IG Metall: Corona und neue Arbeitswelt als Wahlkampf-Kernthemen

Auch in Niedersachsen beunruhigen «Montagsspaziergänge» und Proteste

von Gegnern der Corona-Maßnahmen Politik und Sicherheitsbehörden.
Kann die brenzlige Lage im Landtagswahlkampf ernsthaft diskutiert und
zugleich entspannt werden? Die IG Metall sieht viel Gesprächsbedarf.

Hannover (dpa/lni) - Die Polarisierung in der Pandemie, der
tiefgreifende Wandel der Arbeitswelt und der immer schwerwiegendere
Mangel an Fachkräften dürften nach Einschätzung der IG Metall den
Landtagswahlkampf in Niedersachsen bestimmen. Bezirksleiter Thorsten
Gröger sagte der Deutschen Presse-Agentur in Hannover, diese Punkte
müssten Parteien und gesellschaftliche Gruppen bis zu der am 9.
Oktober geplanten Abstimmung besonders intensiv diskutieren.

Deutschlands größte Gewerkschaft zeigt sich wegen der Protestaktionen
von Gegnern der Impfkampagne und Corona-Regeln besorgt. «An einigen
Stellen scheint die Radikalität zugenommen zu haben», meinte Gröger.

«Beleidigungen, Beschimpfungen und Androhungen von Gewalt spielen
zumindest in der Berichterstattung eine größere Rolle. Man muss
eindeutige Grenzen ziehen, was akzeptiert und nicht akzeptiert werden
kann. Vergleiche unseres politischen Systems mit Diktaturen oder gar
der NS-Zeit sind absurd und relativieren die damaligen Verbrechen.»

Gleichzeitig müsse klar sein, «dass es in der Demokratie natürlich
möglich und notwendig ist, auch Kritik zu äußern», betonte der
Gewerkschafter. Regierungen und Parlamenten komme eine besondere
Verantwortung zu. «Die Politik muss aufpassen, dass Schutzmaßnahmen
nachvollziehbar sind und so wenige Widersprüche wie möglich
auftreten. Die Menschen müssen das Gefühl haben, dass die Maßnahmen
immer im Sinne der Zielsetzung helfen, die Pandemie zu beenden.»

Im Dezember hatten Gröger und VW-Betriebsratschefin Daniela Cavallo
vor einem weiter angeheizten Klima etwa bei «Montagsspaziergängen» in

Wolfsburg, Braunschweig und anderen niedersächsischen Städten
gewarnt. Anlass war auch ein offener Brief, in dem der Gewerkschaft
vorgeworfen wurde, sich ihrerseits an einer Spaltung zu beteiligen.
Unter anderem hieß es, sie wende sich nicht entschieden genug gegen
die Einschränkung von Freiheits- und Persönlichkeitsrechten.

Jenseits des beherrschenden Corona-Themas sei die Zukunft der Arbeit
eine dominierende Frage, sagte Gröger zum bevorstehenden Wahlkampf im
Land: «Der industrielle Wandel ist eine Mega-Herausforderung gerade
für die spezielle Wirtschaftsstruktur, die wir in Niedersachsen
haben. Wie bekommt man es hin, dass möglichst viele Unternehmen und
Beschäftigte für die Arbeitswelt von morgen vorbereitet werden?»

In dieser Debatte dürfe es nicht nur darum gehen, ob ausreichend
Mittel für die Aus- und Weiterbildung im Automobil- und Maschinenbau,
für staatliche Investitionen oder für neue öffentliche Aufträge
bereitstehen. «Selbst wenn man die Schuldenbremse einhalten will,
wozu staatliche Fondsmodelle eine wichtige Ergänzung sein könnten:
Man muss sich auch Gedanken darüber machen, wie die Programme genau
umgesetzt und die Mittel zur Verfügung gestellt werden sollen.»

Geld an sich helfe nur begrenzt, sagte der IG-Metall-Regionalchef.
Daneben müssten Jobs mit aktuellem oder absehbarem Personalmangel
attraktiver werden: «Wie bekommt man genügend qualifizierte Menschen,
die den Wandel umsetzen?» Das gelte derzeit besonders im Handwerk -
aber nicht nur dort. «Es geht nicht allein um einen Fachkräftemangel,
sondern um eine Fachkräftesicherung, die den künftigen Bedarf
vorausschauend abschätzt. Und wir müssen gute Arbeitsbedingungen
sicherstellen, auch über mehr Tarifbindung und Mitbestimmung.»