Ringen um Ausgangsbeschränkungen in NRW-Kreisen dauert an

Bisher gelten sie in NRW nur vereinzelt, doch mit der
Bundes-Notbremse könnten nächtliche Ausgehverbote für viel mehr
Bürger kommen. Die politische Tragweite der Kritik eines Gerichts in
Arnsberg dazu ist also groß - die Folgen sind noch nicht absehbar.

Arnsberg (dpa/lnw) - Das juristische Ringen um nächtliche
Ausgangsbeschränkungen in nordrhein-westfälischen Kommunen und
Kreisen mit besonders vielen Corona-Neuinfektionen dauert an. Nachdem
das Verwaltungsgericht Arnsberg gleich in mehreren Verfahren solche
Regelungen beanstandet hatte, wollen die betroffenen Kreise
Siegen-Wittgenstein und der Märkische Kreis die Streitfrage dem
Oberverwaltungsgericht (OVG) vorlegen - das Thema habe, so der
Märkische Landrat Marco Voge (CDU), «landes- und bundespolitische
Tragweite». Beschwerden lagen dem Oberverwaltungsgericht am Mittwoch
jedoch zunächst nicht vor.

Ohne rechtskräftige Entscheidung bleibe die Ausgangsbeschränkung im
Märkischen Kreis vorerst bestehen, hieß es aus dem Kreishaus in
Lüdenscheid. Die umstrittene Allgemeinverfügung läuft allerdings am
kommenden Montag aus. Auch daher soll noch in dieser Woche Beschwerde
eingelegt werden. Auch der Kreis Siegen-Wittgenstein betonte, die
Notbremse mit Ausgangsbeschränkungen bleibe in Kraft, die
Ordnungsämter würden ihre Kontrollen fortsetzen.

Angesichts von Werten, die zuletzt immer wieder jenseits einer
7-Tages-Inzidenz von 200 lagen, sehe man sich zum Handeln gezwungen,
um Menschenleben zu schützen und zu retten, teilte Siegens Landrat
Andreas Müller (SPD) am Mittwoch mit. Er betonte, das Gericht habe
schließlich Ausgangsbeschränkungen nicht rundheraus abgelehnt,
sondern den Kreisen aufgegeben, detaillierter zu begründen, inwieweit
private Kontakte in der Nacht draußen einen Anteil am
Infektionsgeschehen haben. Das Land habe zudem zugesagt,
Ausgangsbeschränkungen auch in einer Landesverordnung zu verankern,
um damit Rechtssicherheit zu schaffen.

Nächtliche Ausgangsbeschränkungen galten in NRW bisher nie
landesweit, aber zeitweise in mehreren Kreisen und Städten mit
besonders vielen Corona-Fällen. Zuletzt hatten etwa die Kreise
Siegen-Wittgenstein, Minden-Lübbecke und der Märkische Kreis sowie
Remscheid und Hagen in enger Abstimmung mit dem Land verfügt, dass
die Menschen zwischen 21.00 Uhr und den frühen Morgenstunden nicht
mehr ohne triftigen Grund unterwegs sein dürfen. Nach Klagen dagegen
aus dem Märkischen Kreis, Siegen-Wittgenstein und Hagen entschieden
die Verwaltungsrichter in Arnsberg nun in den ersten der anhängigen
Eilverfahren, die Regelung sei unverhältnismäßig und ihre Wirksamkeit

zur Pandemieeindämmung nicht ausreichend begründet.

Es spreche vielmehr vieles für eine nur begrenzte Wirksamkeit, so das
Gericht. Private Kontakte seien durch andere Regelungen bereits stark
eingeschränkt. Der Kreis habe nicht begründen können, warum gerade
private Kontakte zur Nachtzeit einen ins Gewicht fallenden Anteil am
gesamten Infektionsgeschehen haben sollen, hieß es in mehreren
gleichlautenden Beschlüssen in der Sache. Sie betreffen den
Märkischen Kreis sowie den Kreis Siegen-Wittgenstein. Eine
Entscheidung zu einer am Dienstag in Kraft gesetzten nächtlichen
Ausgangsbeschränkung in Hagen stand am Mittwoch noch aus.

Wann und ob das OVG sich mit der Sache befasst, ist ebenfalls noch
offen. Während die Beschwerde aus dem Märkischen Kreis zwar für die
se
Woche angekündigt, aber am Mittwoch noch nicht eingegangen war, sei
es «nach Lage der Dinge unwahrscheinlich, dass wir noch in dieser
Woche eine Entscheidung fällen», teilte eine OVG-Sprecherin mit. Wird
die strittige Allgemeinverfügung zur Ausgangsbeschränkung im
Märkischen Kreis nicht über diesen Sonntag hinaus verlängert, würde

das OVG nicht mehr in der Eilsache entscheiden müssen. Die
Ausgangsbeschränkungen für den Kreis Siegen-Wittgenstein laufen
jedoch bis zum 25. April.

Eine juristische Prüfung ist auch aus bundespolitischer Sicht
interessant: Das Bundeskabinett hatte am Dienstag die geplante
Bundes-Notbremse auf den Weg gebracht, die unter anderem
Ausgangssperren zwischen 21.00 und 5.00 Uhr vorsieht. Sie ist eine
von mehreren geplanten Änderungen im Infektionsschutzgesetz. Dieses
soll kommende Woche erst vom Bundestag beschlossen werden und dann
den Bundesrat passieren soll - trotz deutlicher Kritik einiger Länder
und der Opposition im Bundestag.

Kritik kommt etwa von der FDP, die sich unter anderem auf ein
Gutachten des Münsteraner Staatsrechtlers Hinnerk Wißmann stützen
kann. In einer Ad-hoc-Stellungnahme im Auftrag der
nordrhein-westfälischen FDP-Landtagsfraktion äußert der
Wissenschaftler verfassungsrechtliche Bedenken und kritisierte
«statisch angeordnete Eingriffe in die Bürgerrechte».

Auch der Aerosol-Forscher Gerhard Scheuch hält Ausgehverbote für
kontraproduktiv: «Wenn wir Ausgangssperren verhängen, dann
suggerieren wir der Bevölkerung: Achtung! Draußen ist es gefährlich.

Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Wenn die Leute in Innenräumen
bleiben, dann ist es gefährlich», sagte er im «Morgenecho» von WDR
5.