Drosten befürchtet nachlassende Impfbereitschaft gegen Corona

Die Inzidenzen sind gesunken, der Alltag normalisiert sich: Werden
sich über den Sommer dennoch große Teile der erwachsenen Bevölkerung

impfen lassen? Virologe Drosten hofft es zwar, hat aber Zweifel.

Berlin (dpa) - Der Virologe Christian Drosten hat vor Rückschlägen
für die Corona-Impfkampagne über den Sommer in Deutschland gewarnt.
Man müsse aufpassen, dass die Menschen künftig nicht nachlässig
würden und sich zum Beispiel die Zweitimpfung nicht mehr abholten,
weil sie keine Lust mehr hätten oder es zu kompliziert sei, sagte der
Leiter der Virologie der Berliner Charité am Dienstag im Podcast
«Coronavirus-Update» (NDR-Info). «Solche Dinge dürfen einfach nicht

eintreten. Das wird, glaube ich, die nächste große Aufgabe sein.»

Drosten erwartet demnach in einigen Wochen eine Diskussion über die
Förderung der Impfbereitschaft. Ziel seien mindestens 80 Prozent
Zweifachimpfungen, zumindest in der «impffähigen erwachsenen
Bevölkerung», erinnerte er. Dies werde hoffentlich bis Ende August,
Mitte September erreicht werden. Auch nach der Aufhebung der
festgelegten Reihenfolge seit Montag bleibe es zunächst wichtig, die
Gruppen zu impfen, in denen dies wegen des erhöhten Covid-19-Risikos
dringlich sei. Das Augenmerk müsse im Moment noch auf der Versorgung
der Menschen ab Mitte 40 liegen, so Drosten. Aktuell liegt der Anteil
der vollständig Geimpften in der Bevölkerung bei knapp 22 Prozent.

Dass die Impfkampagne nicht ins Stocken gerät, ist für den
Wissenschaftler auch vor dem Hintergrund der als besorgniserregend
eingestuften Virusvarianten wichtig: Die zunächst in Indien entdeckte
Mutante Delta oder ähnliche Varianten würden «sicherlich bis zum
Herbst hier auch das Feld dominieren», sagte Drosten. Es gelte, bis
dahin für eine möglichst hohe Impfquote bei Erwachsenen zu sorgen.
«Dann werden wir keine großen Probleme haben» - ein kleines
Fragezeichen sehe er diesbezüglich nur beim Thema Kinder. In England
würden Ausbrüche in Schulen durch die Delta-Variante beobachtet.

Als besorgniserregend werden Varianten eingestuft, wenn sie sich zum
Beispiel möglicherweise leichter verbreiten, schwerere
Krankheitsverläufe verursachen oder wenn sich das Virus so verändert
hat, dass der Schutz von Geimpften und Genesenen beeinträchtigt sein
könnte. Bei der Delta-Variante, die Experten in England Sorgen
bereitet, sieht Drosten unverändert Unklarheiten. Erst wenn das Virus
dort immer weiter in die breite Bevölkerung komme, werde man sehen,
was es wirklich mit dem Virus auf sich habe, sagte er.

Für Drosten ist der Blick auf die Delta-Entwicklung in anderen
Ländern wichtig: Bisher sei aber weder in Dänemark, wo viele Proben
analysiert werden, noch in Deutschland in den vergangenen Wochen eine
starke Zunahme zu sehen. In Deutschland lag der Anteil von Delta an
untersuchten Proben nach Berichten des Robert Koch-Instituts aus den
vergangenen Wochen bei um 2 Prozent. Drosten berichtete von
inoffiziellen Zahlen, die suggerierten, dass es nun «vielleicht eine
leichte Erhöhung gibt, aber sicherlich wohl keine Verdoppelung». Eine
Verdopplung der Werte von Woche zu Woche sei in England beobachtet
worden.

«Natürlich wird die Fallzahl gen Winter wieder hochgehen. Das kann
auch schon im Herbst passieren. Aber das wird ab jetzt jeden Winter
passieren», sagte Drosten. Die Situation sei dann durch den
erwarteten Effekt der Impfungen auf Krankheitsverläufe aber
verändert: Würde man strikt nur Labornachweise messen, sähe man wohl

eine Art vierte Welle. Aber es sei dann keine pandemische Welle mehr.
Drosten hatte auch zuvor schon mehrfach betont, dass er langfristig
damit rechnet, dass sich Sars-CoV-2 wie die altbekannten Coronaviren
verhalten werde, die Erkältungen auslösen.

Nach seiner bereits am Wochenende in einem Interview geäußerten
Annahme, dass Corona von Fledermäusen über die Pelzindustrie zum
Menschen gelangt sein könnte, regte Drosten eine entsprechende
wissenschaftliche Untersuchung an - «die aber natürlich rein in China
und von chinesischen Wissenschaftlern durchgeführt werden kann und
sollte». Möglicherweise sei das Virus aber heutzutage in
Zuchtbetrieben gar nicht mehr zu finden, etwa weil Bestände längst
gekeult wurden. Möglich sei auch, dass der Erreger aus der Zucht in
einem anderen Land über Handelsbeziehungen nach China gekommen sei.

Das Vorgehen der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die wegen
ungeklärter Fragen eine Experten-Kommission nach China geschickt
hatte, kritisierte Drosten deutlich. Unter anderem sei das
Zustandekommen der Gruppe nicht transparent gewesen. Auch entspreche
das Vorgehen nicht dem üblichen wissenschaftlichen Prozess. Der
Bericht der Gruppe lese sich, als hätte man «einige der Fragen hier
in der kurzen Zeit schon gut abgeklopft». Drosten sagte: «Das ist für

mich wirklich auch nicht akzeptabel.»

Über Versuche, den Grundlagen mancher Mutmaßungen über den Beginn der

Pandemie nachzugehen, sagte er: «Geht man dann an die Quelle, so wie
man das zumindest als westlicher Wissenschaftler kann, dann stößt man
auf ein Nichts.»