G7-Staaten horten Impfstoffe - für arme Länder reicht es nicht Von Christiane Oelrich und Andreas Landwehr, dpa

In der Pandemie ist niemand sicher, solange nicht alle sicher sind,
heißt es. Die reichen G7-Staaten wollen auf ihrem Gipfel mehr für
bedürftige Länder tun - sind aber selbst Teil des Problems.

Carbis Bay (dpa) - Mit der Lieferung von rund einer Milliarde
Impfdosen für ärmere Länder wollen die reichen Industrienationen (G7)

auf dem Gipfel im englischen Cornwall ihre Hilfsbereitschaft
demonstrieren. Was großzügig klingt, verdeckt Kritikern zufolge, dass
in der Pandemie doch erstmal jedes Land an sich denkt.

Von den bisher weltweit etwa 2,2 Milliarden verabreichten Impfdosen
sind mehr als drei Viertel in nur zehn Ländern verabreicht worden -
in den wohlhabenden Nationen der Welt. Aber solange das Coronavirus
weiter in den ärmeren Ländern grassiert, drohen neue Mutationen,
womit Impfungen wieder unwirksam werden können.

Wie will die G7-Gruppe jetzt bedürftigen Ländern helfen?

Die Gruppe will den ärmeren Ländern bis nächstes Jahr eine Milliarde

Impfdosen liefern. Die Hilfe soll durch eine Umverteilung von zu viel
bestellten Impfstoffen und Finanzierung möglich werden. Es soll
direkt oder über die Impfinitiative Covax geliefert werden, die für
eine gerechte Verteilung sorgen soll. Allein die USA haben eine
Spende von 500 Millionen Dosen bis nächsten Juni angekündigt.

Reicht denn eine Milliarde Impfdosen?

Wohl kaum, nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind
elf Milliarden Impfdosen nötig - oder zumindest acht Milliarden, um
für eine Herdenimmunität 80 Prozent der Bevölkerung in Ländern mit

geringem oder mittlerem Einkommen zu impfen. Weniger als ein Prozent
der Impfungen weltweit sind bisher Menschen in ärmeren Ländern
verabreicht worden. Vor allem werden Impfstoffe so schnell wie
möglich benötigt, nicht erst nächstes Jahr.

Was macht Deutschland?

Die Bundesregierung ist einer der großzügigsten Spender und hat eine
Milliarde Euro für Covax sowie 30 Millionen Impfdosen bis Ende des
Jahres versprochen. Wie andere reiche Länder beharrt Kanzlerin Angela
Merkel aber darauf, zuerst der eigenen Bevölkerung das Angebot einer
Impfung zu machen. Die WHO hätte es gerne anders. Sie sieht es als
unmoralisch an, dass reiche Länder gesunde Jüngere impfen, während in

armen Ländern selbst Pflegepersonal, das sein Leben für Covid-Kranke
aufs Spiel setzt, weiter auf die Impfung warten müssen.

Warum nicht den Patentschutz für Impfstoffe aufheben?

Den Vorschlag haben Südafrika und Indien gemacht, Frankreich und
andere haben sich angeschlossen, auch die USA haben sich offen für
Diskussionen gezeigt. Einige Nationen mit Pharmaindustrie sind
dagegen, darunter Deutschland und Großbritannien. Kanzlerin Angela
Merkel glaubt nicht, «dass die Freigabe von Patenten die Lösung ist».

Zur nötigen Kreativität und Innovationskraft der Unternehmen gehöre
Patentschutz.

Es laufen aber doch Verhandlungen?

Im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) wird darüber verhandelt,
nur mit wenig Aussicht. Die EU ist auch gegen die Freigabe und hat
vorgeschlagen, Produzenten stattdessen zu mehr freiwilligen Lizenzen
zu bewegen, damit ihr Impfstoff - gegen Zahlung von Gebühren -
anderswo hergestellt werden kann. Wenn das nicht klappt, will sie
auch Zwangslizenzen dulden. Die Pharmaindustrie pocht auf den
Patentschutz, weil sie für Investitionen Renditeaussichten brauche.

Würde eine Freigabe der Patente die Produktion erleichtern?

Pharmakonzerne argumentieren, es würde die Herstellung nicht
beschleunigen, weil anderen Firmen Kapazitäten und Know-how fehlten,
um schnell an den Start zu gehen. Entwicklungsorganisationen fordern
deswegen schnellen Technologietransfer und Investitionen in anderen
Ländern, um regionale Produktion aufzubauen.

Warum gibt es nicht genug Impfstoffe?

Die reichen Länder haben den Impfstoffmarkt leergekauft. Es wurde
mehr geordert als benötigt. Die Entwicklungsorganisation One
errechnete, dass sich die G7-Staaten über 2,5 Milliarden Impfdosen
mehr gesichert hätten als sie brauchten. Großbritannien könnte seine

Bevölkerung mehrfach durchimpfen.

Warum kommt die Impfstoff-Initiative Covax nicht in die Gänge?

Der Plattform fehlt der Impfstoff, weil nicht mehr zu kaufen ist.
Zudem hatte Covax große Mengen von Astrazeneca in Indien bestellt,
das aber im April einen Exportstopp verhängte. Das Land erlebte
zuletzt eine verheerende Infektionswelle und beansprucht die
Produktion für die eigene Bevölkerung. Deshalb ist Covax auf Spenden
angewiesen. Sofort nötig wären 250 Millionen, die bis Ende September
verabreicht sein sollen, um Pflegepersonal und gefährdete Menschen
impfen zu können.

Wird Indien die Lieferungen wieder aufnehmen?

Vorerst wohl nicht. Indien bemüht sich jetzt sogar selbst, Impfstoff
zu importieren. Bislang sind weniger als 4 Prozent der mehr als 1,3
Milliarden zählenden Bevölkerung vollständig geimpft. Als «Apotheke

der Welt» hatte Indien zuvor 66,4 Millionen Dosen an 93 Länder
geliefert. Auch verschenkte Indien als einer der ersten Millionen
Dosen an ärmere Länder, die sonst leer ausgegangen wären.

Und was machen China und Russland?

Schon bevor Covax im Februar erstmals etwas liefern konnte, haben
China und Russland Impfstoffe an andere Länder abgegeben. Bis heute
hat China mehr als 350 Millionen Impfdosen an mehr als 80 Länder
geliefert. Was gespendet, zu Marktpreisen oder billig verkauft wurde,
bleibt unklar. Auch wurde eine chinesische Spende von zehn Millionen
Dosen an Covax angekündigt. Deutlich weniger hat Russland geliefert.
Offizielle Zahlen gibt es nicht. Von Impfstoffdiplomatie ist die
Rede. Aber viele Länder hätten sonst keinen Zugang zu Impfstoffen.