Eine Klinik in Pink kämpft für das Recht auf Abtreibung in den USA Von Julia Naue, dpa

Das Pink House ist die letzte Abtreibungsklinik im US-Bundesstaat
Mississippi. Abtreibungsgegner bedrängen Schwangere, bevor sie auf
das Gelände kommen. Dieser Kampf wird bald auch vor dem Obersten
Gericht der USA ausgetragen - mit Folgen für alle Frauen im Land.

Jackson (dpa) - Pam kennen sie hier gut. Die Frau mittleren Alters
steht regelmäßig vor dem pinkfarbenen Haus in Jackson im
US-Bundesstaat Mississippi. Wann immer ein Auto auf das Gelände der
Abtreibungsklinik einbiegt, eilt Pam bewaffnet mit Broschüren zum
Fahrzeug. Sie ruft dann, dass es andere Möglichkeiten gebe. Ein Mann
stellt klar, dass Pam nicht für das Pink House arbeite - so nennt
sich die Klinik. Sind die Frauen auf dem kleinen Klinikgelände
angekommen, verfolgt Pam sie von der anderen Seite des Zauns aus bis
zum Eingang. Sie ruft über die Absperrung - eine schwarze Folie
versperrt die Sicht. Ein Freiwilliger der Klinik dreht Musik auf.

Das Pink House ist die einzige Abtreibungsklinik in dem Bundesstaat
im Süden der USA. Doch nicht nur das macht sie besonders. Die Kämpfe
vor der Klinik spielen bald vor dem Obersten Gerichtshof der USA.
Dort steht das Pink House im Zentrum eines Falls, der das
Abtreibungsrecht überall in Amerika massiv einschränken kann. Denn
der Supreme Court überprüft ein Gesetz aus Mississippi, das fast alle
Abtreibungen nach der 15. Schwangerschaftswoche verbietet. Das
Gericht setzte die mündliche Verhandlung dazu am Montag für den 1.
Dezember an.

Nach einem Grundsatzurteil von 1973 sind Abtreibungen in den USA bis
zur Lebensfähigkeit des Fötus erlaubt - heute etwa bis zur 24.
Schwangerschaftswoche. Die Entscheidung gilt als Meilenstein. Diese
Rechtsprechung, die als Roe v. Wade bekannt ist, könnte der Supreme
Court nun ändern. Sollte er entscheiden, dass das Mississippi-Gesetz
verfassungsmäßig ist, wäre Roe v. Wade aufgehoben.

Der Streit um das Recht auf Abtreibung beschäftigt die Gerichte und
die Gesellschaft in den USA seit Jahrzehnten. Es ist nicht das erste
Mal, dass Roe v. Wade zu kippen droht - aber jetzt scheint die Gefahr
so groß wie selten zuvor. Denn unter dem ehemaligen US-Präsidenten
Donald Trump ist der Supreme Court deutlich konservativer geworden.

«Wir sind wütend und hassen das, aber wir sind nicht überrascht»,
sagt Derenda Hancock. Die blonde Frau trägt eine bunte Weste und
steht vor dem Pink House in Jackson. Sie gehört zu den Gründerinnen
einer Gruppe, die Schwangere von den Abtreibungsgegnern vor der
Klinik abschirmt. Das, was Trump auf bundesweiter Ebene getan habe,
geschehe schon lange auf lokaler Ebene, sagt sie. «Und wir sind nicht
überrascht über Texas.»

Ein neues Gesetz dort hat gerade für heftige Empörung gesorgt: Es
verbietet fast alle Abtreibungen, sobald der Herzschlag des Fötus
festgestellt worden ist. Viele Frauen wissen zu diesen Zeitpunkt
nicht, dass sie schwanger sind. Der Supreme Court hatte einen
Eilantrag gegen das Gesetz abgewiesen. Zwar hat er dabei nicht in der
Sache an sich geurteilt. Viele fürchten aber, dass die Entscheidung
erahnen lässt, wie das Gericht im Mississippi-Fall entscheiden wird.

Hancock steht an diesem schwülen Septembertag mit einer Handvoll
Freiwilliger vor dem Pink House. Es sei heute ruhig, sagt sie. Nur
Pam ist da. Dass Abtreibungsgegner Frauen vor der Klinik belästigten,
sei Alltag. Am frühen Morgen kämen sie mit Lautsprechern. «Ich halte

die alle für verrückt, aber die sind etwas extremer als die am
Nachmittag», sagt Hancock. Ein anderer Freiwilliger erzählt, dass die
Gegner sich auch etwas entfernt vor dem Pink House aufstellten und
als Klinikpersonal ausgäben. Sie würden die Schwangeren dann zu einer
anderen Klinik leiten, die gar keine Abtreibungen vornimmt.

Hancock ist sich sicher, dass sich die meisten Frauen dennoch nicht
abschrecken ließen. «Wir sind die letzte verbliebene
Abtreibungsklinik in Mississippi. Wohin sollen sie die Leute
vertreiben?» Es ärgere sie, wenn Leute sagten, die Frauen könnten
doch in einem Staat abtreiben, in dem es einfacher sei. Manche Frauen
könnten sich nicht mal den Weg nach Jackson leisten, klagt sie.

Pam steht etwas abseits der Freiwilligen und hat die anrollenden
Autos genau im Blick. Wenn eines in Richtung Klinikgelände abbiegt,
ist ihr Moment gekommen. «Warum glaubst du, dass du im Recht bist?»,
fragt eine der Freiwilligen. Sie habe Gott auf ihrer Seite, sagt Pam.
Die zierliche Frau gibt bereitwillig Auskunft. «Ich glaube, dass das
Leben ein kostbares Geschenk Gottes ist», sagt sie. Sie ist der
Ansicht, die Schwangeren wüssten es nicht besser - würden vielleicht
von ihrem Freund oder der Familie zur Abtreibung gedrängt. Pam
glaubt, ihr Protest vor der Klinik habe schon Frauen von einer
Abtreibung abgehalten. Die meisten Frauen würden sie gar nicht hören,
sagt dagegen ein Freiwilliger.

Jarvis Dortch ist der Leiter der Bürgerrechtsorganisation ACLU
Mississippi. Die Organisation hat ein Büro in der verlassenen
Innenstadt von Jackson und schaut mit Sorge auf die Entscheidung des
Supreme Courts, die für 2022 erwartet wird. Er fürchtet, dass das
Urteil des Gerichts dazu führen könnte, dass jeder Bundesstaat seine
eigenen Abtreibungsgesetze verabschieden würde. «Das wäre
wahrscheinlich das schlimmste Ergebnis», sagt er.

Für den Fall, dass das Grundsatzurteil Roe v. Wade kippt, haben
einige Staaten schon Gesetze vorbereitet, die sofort in Kraft treten
könnten. Es sind vor allem die erzkonservativen Staaten im Süden und
mittleren Westen, die Abtreibung ganz oder fast komplett verbieten
wollen. Doch warum ist es gerade dieses Thema, das die Gemüter immer
wieder so erhitzt? «Im Grunde geht es um Macht», sagt Dortch. «Du
sagst einer Frau, wie sie ihr Leben zu leben hat.»