Tui-Finanzchef: Wohl längere Saison 2021 - Tests «so oft wie möglich »

Bei Tui geht es in diesem Sommer um alles oder nichts: Klappt der
Neustart mit ausreichendem Geschäft in der Hauptsaison? Auch Herbst
und Winter werfen schon ihre Schatten voraus - neue Corona-Varianten
müssen mit Blick auf die Buchungs- und Finanzlage im Griff bleiben.

Hannover/London (dpa) - Die Ausbreitung der Delta-Variante des
Coronavirus und der Wunsch nach späteren Buchungen könnten nach
Einschätzung von Tui zu einer Verlängerung der Reisesaison 2021
führen. Er sehe grundsätzlich gute Chancen, die als aggressiv
geltende Mutante unter Kontrolle zu bringen, sagte Finanzvorstand
Sebastian Ebel den Nachrichtenagenturen dpa und dpa-AFX: «Wir gehen
davon aus, dass es weiter einen hohen Schutz gibt.» Insgesamt sei die
Buchungsentwicklung derzeit zwar solide. Unter anderem wegen noch
vorsichtiger Kunden richtet sich der größte Touristikkonzern aber auf
Nachholeffekte ein, die sich bis zum Jahresende ziehen könnten.

«Ich würde mich nicht wundern, wenn zunächst einmal auch die
Sommersaison 2021 länger wird», erklärte Ebel. «Zumindest der
November sollte noch ohne Probleme machbar sein, vielleicht kann es
hier und da sogar bis nach Weihnachten gehen.»

Zur Impfwirksamkeit lässt sich Tui etwa vom Gründungsdirektor des
Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie in Berlin, Stefan
Kaufmann, beraten. Die Delta-Variante werde «auch in England stark
abflauen, wenn dort noch mehr Menschen zweimal geimpft sind», sagte
Ebel über den wichtigen Markt. Außerdem müsse man durch weitere Tests

Menschen mit asymptomatischen Verläufen herausfiltern: «Das haben wir
in Deutschland bisher gut gemacht, das Thema ist insgesamt im Griff.»

Der Tui-Finanzchef rief Urlauber auf, in der Heimat vorsichtig zu
bleiben, um Öffnungsschritte nicht zu gefährden. Er persönlich würd
e
die Maske weiter anbehalten, wenn er in öffentliche Innenräume gehe.
«Aber nicht, wenn ich an einem Tisch sitze oder auf der Sonnenliege
bin», so Ebel. «Wenn irgendwann die Inzidenzen hoffentlich gegen Null
gehen, kann man sicher großzügiger werden. Bis dahin finde ich es
gut, so oft wie möglich Testmöglichkeiten wahrzunehmen. Das gilt
explizit nicht nur für den Urlaub, sondern auch für das Kind, das
wieder in die Schule geht, oder für den Gang ins Geschäft.»

Im Moment spüre Tui - trotz der schwierigen Lage in Großbritannien
mit verschobenen weiteren Lockerungen - insgesamt eine «sehr
deutliche Belebung». Im Geschäftsquartal von Juli bis September werde
mehr Geld zu- als abfließen, ein Umschwung zu einer stabilen
Hauptsaison nach den drastischen Einbrüchen 2020 sei möglich. Aber
manche Verbraucher dürften angesichts der noch nicht überall sicheren
Bedingungen weiter abwarten. «Wenn wie für Portugal Öffnungen und
neue Schließungen sich im Takt weniger Wochen abwechseln, lässt das
Kunden überlegen: Wann buche ich - jetzt, oder wenn die Reiseregeln
klar sind?», sagte Ebel.

Auch für die klassischen Südziele könnte eine längere Saison früh
ere
Einbußen ausgleichen. «Das wäre vor allem eine Riesenchance für
Griechenland, ebenso für Zypern und Mallorca. Und gerade die Kanaren
und Madeira könnten Gewinner sein.» Zum Winter 2021/22 erhalte sich
Tui einen größeren Reaktionsspielraum bei den festen Kapazitäten an
Flügen und Hotelbetten: «Es ist schwierig abzuschätzen, ob der
nächste Winter bei 70 oder bei 130 Prozent gegenüber dem
Vor-Corona-Niveau 2019 landet.» Man rechne mit einem guten Geschäft.

Den Trend zu mehr Urlaub in Deutschland greife Tui auf. Es gebe
«Initiativen für neue Umsatzquellen», so Ebel. «Eine davon ist, das
s
wir Unterkünfte ohne Anreise vermarkten, also das Geschäft, das auch
Booking.com betreibt. Da haben wir das größte Wachstum in Österreich,

gefolgt von Deutschland und Kroatien.»

Darüber hinaus gehe es daheim nicht um Neubauten von Hotels, sondern
um den möglichen Betrieb weiterer Häuser: «Wir können den Kunden
häufiger abholen, weil der vielleicht einen Urlaub in Spanien oder
eine Städtereise macht, aber vielleicht auch noch mal etwas in
Deutschland unternehmen will.» Nach Überzeugung des Tui-Vorstands
erlebt parallel dazu die Pauschalreise eine Renaissance - Risiken der
individuellen Planung und hoher Beratungsbedarf seien die Auslöser.

Der Konzern wurde vom Staat und von seinen privaten Aktionären mit
Milliarden unterstützt, um nach dem existenzbedrohenden Jahr 2020
wieder in die Spur zu kommen. Daher geht es für Tui 2021 ums Ganze.
Aktuell seien die Aussichten für eine hinreichende Liquidität
positiv, sagte Ebel. «Auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
ist diese Veränderung sehr wichtig. Wir hatten durch die Schließungen
über Monate nur Kosten, jetzt geht es deutlich bergauf, sie spüren
das.»

Entscheidend sei es, in den kommenden Wochen und Monaten «operativ
einen guten Job zu machen». Ende März habe die Summe der vorliegenden
Anzahlungen bei 1,9 Milliarden Euro gelegen, in normalen Jahren wäre
es zu der Zeit mehr als das Doppelte. «Weil unser Niveau da so ist,
wie es ist, kann auch weniger abfließen», meinte der Tui-Finanzchef.
«Der bisherige Wert sollte uns gut durch den Winter tragen.»

Die Nettoschulden im Konzern lagen zuletzt bei 6,8 Milliarden Euro.
«Davon waren aber die Hälfte Leasing-Verbindlichkeiten etwa für
Flugzeuge oder Hotels, die wir nicht laufend refinanzieren müssen,
sondern die durch unsere Vermögenswerte gesichert sind», sagte Ebel.
«Wir sind insgesamt solide finanziert für den Winter, bis es ab
Januar zu stärkerem Mittelzufluss aus dem operativen Geschäft kommt.»