Nach Laumanns Nein: Gericht entscheidet über Lohn-Entschädigung

Viele Arbeiter in der Fleischindustrie durften wegen Corona
vorübergehend nicht arbeiten. Laut Infektionsschutzgesetz steht ihnen
dann eine Entschädigung zu. Das Land sieht jedoch die Arbeitgeber am
Zug - es hagelte Klagen. Jetzt müssen Gerichte entscheiden.

Minden (dpa/lnw) - Das Infektionsschutzgesetz, kurz IfSG, ist auf den
ersten Blick deutlich: Wer als Träger von Krankheitserregern oder als
Verdachtsperson nicht arbeiten darf und sich zum Schutz der
Belegschaft absondern muss, hat Anrecht auf einen finanzielle
Entschädigung. Ausnahmen für bestimmte Branchen gibt es nicht. Das
Land Nordrhein-Westfalen hat die Landschaftsverbände aber
ausdrücklich angewiesen, die Anträge auf Entschädigung in der
Fleischindustrie abzulehnen. Nach der Schließung mehrerer Betriebe im
Laufe des Jahres 2020 sind an den Verwaltungsgerichten in Minden und
Münster mehrere 1000 Klagen eingegangen. Am 26. Januar werden jetzt
erste Fälle am Verwaltungsgericht in Minden entschieden.

Arbeits- und Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) hatte nach
dem Corona-Ausbruch bei Marktführer Tönnies in Rheda-Wiedenbrück im
Frühjahr 2020 den Firmenchef an sein eigenes Versprechen erinnert.
«Herr Tönnies hat öffentlich angekündigt, Kosten, die der
Allgemeinheit durch den Corona-Ausbruch in seinem Betrieb entstehen,
vollumfänglich zu ersetzen. Mich wundert, dass er noch keine Einigung
mit seinen Subunternehmern hierzu erzielt hat. Mein Ministerium hat
in jedem Fall klargestellt, dass nicht die öffentliche Hand für die
Kosten aufkommen wird», sagte der zuständige Minister im Dezember
2020 zu dem Vorgang.

Bisher zahlen Arbeitgeber im Quarantänefall den Lohn fort und können
sich den Betrag dann von den kommunalen Landschaftsverbänden
erstatten lassen. Nach Ministeriumsangaben wurden in NRW bislang rund
238 Millionen Euro für eine Entschädigung des Verdienstausfalls in
Zusammenhang mit einer behördlich angeordneten Quarantäne ausgegeben
(Stand Anfang Januar 2022).

Nur eben nicht in Teilen der Fleischindustrie. Hier wirft Laumann den
Unternehmen, darunter auch ehemaligen Subunternehmen von Tönnies,
Schutzpflichtverletzungen im Zusammenhang mit den eigenen
Mitarbeitern vor. In der Folge sei es zu Infektionen mit dem
Coronavirus gekommen. Die Regelung aus dem Infektionsschutzgesetz
greife daher nicht. Das Ministerium stützt sich bei dieser Sichtweise
auf ein eingeholtes Rechtsgutachten.

Das Unternehmen Tönnies zeigt sich bei dem Vorwurf der
Schutzpflichtverletzung ratlos. Man wisse nicht, welche das sein
sollen. Deutschlands größter Schlachtbetrieb verweist auf die Studie
unabhängiger Wissenschaftler, die festgestellt hatten, dass Tönnies
keine Schuld treffe. Eine Untersuchung hatte ergeben, dass das Virus
über sehr kalte, umgewälzte Atemluft der Arbeiter in der Produktion
in Form von Aerosolen übertragen worden war. Dieser Übertragungsweg
gilt heute in der Corona-Pandemie als Standard - auch außerhalb der
Schlachthöfe.

Im Frühjahr 2020 hatten sich über 1000 Mitarbeiter von Tönnies mit
dem Coronavirus infiziert. Der Betrieb wurde vorübergehend
stillgelegt. Tönnies und andere Betriebe mussten daraufhin die
Lüftung mit Filtern umbauen und für einen größeren Austausch mit
Frischluft sorgen.

Die Verwaltungsgerichte Minden und Münster sind zuständig, weil die
Mitarbeiter in deren Einzugsgebiet ihre Wohnsitze haben. In Münster
sind nach Angaben eines Sprechers über 3000 Verfahren anhängig. Erste
mündliche Verhandlungen soll es hier frühestens Ende März oder Anfang

April geben. In Minden wird jetzt stellvertretend über erste
ausgewählte Streitfälle verhandelt. Äußern will sich Tönnies nach

Auskunft eines Sprechers im Vorfeld nicht, weil das Unternehmen nicht
beteiligt sei.

Der Großteil der Klagen wird währenddessen ruhend gestellt, wie die
Juristen sagen. Hier wird abgewartet, wie die Gerichte im weiteren
Rechtsstreit entscheiden. Nach den Verwaltungsgerichten in der ersten
Instanz wäre das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster an der
Reihe, dann das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig.

Die Bundesregierung hat zum Jahreswechsel 2020/2021 den Einsatz von
Werkarbeitern im Kerngeschäft der Schlachthöfe im Bereich der
Schlachtung und Zerlegung verboten. Zuvor wurden Arbeiter zumeist aus
Osteuropa von zahlreichen Subunternehmen in den großen Betrieben
eingesetzt. Die jetzt anhängigen Klagen betreffen deshalb jetzt zum
Großteil die ehemaligen Subunternehmer.