Forschungsreaktor soll ohne neuen Brennstoff ans Netz - Kritik Von Sabine Dobel, dpa

Noch steht der Garchinger Forschungsreaktor still - auch, weil zu
viel radioaktives C-14 ausgetreten war. Nun wird das Wiederanfahren
vorbereitet. Aus Sicht von Atomgegnern dürfte das nicht sein. Denn
der FRM II läuft weiter mit hochangereichertem Uran.

Garching (dpa/lby) - Der Forschungsreaktor FRM II in Garching bei
München soll nach fast zwei Jahren Stillstand im nächsten Jahr wieder
anfahren. Geplant sei ein Zeitpunkt Anfang 2022, in jedem Fall aber
erst nach den Weihnachtsferien, sagte eine Sprecherin der Anlage am
Freitag. Das bayerische Umweltministerium als Aufsichtsbehörde habe
dem Neustart schon zugestimmt. Der Reaktor - mit vollem Namen
Forschungs-Neutronenquelle Heinz Maier-Leibnitz (FRM) - werde vorerst
weiter mit dem umstrittenen hochangereichertem Uran laufen.

Die Anlage war wegen der Corona-Pandemie im März vergangenen Jahres
heruntergefahren worden. Dann stand der Reaktor, der eine der
leistungsstärksten Neutronenquellen weltweit ist, unter anderem wegen
einer Emission von radioaktivem C-14 über dem zulässigen
Jahresgrenzwert still. Ein neuer Prozess soll das künftig verhindern.

Wegen der Nutzung von mit zu 93 Prozent angereichertem Uran ist der
Reaktor umstritten. Atomgegner, Umweltschützer und Grüne sprechen von
waffenfähigem Material. Sie klagen vor dem Bayerischen
Verwaltungsgerichtshof gegen den Betrieb, der seit 2010, spätestens
aber seit Ende 2018 nicht mehr legal sei. Es müsse mindestens auf
unter 50 Prozent angereichertes Material verwendet werden.

«Es ist eine Unverschämtheit, noch vor der mündlichen Verhandlung im

Klageverfahren gegen die TU München das Wiederanfahren anzukündigen»,

sagte die Grünen-Abgeordnete Claudia Köhler. Die Betreiber
unterstrichen, die Umrüstung auf einen Brennstoff mit einer
Anreicherung von höchstens 50 Prozent des spaltbaren Uran-235 bleibe
oberstes Ziel. Sie legten einen Zeitplan für Verfahrensschritte vor.
Demnach wollen sich der Bund und Bayern bis 2023 verständigen, welche
von drei untersuchten Brennstoffvarianten für den Reaktor der
Technischen Universität München in Frage komme.

Eine TU-Forschungsgruppe wie auch europäische und internationale
Partnern forschen an geeigneten Brennstoffen. «Ende 2022 werden
wissenschaftlich fundierte Aussagen zu diesen Brennstoffkandidaten
sowie Umrüstungsszenarien vorliegen», sagte die FRM-II-Sprecherin.
2025 solle dann für einen neuen Brennstoff das Genehmigungsverfahren
starten. Wann er eingesetzt werde, hänge von Tests und Verfahren ab.

Bisher gebe es keinen niedriger angereicherten Brennstoff, der für
den Einsatz im FRM II qualifiziert sei, sagte der Wissenschaftliche
Direktor des FRM II, Peter Müller-Buschbaum. Inzwischen sei man aber
«auf der Zielgeraden». Der TU-Wissenschaftler Anton Röhrmoser hatte
bereits 2018 einen Vorschlag für ein FRM-II-Brennelement mit bis zu
50 Prozent Anreicherung vorgelegt. Dabei wurde der jetzige Brennstoff
bei maximal zugelassener Urandichte verwendet. Die Umrüstung wäre
demnach mit vergleichsweise gut machbaren Anpassungen möglich.

Röhrmoser legte zudem eine Studie vor, unter welchen Bedingungen bis
zu 20 Prozent angereicherte Brennstoffe verwendbar wären - das würde
demnach schwierige Umstellungen am Reaktor erfordern. Das Papier war
2018 seitens der TU von einer Konferenz zurückgezogen worden; es habe
den Maßstäben der Qualitätssicherung nicht entsprochen, sagte die
FRM-II-Sprecherin. Die Brennstoffe seien in der Form nicht
einsetzbar. Die Entwürfe basierten auf falschen Annahmen.

Bei dem nun geplanten Neustart des Reaktors fehlt wegen eines noch zu
ersetzenden Teils die Quelle für kalte Neutronen, die mit einer
bestimmten Wellenlänge etwa bei Forschung zu Antibiotika-Resistenzen
oder zur Untersuchung von Be- und Entladevorgängen von Batterien
nötig sind. Die kalte Neutronenquelle ist laut Sprecherin für die
Hälfte aller wissenschaftlichen Untersuchungen wichtig, wird aber
wahrscheinlich erst 2024 wieder zur Verfügung stehen.

Viele Wissenschaftler warteten dringend auf das Wiederanfahren des
Reaktors, der auch für Industrie und Medizin bedeutsam ist, zumal
drei weitere starke Neutronenquellen in Frankreich, England und USA
vorübergehend ausfielen, so die Sprecherin. «Es wird dann eng mit
Neutronen in Europa und sogar weltweit.»

Wenn der Reaktor wieder ans Netz geht, kommt ein weiteres Problem auf
die Betreiber zu: In Garching ist fast kein Platz mehr für
abgebrannte Brennelemente. «Das Zwischenlager am Standort Garching
ist nahezu voll, ein hochkomplexer Atommülltransport durch Bayern
nach Norddeutschland steht bevor», sagte die Grünen-Abgeordnete
Köhler. Auch die Endlagerung sei ungeklärt.