G7 kontert Chinas «Neue Seidenstraße» mit Milliarden-Initiative

Die G7 ist zurück. Nach desaströsen Jahren in der Ära Trump versucht

sich die westliche Wertegemeinschaft bei einem Gipfel in
südenglischer Urlaubsidylle wieder als Einheit zu präsentieren. Dabei
geht es auch darum, wie man mit der Konkurrenz im Osten umgeht.

Carbis Bay (dpa) - Die G7-Gruppe führender Industrieländer will China
mit einer Milliarden-Initiative zum Aufbau von Infrastruktur
Konkurrenz machen. Das Vorhaben soll eine Alternative zu dem 2013 von
China gestarteten Projekt «Neue Seidenstraße» sein, mit dem das
autoritär regierte Land neue Handelswege nach Europa, Afrika,
Lateinamerika und in Asien erschließt. Die Initiative mit dem Titel
«Build Back Better World» (eine bessere Welt wiederaufbauen) soll
nach US-Angaben am Sonntag in der Abschlusserklärung des G7-Gipfels
in der südenglischen Urlaubsregion Cornwall verankert werden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel traf sich am Rande des Gipfels in
Carbis Bay erstmals zu einem persönlichen Gespräch mit dem neuen
US-Präsidenten Joe Biden. Dabei ging es auch um den Streit um die
Gas-Pipeline Nord Stream 2, den beide Seiten nun entschärfen wollen.
Man sei «auf einem guten Weg», sagte die Kanzlerin anschließend.

Der Streit zwischen der EU und Großbritannien über
Brexit-Sonderregeln für Nordirland trübte dagegen die
Gipfel-Harmonie. EU-Spitzenvertreter forderten die Einhaltung von
Absprachen ein, der britische Premierminister sieht hingegen die EU
in der Pflicht.

Für die G7 markiert der Gipfel in Cornwall einen Neustart nach der
Ära von US-Präsident Donald Trump, in der dessen Abschottungspolitik
die Gruppe an den Rand der Spaltung brachte. Nun wollen die USA und
die anderen großen westlichen Demokratien wieder an einem Strang
ziehen. US-Präsident Biden will die Staatengruppe vor allem durch
eine harte Abgrenzung zu autoritären Staaten wie Russland und China
zusammenschweißen. Ein konkreter Schritt ist das geplante
Infrastrukturprogramm.

40 BILLIONEN US-DOLLAR FÜR INFRASTRUKTUR BENÖTIGT

Nach US-Schätzungen wird in Teilen der Welt Infrastruktur im Wert von
40 Billionen US-Dollar benötigt. Durch die Pandemie sei sie noch
größer geworden sei, berichteten US-Regierungsbeamte. Die USA wollten
mit den G7-Partnern, dem privaten Sektor und anderen Teilhabern
«bald» kollektiv Hunderte Milliarden für Infrastruktur-Investitionen

in Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen mobilisieren. Die
Umsetzung solle «auf transparente und nachhaltige Weise - finanziell,
umweltfreundlich und sozial - erfolgen».

«Es geht nicht darum, dass die Länder zwischen uns und China wählen
müssen», sagte der Beamte. Vielmehr solle «eine positive, alternative

Vision» geboten werden, für die sich Ländern entscheiden könnten. E
s
stehe im «starken Kontrast zu der Art, wie einige andere Länder mit
den Bemühungen um Infrastruktur umgehen». Er warf Peking einen
«Mangel an Transparenz, schlechte Umwelt- und Arbeitsstandards» und
ein Vorgehen vor, das viele Länder am Ende schlechter dastehen lasse.
Kritiker der «Neuen Seidenstraße» warnen arme Länder vor einer
Schuldenfalle, politischen Abhängigkeiten und mangelndem
Umweltschutz. Oft kommen auch nur chinesische Unternehmen zum Zuge.

MERKEL SPRICHT MIT BIDEN ÜBER PUTIN

Der G7-Gruppe gehören neben den USA, Großbritannien und Deutschland
Frankreich, Italien, Japan und Kanada an. Es ist nicht nur der erste
G7-Gipfel Bidens, sondern auch der letzte mit Merkel. Die beiden
sprachen in Carbis Bay vor allem über Bidens für Mittwoch geplantes
Gipfeltreffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Über
Nord Stream 2 habe man nur kurz gesprochen, sagte Merkel. Sie sei
sich mit Biden einig, dass es «existenziell und unabdingbar» sei, die
Ukraine weiter am Gastransit von Russland nach Europa zu beteiligen.

Die Regierung Bidens hatte vor drei Wochen ihren jahrelangen
Widerstand gegen die umstrittene Pipeline zwischen Russland und
Deutschland teilweise aufgegeben und auf Sanktionen gegen die
Betreibergesellschaft verzichtet - auch aus Rücksicht auf die
Beziehungen zu Deutschland. Anschließend war eine Delegation der
Bundesregierung nach Washington gereist, um über das weitere Vorgehen
zu beraten. Die Gespräche wurden auch danach fortgesetzt. Im Kern
geht es darum, wie der Ukraine die Milliarden-Einnahmen aus dem
russischen Gastransfer langfristig gesichert werden können.

PANDEMIEBEKÄMPFUNG ZENTRALES THEMA

Zentrales Gipfel-Thema blieb in Carbis Bay die Pandemiebekämpfung. Zu
den Beratungen darüber am Nachmittag waren auch die Gastländer
Australien, Indien, Südkorea und Südafrika eingeladen. Als einziger
Kontinent wird Lateinamerika nicht vertreten sein - ausgerechnet der
Erdteil, der derzeit am stärksten unter der Corona-Pandemie leidet.

Die G7 will den ärmeren Ländern eine Milliarde Impfdosen spenden, um
den Kampf gegen die Pandemie voranzutreiben. Die USA wollen 500
Millionen Dosen beitragen, die britischen Gastgeber 100 Millionen.
Die Initiative wird vor allem von diesen beiden Ländern
vorangetrieben. In der EU gibt es Skepsis. Die Europäer
argumentieren, dass sie schon lange viel für die weltweite
Impfstoffversorgung tun.

UN-Generalsekretär Antonio Guterres begrüßte die Initiative der G7 zu

Impfspenden zwar, mahnte aber deutlich mehr Einsatz an. «Eine
Milliarde ist sehr willkommen. Aber offensichtlich benötigen wir mehr
als das», sagte er am Rande des Gipfels. Die Chefin der
Welthandelsorganisation (WTO), Ngozi Okonjo-Iweala, sagte, die
Ungleichheit beim Zugang zu Impfstoffen sei «inakzeptabel».

MERKEL VERTEIDIGT PATENTSCHUTZ FÜR IMPFSTOFFE

Umstritten ist in der G7 auch die Frage, ob der Patentschutz für
Impfstoffe ausgesetzt werden soll, um deren Produktion in
Entwicklungsländern zu fördern. Biden hatte die Diskussion darüber
angestoßen, auch der französische Präsident Emmanuel Macron ist
dafür. Merkel und der britische Premierminister Boris Johnson stemmen
sich dagegen.

Bei einer Freigabe der Patente könnten auch andere Hersteller ohne
Lizenzgebühren Impfstoffe wie die des deutschen Herstellers Biontech
oder des britischen Pharmakonzerns Astrazeneca produzieren. Merkel
argumentiert unter anderem damit, dass eine Freigabe der Patente der
Qualität der produzierten Impfstoffe schaden könnte.