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eine sorgfältige Diskussion
angemahnt. «Eine solch außerordentliche Maßnahme stellt unseren Staat

auch in eine außerordentliche Pflicht vor seinen Bürgerinnen und
Bürgern. Kurz gesagt: Impfpflicht bedeutet Debattenpflicht», sagte
das Staatsoberhaupt am Mittwoch in Berlin. Über den Zeitplan und das
Vorgehen bei den Beratungen im Bundestag gibt es weiter Streit. Für
die Impfungen bis Anfang Februar stehen zusätzliche Impfdosen bereit.
Die Zahl der neuen Infektionen schnellte auf einen Höchstwert empor.

Kanzler Olaf Scholz hofft auf eine zügige Beratung im Bundestag über
eine Impfpflicht. «Ich jedenfalls halte sie für notwendig und werde
mich aktiv dafür einsetzen», sagte der SPD-Politiker am Mittwoch in
seiner ersten Regierungsbefragung. Sich nicht impfen zu lassen sei
keine persönliche Entscheidung, sondern habe Konsequenzen für das
ganze Land. Zuletzt hätten Kliniken Operationen absagen müssen, um
Platz für Corona-Patienten zu machen. «Es gibt keine Entscheidung,
die man nur für sich alleine trifft, und deshalb ist die Impfpflicht
auch wichtig.»

Die Koalition aus SPD, FDP und Grünen plant eine freie Abstimmung
ohne Fraktionsvorgaben über eine Impfpflicht. Grünen-Fraktionschefin
Britta Haßelmann sagte am Mittwoch im ZDF: «Wir sind in Gesprächen
mit anderen Abgeordneten anderer Fraktionen, um inhaltliche Eckpunkte
festzulegen.» Nach einer «Orientierungsdebatte» im Bundestag in der
Woche ab dem 24. Januar rechne sie damit, dass das Parlament «sehr
schnell mit mehreren Gruppenanträgen konfrontiert sein wird».

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hat für Ende Januar einen konkreten
Vorschlag aus der SPD angekündigt. Dieser solle Grundlage für einen
Gruppenantrag zusammen mit Parlamentariern anderer Fraktionen sein.
Kanzler Scholz hatte als Ziel die Einführung einer Impfpflicht bis
Anfang Februar oder Anfang März genannt, die SPD als Zeitrahmen einen
Beschluss «im ersten Quartal». Die oppositionelle Union fordert
dagegen einen eigenen Gesetzentwurf der Regierung.

Mit der Verbreitung der Omikron-Variante überschritt die Zahl der an
einem Tag erfassten neuen Fälle laut Robert Koch-Institut (RKI)
erstmals die Schwelle von 80 000. Die Gesundheitsämter meldeten jetzt
80 430 Fälle. Vor einer Woche waren es 58 912 gewesen, wobei es zum
Jahreswechsel Lücken bei Tests und Meldungen gegeben hatte. Die
Sieben-Tage-Inzidenz gab das RKI nun mit 407,5 an. Am Vortag hatte
die Zahl der Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner in sieben Tagen bei
387,9 gelegen. Der Höchstwert wurde Ende November mit 452,4 erreicht.

FDP-Fraktionschef Christian Dürr schlug vor, eine «Impfpflicht auf
Probe» zu prüfen. «Die Impfpflicht könnte nur befristet eingeführ
t
werden, zum Beispiel für ein Jahr», sagte er der «Rheinischen Post»

(Mittwoch). Er habe sich aber noch nicht festgelegt.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach sich grundsätzlich
für eine Pflicht aus. «Da leider alles Werben und Bitten nicht zu
einer ausreichend hohen Impfquote geführt hat, brauchen wir jetzt die
Impfnachweispflicht», sagte sie der Wochenzeitung «Die Zeit». Im
juristischen Sinn gehe es dabei nicht um einen Impfzwang: «Niemand
wird zwangsweise geimpft werden.» Es werde aber «irgendeine Form von
Sanktion geben müssen, vielleicht Bußgelder.»

Bei den Impfungen haben laut RKI mittlerweile mindestens 60 Millionen
Menschen oder 72,2 Prozent der Gesamtbevölkerung den vollständigen
Grundschutz mit der dafür meist nötigen zweiten Spritze bekommen.
Zusätzlich eine Auffrischungsimpfung erhielten inzwischen mindestens
rund 36,8 Millionen Geimpfte oder 44,2 Prozent aller Einwohner. Am
Dienstag wurden rund 714 000 Impfdosen gespritzt.

Für die angestrebte Beschleunigung der Impfungen hat der Bund weitere
fünf Millionen Dosen von Biontech organisiert. Sie sollen ab der
Woche vom 24. Januar zur Verfügung stehen, wie es aus dem
Gesundheitsministerium hieß. Gekauft werden die Dosen aus einem
EU-Kontingent Rumäniens, das sie nicht benötigt. Insgesamt sollen
damit in den drei Wochen vom 17. Januar, 24. Januar und 31. Januar
rund 32 Millionen Dosen zur Verfügung stehen - zwölf Millionen von
Biontech und 20 Millionen von Moderna.

Das Kabinett brachte am Mittwoch den Rechtsrahmen für die geplanten
neuen Corona-Quarantäneregeln auf den Weg. Damit solle künftig
gelten: «Wer geboostert ist, muss selbst als Kontaktperson bei einer
Infektion nicht mehr in Quarantäne», sagte Gesundheitsminister Karl
Lauterbach (SPD). Dies gelte auch für die Omikron-Variante. Damit
machten Booster-Impfungen gleich doppelt Sinn: «Es macht den Alltag
leichter. Und es schützt vor Infektion oder schwerer Erkrankung.»

Bund und Länder hatten die Neuregelungen in der vergangenen Woche
grundsätzlich vereinbart. Eine entsprechende Verordnung, die das
Kabinett jetzt beschlossen hat, soll festlegen, welche generellen
Ausnahmen es von einer Quarantäne als Kontaktperson von Infizierten
und von einer Isolation als selbst Infizierter geben kann, wenn man
geimpft oder genesen ist. Die Verordnung soll an diesem Donnerstag in
den Bundestag kommen, am Freitag soll sich der Bundesrat abschließend
damit befassen. In Kraft treten soll sie voraussichtlich am Samstag.
Letztlich umgesetzt werden die Regeln dann von den Ländern.