SPD und Grüne dämpfen Erwartungen an schnelle Impfpflicht Von Stefan Heinemeyer und Bettina Grachtrup, dpa

Die Omikron-Welle rollt, eine allgemeine Impfpflicht wird sie nicht
stoppen können. Dennoch fordert die Union Tempo bei dem Vorhaben.
Ampelkoalitionäre haben es aber nicht ganz so eilig.

Berlin (dpa) - Die Debatte über eine allgemeine Impfpflicht im Kampf
gegen Corona in Deutschland könnte sich hinziehen. Unionspolitiker
forderten mehr Tempo - Politiker von SPD und Grünen dämpften am
Wochenende aber Erwartungen an einen raschen Beschluss des
Bundestages. Offen ist auch, ab wann eine Impfpflicht dann
tatsächlich gelten würde. SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese sagte dem
Berliner «Tagesspiegel»: «Die Beratungen im Bundestag sollten wir im

ersten Quartal zum Abschluss bringen.» Das sei ein anspruchsvoller
Zeitplan. Mit Blick auf mögliche Verzögerungen sagte er, die
Impfpflicht wirke ohnehin nicht kurzfristig, sondern sei
«perspektivisch eine Vorsorge für den kommenden Herbst und Winter».

Die Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, Britta Haßelmann,
betonte: «Das ist keine einfache Entscheidung, das bedeutet einen
tiefen Eingriff.» In den Fraktionen müsse zunächst diskutiert werden,

welche Vorstellungen es gebe. «Und dann können wir Ende Januar die
öffentliche Debatte im Bundestag darüber führen», sagte Haßelmann
den
Zeitungen der Funke Mediengruppe. Die Frage sei «so relevant und
weitgehend», dass es eine «fundierte und sehr sorgfältige Beratung»

brauche. Haßelmann selbst sprach sich für eine Impfpflicht aus.

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sagte hingegen der «Bild
am Sonntag»: «Der Bundestag sollte schnell entscheiden, ob eine
Impfpflicht eingeführt wird. Und wenn ja, für wen.» Die Abgeordneten

müssten sich aber auch die Zeit für eine sorgfältige Abwägung
nehmen. 

Über eine Impfpflicht soll der Bundestag ohne Fraktionsvorgaben
abstimmen. Eine schnelle Entscheidung wird es aber voraussichtlich
nicht geben. Im Gespräch ist zunächst eine «Orientierungsdebatte» i
m
Januar. Die SPD strebt nach bisherigen Angaben den Abschluss eines
Gesetzgebungsprozesses «im ersten Quartal» an, also bis Ende März.

Der Deutsche Städtetag setzt auf eine rasche Entscheidung. «Um die
Pandemie hinter uns zu lassen, müssen wir ganz überwiegend geimpft
sein, das schaffen wir vermutlich nur mit einer allgemeinen
Impfpflicht», sagte Städtetagspräsident Markus Lewe den
Funke-Zeitungen. «Die notwendige Debatte dazu muss der Bundestag
zügig führen und entscheiden. Dann würden wir besser gerüstet in di
e
fünfte Welle gehen.»

Der designierte CDU-Vorsitzende Friedrich Merz erwartet von der
Ampel-Koalition einen Zeitplan und konkrete Vorschläge zur
Impfpflicht. Die Bundesregierung müsse sagen, «was sie eigentlich
gerne möchte, und dass sie das auch dem Bundestag vorträgt. Wenn das
Zeit braucht, dann bestätigt das meine persönliche Annahme, dass die
Sache offensichtlich komplizierter ist als einfach mal so gesagt»,
sagte Merz am Samstag in Düsseldorf. Bayerns Gesundheitsminister
Klaus Holetschek (CSU) forderte ebenfalls eine schnelle Entscheidung
über eine Impfpflicht. «Wir müssen diese Diskussion endlich konkret
und vor allem zielorientiert führen und dürfen keine Zeit mehr
verlieren», sagte er der «Augsburger Allgemeinen» (Montag).

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) unterstrich die Bedeutung
einer hohen Impfquote im Kampf gegen die Pandemie. Eine Impfpflicht
sei «auch für weitere Varianten wichtig, die sich noch entwickeln
können», sagte er der «Welt am Sonntag». Nach eigenen Angaben
arbeitet der SPD-Politiker derzeit «als Abgeordneter» an einem
Vorschlag für eine allgemeine Impfpflicht für Über-18-Jährige.

Eine Mehrheit der Bürger spricht sich einer Umfrage des
Meinungsforschungsinstituts Insa zufolge für eine allgemeine
Impfpflicht aus. In der Umfrage für die «Bild am Sonntag»
befürworteten 61 Prozent eine solche Impfpflicht, 32 Prozent sind
dagegen, 7 Prozent machten keine Angabe.

Die Frage einer allgemeinen Impfpflicht war auch Thema der
Bund-Länder-Beratungen am Freitag. «Alle 16 Regierungschefinnen und
Regierungschefs der Länder haben sich dazu bekannt, dass sie für eine
allgemeine Impfpflicht sind», hatte Kanzler Scholz im Anschluss
gesagt. Die Runde hatte auch neue Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung
beschlossen - unter anderem eine flächendeckende 2G-plus-Regelung in
der Gastronomie und geänderte Quarantänebestimmungen.

Das Robert Koch-Institut (RKI) meldete am Sonntag erneut einen
Anstieg der bundesweiten Sieben-Tage-Inzidenz. Es gab den Wert der
Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner und Woche mit 362,7 an. Am
Vortag hatte der Wert bei 335,9 gelegen. Vor einer Woche lag die
bundesweite Inzidenz bei 222,7 (Vormonat: 390,9). An diesem Montag
beginnen in den letzten acht Bundesländern nach den Weihnachtsferien
wieder die Schulen, darunter in den drei bevölkerungsreichsten
Ländern Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg.

Der Ärzteverband Marburger Bund befürchtet unterdessen, dass sich
viele Menschen unbemerkt mit der Omikron-Virusvariante infizieren.
«Es besteht die Gefahr, dass viele Menschen ihre Corona-Infektion gar
nicht als solche wahrnehmen und lediglich von einer Erkältung
ausgehen», warnte die Verbandsvorsitzende Susanne Johna im
Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Sonntag). Sie riet, auch bei ganz
leichten Symptomen einen Antigen-Schnelltest zu machen.

Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt appellierte an
die Menschen, sich wegen der rasant ausbreitenden Omikron-Variante
umgehend impfen oder eine Auffrischungsimpfung geben zu lassen. Wer
noch nicht erst- und zweitgeimpft sowie geboostert sei, sollte dies
dringend nachholen, sagte Reinhardt der «Rheinischen Post» (Sonntag).
«Zwar schützt auch die Booster-Impfung nicht verlässlich vor einer
Corona-Infektion, sehr wahrscheinlich bleibt einem aber ein schwerer
Krankheitsverlauf mit Krankenhausaufenthalt oder sogar
intensivmedizinischer Behandlung erspart», machte Reinhardt deutlich.