Weltweit erster Prozess um Staatsfolter in Syrien auf der Zielgeraden Von Jens Albes, dpa

Ein international beachteter Prozess neigt sich dem Ende zu. In
Koblenz geht es um Folter des syrischen Staates, das Urteil wird bald
erwartet. Kurz darauf soll in Frankfurt ein neuer Prozess starten -
gegen einen mutmaßlichen syrischen Folterarzt.

Koblenz/Frankfurt/Main (dpa) - Der Kontrast am Oberlandesgericht
(OLG) Koblenz könnte kaum größer sein: In der Nähe fließt beschau
lich
der Rhein, und im Gerichtssaal mit der hellen Holzvertäfelung geht es
um schier unvorstellbare Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Der
laut Bundesanwaltschaft weltweit erste Strafprozess um Staatsfolter
in Syrien ist auf der Zielgeraden. An diesem Donnerstag (6. Januar)
wird das Plädoyer der Verteidigung des Angeklagten Anwar R. erwartet
- und voraussichtlich am 108. Verhandlungstag am 13. Januar das
Urteil.

Der ehemalige Oberst soll 2011 und 2012 in einem Gefängnis des
Allgemeinen Geheimdienstes in der syrischen Hauptstadt Damaskus als
Vernehmungschef für die grausame Folter von mindestens 4000 Menschen
verantwortlich gewesen sein. Mindestens 30 Gefangene sind
währenddessen laut Bundesanwaltschaft gestorben.

Der Prozess vor dem Staatsschutzsenat hat gut ein Jahrzehnt nach dem
Ausbruch des syrischen Bürgerkrieges historische Dimensionen. Das
Weltrechtsprinzip im Völkerstrafrecht erlaubt es, auch in Deutschland
mögliche Kriegsverbrechen von Ausländern in anderen Staaten zu
verfolgen.

Bereits am 19. Januar soll vor dem OLG Frankfurt ein weiterer Prozess
starten - gegen einen mutmaßlichen syrischen Folterarzt. Der zuletzt
in Hessen als Mediziner tätige Mann hat laut Anklage 2011 und 2012 in
einem Militärkrankenhaus und einem Gefängnis des Militärischen
Geheimdienstes im syrischen Homs Menschen gefoltert. Zudem soll er
einen Gefangenen mit einer Injektion vorsätzlich getötet haben. Nach
Angaben des OLG Frankfurt sitzen in der neuen Hauptverhandlung für
den Fall des Ausfalls von Richtern auch gleich drei Ergänzungsrichter
- das ist ungewöhnlich und deutet auf eine erwartete lange Dauer hin.

Der Koblenzer Prozess hat im April 2020 begonnen. Hintergrund ist das
Handeln des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad: Er soll in seinem
Bürgerkriegsland für eine grausame Folter-Maschinerie verantwortlich
sein. Die Bundesanwaltschaft stützt sich in ihrer 104-seitigen
Anklage auf Zeugenaussagen zahlreicher geflohener Folteropfer.

Im Februar 2021 hat das OLG Koblenz bereits einen ersten Angeklagten,
Ex-Geheimagent Eyad A., zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Der
Syrer hatte nach Überzeugung der Richter 2011 dazu beigetragen, 30
Demonstranten des Arabischen Frühlings in das Foltergefängnis des
verbleibenden Hauptangeklagten Anwar R. zu bringen. Über die Revision
des 45-jährigen Eyad A. gegen sein Urteil ist noch nicht entschieden.

Anwar R. (58) hat beim Prozessauftakt erklärt: «Ich habe die mir
vorgeworfenen Taten nicht begangen.» Er habe insgeheim mit der
syrischen Opposition sympathisiert und sie nach der Flucht aus seiner
Heimat unterstützt - sogar auch mit der Teilnahme an der zweiten
Syrien-Friedenskonferenz 2014 in Genf. Die Flüchtlinge Anwar R. und
Eyad A. sind in Deutschland von mutmaßlichen Opfern erkannt und im
Februar 2019 in Berlin und Zweibrücken festgenommen worden.

Im Plädoyer der Bundesanwaltschaft gegen Ex-Oberst Anwar R. hat
Oberstaatsanwalt Jasper Klinge vor einem Monat betont, gerade in
Deutschland sei es aufgrund historischer Verantwortung wichtig,
Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht hinzunehmen. Das «sind wir
den Opfern schuldig», sagte er. Klinge hat lebenslange Haft
beantragt. Und die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld,
was eine Haftentlassung nach 15 Jahren nahezu ausschließt. Vor dem
Schlussvortrag der Verteidigung wohl am 6. Januar hat der Anwalt von
Anwar R., Michael Böcker, auf Anfrage keine Stellungnahme abgegeben.

In dem Prozess um Schläge und Tritte, an Handgelenken aufgehängte
Gefangene, Stromschläge, zu wenig Essen, fehlende Schlafplätze und
ständige Schreie von Folteropfern spielen sogenannte Caesar-Fotos
syrischer Todesopfer eine wichtige Rolle. Die Vorsitzende Richterin
Anne Kerber hat gesagt: «Diese Bilder werde ich nie vergessen.» Ein
geflohener einstiger syrischer Militärfotograf mit Decknamen Caesar
soll die Tausenden Fotos gemacht haben. Im Koblenzer Prozess hat ein
Sachverständiger eine Auswahl davon gezeigt und erläutert.

Der Anwalt Patrick Kroker von der Menschenrechtsorganisation European
Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), der neun
geflohene Folteropfer als Nebenkläger vertritt, sagt: «Das ist
weltweit das erste Mal, dass Caesar-Bilder als Beweismittel in einen
Prozess eingeführt werden.» Sie belegten unwiderlegbar die staatliche
Systematik, die in Syrien «nicht nur hinter der Folter, sondern auch
der Vernichtung von Menschenleben steht».

Der Jurist sagt, das erste Urteil in dem Koblenzer Prozess gegen Eyad
A. wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit sei weltweit beachtet
worden. Solche Entscheidungen seien wichtig für weitere Verfahren -
darauf könnten sich auch andere Gerichte im In- und Ausland berufen.

Den künftigen Prozess in Frankfurt gegen einen mutmaßlichen syrischen
Folterarzt bewertet Kroker als «eine Fortsetzung der Aufarbeitung
dieser Verbrechen». Das neue Verfahren nehme syrische
Militärkrankenhäuser und auch sexualisierte Gewalt in den Blick.