Nur noch Schwarzmalerei? EU-Verordnung bedroht bunte Tattoo-Farben Von Josefine Kaukemüller, dpa

Die Tätowier-Szene schaut mit Unsicherheit ins neue Jahr. Grund ist
eine EU-Verordnung, die künftig für weniger bunte Haut sorgen könnte.

Für das von Corona gebeutelte Berufsfeld ist es ein weiterer Schlag.

Hamburg/Brüssel (dpa) - Dutzende bunte Fläschchen, eine
Tattoo-Maschine und viel Fingerspitzengefühl - mit diesen Mitteln
erfüllt der Hamburger Tätowierer Sebastian Makowski Kundinnen und
Kunden ihre Tattoo-Wünsche. Allzu bunt dürften die aber bald nicht
mehr ausfallen: Ab Januar verbietet die EU nämlich viele
Inhaltsstoffe, die in diversen gängigen Tätowierfarben enthalten
sind. Auf das somit nahende Aus für viele Farben schaut Makowski, der
Geschäftsführer der «Ältesten Tätowierstube in Deutschland» auf
St.
Pauli ist, mit Sorge. «Corona mit den monatelangen Schließungen hat
uns schon arg gebeutelt. Dann kommt sowas obendrauf.» Groß ist die
Unsicherheit, mit welchen Farben er bald überhaupt arbeiten kann.

Vom 4. Januar 2022 an unterliegen viele Chemikalien in Tattoo-Farben
in der gesamten Europäischen Union den Beschränkungen durch die
sogenannte REACH-Verordnung. Auf der Bannliste stehen dann Tausende
Substanzen. Viele von ihnen sind aus Sicht der EU potenziell
gefährlich oder nicht ausreichend erforscht. 2020 wurde das Verbot
beschlossen, die Übergangszeit läuft nun aus. Das Ziel sei laut der
EU-Kommission nicht, Tätowierungen grundsätzlich zu verbieten. Die
Europäische Chemikalienagentur (ECHA) betont, es gehe darum,
«Tätowierfarben und Permanent-Make-up sicherer zu machen».

In einem Jahr kommen auf die Tattoo-Branche weitere Einschränkungen
zu. Ab 2023 will die EU zusätzlich auch noch bestimmte blaue und
grüne Farbpigmente untersagen. Der Grund: Ihre Sicherheit sei nicht
nachgewiesen, laut ECHA stehen die Pigmente im Verdacht,
krebserregend zu sein. Die meisten bisher genutzten Tattoo-Farben
sind demnach in der aktuellen Zusammensetzung bald verboten - vor
allem die bunten. Auf dem deutschen Markt verfügbare Farben
entsprechend der EU-Verordnung sind bislang nur Schwarz, Grau, Weiß.

Sebastian Makowski rechnet damit, dass deshalb ein Drittel seiner
Kundschaft bald wegbleiben könnte. Bei seinen Kolleginnen und
Kollegen im Laden erwarte er stärkere Einbrüche, weil sie deutlich
mehr mit bunten Farben arbeiteten als er. «Das kommt ja zumindest
teilweise einem Berufsverbot gleich. Das ist einfach frustrierend»,
sagt er. «Man fühlt sich im Stich gelassen, besonders von der
Politik.» Er habe zwar großes Verständnis für hohe
Sicherheitsansprüche an die Farben, aber nicht für die stattfindende
Umsetzung der REACH-Verordnung und ihre Bedingungen.

Auch Daniel Rust, Vorstandsmitglied des Bundesverbands Tattoo,
bestätigt: «Die Stimmung in der Branche ist richtig schlecht.» Er
kritisiert eine Entmündigung der Kundschaft durch die Verordnung, die
der gesamten Branche schade. Vor jeder Tätowierung gebe es einen
mehrseitigen Aufklärungsbogen, die Menschen entschieden sich bewusst
für ihren neuen Körperschmuck. Zudem habe er nie schlechte
Erfahrungen mit den betreffenden Farben gemacht, betont er: «Ich bin
seit zwölf Jahren Tätowierer und natürlich hatte ich auch schon
Tattoos, die entzündet waren. Das hatte aber nicht in einem Fall mit
der Farbe zu tun, sondern immer mit mangelnder Hygiene bei der
Nachsorge.»

Christoph Liebich, Dermatologe und Inhaber der Hautarztpraxis
Dermazent in München, sieht das anders. Viele Tattoo-Farben, die
bislang auf dem Markt seien, seien nicht nachweislich unbedenklich.
«Viele sind nie in klinischen Studien überprüft worden. Das heißt,

Tattoo-Farbstoffe haben immer ein großes Risiko, eine Allergie
auszulösen, es besteht auch die Gefahr, dass Krebs entstehen kann»,
mahnt er. Den Schritt zum Verbot vieler enthaltener Substanzen findet
er «vollkommen richtig». Schließlich gebe es für Substanzen zum
Auftragen auf die Haut höchste Ansprüche - für Stoffe, die unter die

Haut gingen, müssten diese also erst recht gelten.

Ein Nischentrend sind Tätowierungen lange nicht mehr, einigen
Umfragen nach trägt etwa jede oder jeder Fünfte dauerhaften
Körperschmuck unter der Haut. Die neuen Auflagen verunsichern also
auch viele Tattoo-Fans. Viele hätten zum Jahresende noch dringlich
versucht, einen Termin zu bekommen, um ihre Farb-Tattoos
fertigstellen zu lassen, erzählt Makowski - oft vergebens.

Wolfgang Bäumler, Professor für experimentelle Dermatologie und
Tattoo-Experte am Universitätsklinikum Regensburg, sagt: «Ich gehe
davon aus, dass unter der neuen Verordnung im Januar unter
Tätowierern ein Stück weit das Chaos ausbricht.» Er weist darauf hin,

wie komplex der Anforderungskatalog für neue Tattoo-Farben sei und
wie schwierig demnach ihre Neuentwicklung. Die EU-Kommission verweist
auf ausreichend Vorlauf für Alternativen seit den Beschlüssen.

Das Verbot diverser in den Farben enthaltener Substanzen findet
Bäumler ebenfalls strittig. Er erklärt, wie komplex die
Zusammensetzung der Farben sei: Sie bestünden aus je rund 100
Substanzen, etwa Pigmenten und Konservierungsstoffen. Bei einigen
wisse man zwar, dass diese potenziell schädlich seien, bei vielen
aber nicht. Statt eines allgemeinen Verbotes brauche es eine viel
kleinteiligere Risikobewertung, fordert er.

Aber sind mit Jahresbeginn bunte Farbtattoos wirklich Geschichte?
Rust vom Bundesverband geht vorerst nicht vom pauschalen Ende des
farbenfrohen Körperschmucks aus - nach einer gewissen Durststrecke
sei eine Palette neuer, regelkonformer bunter Farben zu erwarten, die
Hersteller kurzfristig auf den Markt brächten, schätzt er.
Dramatischer werde es 2023 mit dem Verbot der Grün- und Blaupigmente.
«Da gibt es noch nicht so richtige Alternativen. Aber wir haben noch
ein bisschen Luft.» Dennoch - Sebastian Makowski auf St. Pauli sieht
für die Branche durch die Auflagen im wahrsten Sinne des Wortes eher
schwarz. «Die Zukunftsängste werden nicht weniger», sagt er.