Appelle vor G7-Gipfel: Patente zur Impfstoffproduktion freigeben

Stars wie David Beckham oder Billie Eilish fordern eine gerechtere
Verteilung von Impfstoffen. Weniger als ein Prozent der Impfungen
erfolgte in ärmeren Ländern. Das Virus verbreitet sich, mutiert und
kann Vakzine unwirksam machen. Steht Deutschland einer Lösung im Weg?

Carbis Bay (dpa) - Vor dem G7-Gipfel in Großbritannien haben
Entwicklungsorganisationen die reichen Industrieländer aufgefordert,
im Kampf gegen die Pandemie die Patente für Impfstoffe befristet
freizugeben. Auch müsse Technologie in ärmere Länder transferiert
werden, um dort eine Produktion aufzubauen. «Spenden können marginal
helfen, aber die Entwicklungsländer brauchen die Rechte, das Know-how
und die Technologie zur eigenen, regionalen Herstellung der
Impfstoffe», sagte Jörn Kalinski von Oxfam am Dienstag der Deutschen
Presse-Agentur vor dem Gipfel in Carbis Bay.

Die Staats- und Regierungschefs der Gruppe der Sieben (G7) aus USA,
Deutschland, Großbritannien, Kanada, Frankreich, Italien und Japan
kommen von Donnerstag bis Sonntag in dem Touristenort in Cornwall
zusammen. Der Kampf gegen Covid-19 ist eines der zentralen Themen des
Gipfels, der Freitag beginnt. Oxfam und andere in der People's
Vaccine Alliance zusammengeschlossene Organisationen warnten, dass
ohne eine Ausweitung der Impfungen in Entwicklungsländern das Virus
weiter mutieren und heutige Impfstoffe unwirksam machen könnte.

Scharfe Kritik wurde an Deutschland und G7-Gastgeber Großbritannien
geübt, die einen Vorstoß von US-Präsident Joe Biden und Ländern wie

Indien und Südafrika zur vorübergehenden Aufhebung der Impfpatente
«blockieren», wie es mehrfach hieß. Wie die Hilfsorganisationen
forderten auch Unicef-Botschafter und andere Prominente die reichen
Länder auf, verfügbare Impfdosen jetzt an ärmere Staaten zu spenden.


Bei der Welthandelsorganisation (WTO) in Genf begannen am Dienstag
weitere Gespräche über Corona-Vakzine und Medikamente. Die
Europäische Union hat dazu einen Gegenvorschlag eingebracht. Demnach
könnten Länder bestehende Handelsregeln nutzen, um
Produktionslizenzen im Notfall auch ohne Zustimmung der Patenthalter
zu vergeben. Lizenzgebühren müssten jedoch dennoch gezahlt werden.
Weil WTO-Mitgliedsländer nur einstimmige Entscheidungen treffen, sind
keine schnellen Ergebnisse zu erwarten.

Es müsse eine gerechtere Impfstoffversorgung sichergestellt werden,
hieß es in einem offenen Brief, der in der «Financial Times»
veröffentlich wurde. Zu den 28 Unterzeichnern gehören unter anderen
David Beckham, Billie Eilish, Claudia Schiffer oder Katy Perry. Die
G7-Gruppe sollte zwischen Juni und August mindestens 20 Prozent der
verfügbaren Impfdosen teilen, um das Risiko einer weiteren
Ausbreitung des Virus und die Gefahr von Mutationen zu verringern.

Der Impfinitiative Covax, die ärmere Länder mit Impfstoffen versorgen
soll, fehlten 190 Millionen Impfdosen. Nach einer Datenanalyse des
Forschungsinstituts Airfinity für Unicef könnten die G7-Staaten rund
150 Millionen Impfdosen abgeben, ohne ihre nationalen Impfpläne
deutlich zu bremsen. «Die Länder müssen sich nicht entscheiden, ob
sie die Pandemie in ihrem Land oder weltweit bekämpfen wollen. Wir
können und müssen beides gleichzeitig tun - und zwar sofort», sagte
Unicef-Direktorin Henrietta Fore. «Die Pandemie kennt keine Grenzen.»

World Vision forderte «ganz schnell» einen Umverteilungsplan der G7
für gehortete Impfdosen, die sie nicht benötigten. Wichtig sei ferner
die temporäre Aufhebung der Patente nicht nur für Impfstoffe, sondern
auch für Diagnostik, Schutzkleidung oder Masken. «Die Pandemie ist
erst vorbei, wenn sie überall vorbei ist», sagte Fiona Uellendahl.
«Alle müssen den gleichen Zugang haben. Man kann es nicht den
Pharmaunternehmen überlassen, wer Impfstoffe bekommt.»

«Die Covid-19-Pandemie ist eine weltweite Katastrophe, und es kann
nicht sein, dass sich die Mittel und das Wissen zu ihrer Bekämpfung
in Privatbesitz befinden», sagte Oxfam-Berater Kalinski. Die
Entwicklung der Vakzine sei mit Milliarden öffentlicher Gelder
unterstützt worden. «Sie sind ein globales Gut.» Die Technologie
müsse an qualifizierte Hersteller weltweit weitergegeben werden. Es
müsse überall strategisch in den Kapazitätsaufbau investiert werden.

«Alles andere würde unnötig Millionen Menschenleben gefährden.»

Auch Caritas-Präsident Peter Neher forderte im Deutschlandfunk eine
befristete Aufhebung der Patente. Dies sei aber nur ein Faktor bei
der Bekämpfung der Pandemie. Es sei entscheidend, Entwicklungsländer
«in die Lage zu versetzen, selber Impfstoff herzustellen», sagte
Neher. Wichtig seien langfristige Strategien, durch die betroffene
Länder unabhängig werden könnten von dem, was ihnen von reichen
Staaten «als Brosamen vom Tisch zur Verfügung gestellt wird».

«Langfristig braucht Afrika eigene Produktionskapazitäten», sagte
auch Karoline Lerche von One. Die G7-Staaten hätten sich mit der EU
über 2,6 Milliarden mehr Impfdosen gesichert als sie brauchten. Das
Nachsehen hätten ärmere Länder: Weniger als ein Prozent der Impfungen

weltweit seien Menschen verabreicht worden, die in Ländern mit
niedrigem Einkommen leben. «Dieser Impfnationalismus kann Leben
kosten und die Pandemie um Jahre verlängern.»