Parallelwelt aus Wut und Waffen: Auch Mann aus Uelzen auf Anklagebank Von Nico Pointner, dpa

Im Prozess gegen zwölf mutmaßliche Rechtsterroristen in Stuttgart tun
sich Abgründe auf. Auf der Anklagebank sitzt auch Tony E. aus dem
Kreis Uelzen. Ein Ausflug in die rechte Unterwelt.

Stuttgart (dpa) - Es sind zwölf unterschiedliche Männer, die da auf
der Anklagebank sitzen. Einer ist Krankenpfleger, einer Trockenbauer,
einer Lagerist, mehrere sind arbeitslos. Der eine ist 61 Jahre alt,
der andere gerade mal 32. Der eine kommt aus Minden in
Nordrhein-Westfalen, der andere aus München in Bayern. Auch Tony E.
(40) ist darunter, er stammt aus dem Kreis Uelzen und ist beim
Verfassungsschutz in Niedersachsen kein Unbekannter.

Glaubt man der Bundesanwaltschaft, verbindet alle zwölf Männer eine
Gemeinsamkeit: Der Hass auf Ausländer, auf Muslime und Juden, auf
politisch Andersdenkende. Und der Wunsch nach einer neuen
Gesellschaftsordnung, einem anderen Deutschland.

Diese Gemeinsamkeit ist der Grund, warum sich die zwölf Männer seit
Dienstag vor dem Oberlandesgericht in Stuttgart verantworten müssen.
Einer hält leicht zitternd einen Ordner vors Gesicht, als er in
Handschellen in den Saal geführt wird, dem anderen reicht die
Corona-Maske als Verhüllung. Die rechtsterroristische Vereinigung
«Gruppe S.» soll Äxte, Schwerter und Schusswaffen gehortet und
Angriffe auf Moscheen geplant haben. Der Anklage zufolge wollten sie
«bürgerkriegsähnliche Zustände» auslösen und die Gesellschaftso
rdnung
ins Wanken bringen.

Die Verhandlung ist ein Mammutprozess, im Gerichtssaal wimmelt es von
Ordnern der Justiz und von Rechtsanwälten in Roben. «Ich wüsste hier

kein Verfahren, dass so viele Angeklagte hatte», sagte der
Gerichtssprecher des Oberlandesgerichts. Die Angeklagten sitzen
abgetrennt hinter dicken Glasscheiben. Bis Mitte 2022 sind Termine
für die Verhandlungen geblockt.

«Für uns alle ist das Neuland, was den Umfang angeht», sagte
Rechtsanwalt Daniel Sprafke, der einen der Angeklagten vertritt. Er
betonte zum Prozessauftakt, dass die Gruppe keineswegs homogen sei.
Nicht alle hätten am gleichen Strang gezogen - «wenn überhaupt». Kl
ar
ist: Bis zu einer Verurteilung gilt die Unschuldsvermutung.

Es ist ein besonderes Verfahren, weil es offenbaren kann, wie die
Rechtsextremisten sich vernetzen und organisieren. Die Männer um den
als Rädelsführer angeklagten Werner S. aus dem Raum Augsburg wollten
der Anklage zufolge Muslime töten und einen Bürgerkrieg anzetteln. Er
soll versucht haben, Führungspersonal aus der rechten Szene für seine
Gruppe zu rekrutieren, weil er sich von ihnen viel
Mobilisierungspotenzial versprochen habe.

Auf Betreiben von Werner S. soll sich die Gruppe laut
Bundesanwaltschaft im September 2019 gegründet haben. Auch Tony E.
aus dem Kreis Uelzen ist dabei, er gilt als rechte Hand von Werner S.
und ebenfalls als Rädelsführer. Mal war er Krankenpfleger, dann
arbeitete er in der Security. Dem Verfassungsschutz in Niedersachsen
war der Mann bereits vor seiner Festnahme aus verschiedenen
Zusammenhängen als Rechtsextremist bekannt.

Die Vertreterin der Bundesanwaltschaft sagte am Dienstag beim
Prozessauftakt, die Männer seien gut vernetzt gewesen in der
rechtsextremen Szene und hätten teils enge Kontakte zu
Waffenlieferanten besessen. Die Angeklagten hätten der
Bundesanwaltschaft zufolge eine ausländerfeindliche und
nationalsozialistische Grundhaltung geteilt, hätten von
«Menschenmüll» und «Kakerlaken» gesprochen. Sie vernetzten sich
demnach über Telegram-Chatgruppen und trafen sich mehrmals
persönlich, wollten sich Waffen besorgen und damit Moscheen
überfallen, hatten aber auch Politiker und Andersdenkende im Visier.