Vorwurf Vergewaltigung im Krankenhaus: Gericht rät Arzt zur Aussage Von Carsten Linnhoff, dpa

Dass ein Gericht den Angeklagten über die Vor- und Nachteile eines
Geständnisses aufklärt, ist nichts Ungewöhnliches. Am Landgericht
Bielefeld aber brannten dem Vorsitzenden Richter die Hinweise auf den
Nägeln und er sprach von keinem alltäglichen Fall.

Bielefeld (dpa) - Bei der Verlesung der Anklage wirkte das Ehepaar
noch regungslos. Als gerade frisch angestellter Assistenzarzt soll
der Mediziner in einem Krankenhaus in Gütersloh von September bis
Dezember 2020 mehrere Frauen sexuell missbraucht und vergewaltigt
haben. Dabei soll er das Vertrauens- und Abhängigkeitsverhältnis
zwischen Arzt und Patientinnen ausgenutzt haben. Teils soll er
Frauen, die nach einer Operation über Schmerzen klagten, statt einem
Schmerz- ein Betäubungsmittel gespritzt haben. Der Mann mit Kinnbart
und zu einem Zopf zusammengebundenen langen dunklen Haaren sitzt im
Landgericht Bielefeld eine Reihe hinter seiner Frau. Die 43-Jährige
ist wegen des Anbaus von Drogen mit angeklagt.

Als sich der Vorsitzende Richter nach Verlesung der Anklagepunkte
direkt an den Mediziner wendet, hört der 43-jährige aufmerksam zu. Er
wirkt ehrlich interessiert. Carsten Wahlmann betont, dass ihm und den
Richterkollegen etwas auf den Nägeln brenne. «Das ist kein
alltäglicher Fall. Sie sind hier angeklagt wegen eines Verbrechens.
Und am Ende sind Extrempositionen möglich. Vom Freispruch bis einer
Haftstrafe im zweistelligen Bereich», sagte der Vorsitzender Richter.
«Sie sollten nicht denken, wir sind doch nicht vorbestraft, wir
kommen sicher mit einer Bewährungsstrafe davon.» Die Verteidigerin
des Mediziners nickt wiederholt mit dem Kopf.

Am ersten Prozesstag war allerdings noch keine Einlassung der beiden
Angeklagten geplant. Die Sachverständigen, die sich ein Bild über das
Ehepaar machen sollen, waren noch nicht geladen, aber Wahlmann machte
dem ehemaligen Narkosearzt deutlich: Eine Einlassung zu den Vorwürfen
am nächsten Verhandlungstag am 21. Juni könne sinnvoll sein. «Auch
für den Fall einer Verurteilung und einer späteren Haftprüfung»,
schaute Wahlmann bereits weit in die Zukunft.

Die betroffenen Frauen, die als Nebenklägerinnen am Landgericht
Bielefeld an dem Verfahren beteiligt sind, waren zum Auftakt nicht im
Saal. Eine ihrer Anwältinnen kündigte aber für ihre Mandantin an,
dass sie an bestimmten Tagen kommen werde. Sie sei eine starke Frau.
Allein, dass sie den Fall angezeigt habe, sei nicht hoch genug zu
bewerten.

Angeklagt ist auch der Punkt Besitz von kinder- und
jugendpornografischen Bildern. Die Ermittler hatten bei dem
Angeklagten in einem Rucksack Abbildungen von sieben bis acht Jahre
alten Mädchen auf einem Speicherstick gefunden. Die weit über 100
Fotos zeigen sexuellen Missbrauch und Vergewaltigungen von Kindern.

Dass auch die Ehefrau des Arztes mit im Landgericht auf der
Anklagebank sitzt, liegt an einer Hausdurchsuchung in Oelde. Die
Ermittler hatten eine illegale Drogenplantage entdeckt.

Bis September sind 19 weitere Termine angesetzt. Ob das geplante
Programm mit allen Zeugenaussagen Bestand haben wird, hängt von einer
Aussage des 43-Jährigen am zweiten Prozesstag ab. Ob weitere
Zeuginnen geladen werden müssen? Richter Wahlmann äußert Zweifel.
Einige Mitarbeiterinnen des Krankenhauses hätten den Angeklagten zwar
gesehen, könnten sich aber nicht an mehr erinnern, sagte der
Vorsitzender Richter und schloss den ersten Prozesstag.