Chöre in Niedersachsen dürfen wieder singen - und freuen sich riesig Interview: Thomas Strünkelnberg, dpa

Gemeinsam Singen ist das Hobby von Millionen Menschen - und seit
kurzem dürfen nun Chöre in Niedersachsen endlich wieder proben,
zunächst unter freiem Himmel. In der Pandemie-Pause ist einiges auf
der Strecke geblieben. Haben viele Chöre aufgegeben?

Hannover (dpa/lni) - Chorproben unter freiem Himmel sind in
Niedersachsen seit kurzem wieder möglich - und vor allem junge
Sängerinnen und Sänger reagieren mit großer Erleichterung. «Sie
freuen sich natürlich unheimlich, in der Chorgemeinschaft wieder
angekommen zu sein und ihre Freundinnen und Freunde zu sehen», sagte
die emeritierte Hochschullehrerin und Chorleiterin Gudrun Schröfel im
Interview mit der Deutschen Presse-Agentur. Im Falle künftiger
Infektionswellen will sie mehr Planbarkeit, auch solle selbst bei
steigenden Infektionszahlen mit Abstand geprobt werden können. Chöre
hätten wie Orchester und Theater ein Hygienekonzept, betonte sie.

Frage: Nach der monatelangen Corona-Zwangspause geht es endlich
weiter mit den Chorproben, wenn auch zunächst unter freiem Himmel.
Wie wird das angenommen?

Antwort: Das funktioniert sehr gut und wird auch sehr gut angenommen,
weil die Stadt etliche Grünflächen zur Verfügung gestellt hat.
Allerdings können wir ab Donnerstag schon wieder drinnen proben, wenn
wir die Regeln einhalten - mit dem gesamten Chor. Aber auch während
der Zwangspause haben wir so weitergemacht wie es erlaubt war. Laut
Verordnung durften wir mit Quartetten und zuvor mit Doppelquartetten
für Gottesdienste proben. Das haben wir sehr gerne in Anspruch
genommen und etliche Kleingruppen gebildet, die dann in den
verschiedensten Kirchen gesungen haben. Und jetzt dürfen die Chöre
wieder mit allen proben, soweit sie in der Lage sind, die Abstände
einzuhalten.

Frage: Wie hat sich die Pause auf die Sängerinnen und Sänger
ausgewirkt, gerade auf die jüngeren?

Antwort: Die stimmliche Verfassung hat ganz sicher unter der Pause
gelitten. Bei Online-Proben auf den verschiedenen Plattformen hat man
sich entweder nicht gehört oder nicht gesehen. Das hat mit Sicherheit
nicht dazu geführt, dass Stimmtechnik und musikalische
Gestaltungsmöglichkeiten auf dem erreichten Niveau geblieben sind
oder sich gar weiterentwickelt haben. Sondern ich stelle fest, dass
die Leistungsfähigkeit insgesamt gelitten hat. Das gilt es nun wieder
auf den vorher erreichten Stand zu bringen. Allerdings gab es auch
eine positive Seite: Durch die Kleingruppen konnten wir Chorleiter
und Chorleiterinnen die individuellen Stimmen viel genauer hören als
im Tutti-Chor.

Frage: Was bedeutet das konkret?

Antwort: Zunächst einmal hat die differenzierte Gestaltungsarbeit an
den Chorwerken gelitten, denn die Plattformproben sind ja im Grunde
unkontrollierbar gewesen. Ein Problem war auch, dass es keine
Zielsetzung gab - wenn man das mit normalen Zeiten vergleicht, wo man
in den Proben auf ein Konzert zuarbeitet und ein Programm
letztendlich bewältigt. Aber da war überhaupt nichts, weil es keine
Zielsetzungen gab, und das ist gerade bei jungen Leuten natürlich
fatal. Wenn die zuhause in ihrem stillen Kämmerlein sitzen und ganz
allein singen müssen - das funktioniert nicht. Sie singen nicht so
wie in der Probe im großen Raum, viele fühlen sich nicht wohl, wenn
Geschwister, Eltern, Nachbarn zuhören. Auch leidet die Stimmtechnik
schon dadurch, dass man die Körperlichkeit nicht korrigieren kann:
Aufrichtung, Atmung, Vokalausgleich, Registerausgleich - alles
schläft ein. Sie sind noch nicht so weit, den Sänger-Apparat so
einzustellen, dass die Stimme locker und mühelos strömt.

Frage: Wie reagieren die jungen Sänger persönlich darauf, dass sie
jetzt wieder zusammenkommen können?

Antwort: Da herrscht große Erleichterung. Es ist ganz prima, dass sie
sich wiedersehen. Das ist soziokulturell genauso wichtig wie das
Singen. Sie freuen sich natürlich unheimlich, in der Chorgemeinschaft
wieder angekommen zu sein und ihre Freundinnen und Freunde zu sehen.
Ich habe teils unter dem Parkdeck einer Versicherung geprobt, das man
uns zur Verfügung stellte - was natürlich viel besser war, als darauf
angewiesen zu sein, dass man draußen proben kann, weil es ja immer
auch einen Wetterumschwung geben kann. Manchmal musste man ganz
kurzfristig die draußen geplante Probe wieder absagen, das war dann
immer wieder eine Enttäuschung.

Frage: Haben Sänger in der Corona-Zwangspause aufgegeben - oder ganze
Chöre?

Antwort: Man hört, dass es in den gemischten Chören schon einen
Rückgang gegeben hat, in den Jugendchören weniger. Einige wenige
haben aufgehört, aber das ist überschaubar.

Frage: Nun bringt eine Krise wie diese im Idealfall neue
Erkenntnisse. Was werden Sie beibehalten aus der Corona-Zeit?

Antwort: Es gibt Dinge, die man ganz gerne beibehalten würde. In der
Chorarbeit singt man nicht nur, sondern vermittelt jungen Leuten auch
allgemeine Inhalte, beispielsweise Entstehungszeit einer Komposition
oder Analyse einer Komposition. Und weil ich die Stimmbildung über
Online-Schalte nicht sinnvoll fand, habe ich mit einer Gruppe
Theorieunterricht gemacht, also Akkorde bestimmen, hören und
analysieren. Das könnte man beibehalten, das schärft das Gehör.

Frage: Hat es die jungen Sänger weitergebracht, sich in der
Corona-Pause auf eine völlig andere Arbeitsweise einzustellen?

Antwort: Ja, ich denke schon. Was ich sehr, sehr positiv fand, war,
dass die jungen Leute nicht gemault, sondern sich darauf eingelassen
haben.

Frage: Trotzdem arbeitet man nach wie vor auf ein eher unbestimmtes
Ziel hin - denn ob nun beispielsweise im Winter Weihnachtskonzerte
möglich sein werden, kann bislang noch niemand sagen.

Antwort: Das kann man wirklich noch nicht sagen. Ich bin optimistisch
und sage, alles, was geplant ist, wird so lange auch in der Planung
bleiben, bis wir von oben gesagt bekommen, es geht nicht. Was ganz
schwierig ist in dieser Pandemie, ist, dass man unglaublich vieles
absagen musste. Es gab viele Konzertplanungen, die dann kurzfristig
abgesagt wurden. Manchmal konnte ich nicht verstehen, dass man
Konzerte im April absagt, die für Oktober geplant sind. Ich probiere
alles, was möglich ist, und muss sehen, dass ich in so einer
Situation kreativ bin und andere Wege gehe. Ich glaube, dass die
meisten meiner Kolleginnen und Kollegen es ganz genauso gesehen
haben. Jeder hat sich bemüht, den Chor bei der Stange zu halten und
zumindest das Gesellschaftliche zu pflegen, wenn man nicht Musik
machen kann.

Frage: Was würden Sie sich wünschen, wenn die Infektionszahlen wieder
steigen sollten?

Antwort: Alle Chöre haben wie auch die Orchester und die Theater ein
Hygienekonzept entwickelt, das wirklich sehr gut ist. Wir haben alles
befolgt, den Unterricht mit Maske gemacht - wir haben letztendlich,
damit es wieder losgehen konnte, mit Maske gesungen. Ich wünsche mir,
dass die Maßnahmen wie Impfen, Testen, Abstandsregeln einhalten so
schnell wie möglich wieder normale Chorproben zulassen, damit die
jungen Leute und alle Chöre das Musizieren wieder zu ihrem
Lebensinhalt machen können, dass sie wieder ein Ziel haben und dem
Publikum großartige Konzerterlebnisse präsentieren können. Musizieren

muss selbstverständliches Lebenselixier bleiben.

ZUR PERSON: Gudrun Schröfel ist Chorleiterin und ehemalige
Hochschullehrerin. Sie war Professorin für Musikerziehung mit dem
Schwerpunkt Chor- und Ensembleleitung an der Hochschule für Musik,
Theater und Medien Hannover. Außerdem leitete sie den Mädchenchor der
Stadt und leitet den Johannes-Brahms-Chor in Hannover. Sie ist
Mitglied im Künstlerischen Rat des Niedersächsischen Chorverbands.