Kabinett billigt Bundes-Notbremse - Ausgangsbeschränkungen in Sicht

Nach wochenlangem Hickhack soll der Lockdown verschärft werden. Die
Regierung will die dritte Coronawelle mit einheitlichen Vorschriften
brechen. Noch in der Nacht wurden viele Wünsche der Länder
berücksichtigt.

Berlin (dpa) - Die Menschen in weiten Teilen Deutschlands müssen sich
auf Ausgangsbeschränkungen und geschlossene Läden nach bundesweit
verbindlichen Vorgaben einstellen. Entsprechende Änderungen des
Infektionsschutzgesetzes hat die Bundesregierung am Dienstag
beschlossen, wie die Deutschen Presse-Agentur erfuhr. Ziel ist die
bessere Eindämmung der Corona-Pandemie. Schon kurz nach dem Beschluss
wurde erste Kritik laut. Die Parteien im Bundestag dürften auf
Änderungen drängen.

Vorgesehen sind unter anderem Ausgangsbeschränkungen. So soll von
21.00 bis 5.00 Uhr der Aufenthalt außerhalb einer Wohnung oder eines
dazugehörigen Gartens im Grundsatz nicht erlaubt sein. Dies soll
nicht gelten, wenn der Aufenthalt etwa der Versorgung von Tieren oder
der Berufsausübung dient. Gelten sollen diese und andere
Beschränkungen, wenn in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt
an drei aufeinanderfolgenden Tagen die 7-Tage-Inzidenz über 100
liegt. Das bedeutet, dass binnen einer Woche mehr als 100
Neuinfizierte auf 100 000 Einwohner kommen.

Dieser Punkt ist allerdings umstritten. «Im weiteren Verfahren werden
wir nochmal intensiv prüfen, dass neben dem Inzidenzwert weitere
Kriterien herangezogen werden», kündigte SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese
an. Auch die FDP hat hier Bedenken. «Das Gesetz soll an die nackte
Inzidenzzahl als Tatbestand geknüpft sein. Die aber ist unzuverlässig
und bildet die Lage vor Ort nicht ausreichend klar ab», sagte der
Parlamentarische Geschäftsführer Marco Buschmann der «Welt»
(Mittwoch).

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach forderte, die geplanten
Ausgangsbeschränkungen nicht aufzuweichen. Ausgangssperren hätten in
Portugal, England und Frankreich eine wichtige Rolle bei der
Pandemiebekämpfung gespielt, sagte er der «Augsburger Allgemeinen».
Studien hätten auch eine klare Wirksamkeit erwiesen.

In einem neuen Paragrafen 28b des Infektionsschutzgesetzes soll
ferner festgelegt werden, dass private Zusammenkünfte im öffentlichen
oder privaten Raum dann nur gestattet sind, wenn an ihnen höchstens
die Angehörigen eines Haushalts und eine weitere Person
einschließlich dazugehörender Kinder bis zur Vollendung des 14.
Lebensjahres teilnehmen. Bei Todesfällen sollen bis zu 15 Personen
zusammenkommen dürfen.

Unter anderem dürfen bei einer höheren Inzidenz zudem die meisten
Läden und die Freizeit- und Kultureinrichtungen sowie die Gastronomie
nicht öffnen. Ausgenommen werden sollen der Lebensmittelhandel,
Getränkemärkte, Reformhäuser, Babyfachmärkte, Apotheken,
Sanitätshäuser, Drogerien, Optiker, Hörgeräteakustiker, Tankstellen
,
Stellen des Zeitungsverkaufs, Buchhandlungen, Blumenfachgeschäfte,
Tierbedarfsmärkte, Futtermittelmärkte und Gartenmärkte. Hier sollen
Abstand- und Hygienekonzepte gelten.

Die Ausübung von Sport soll nur in Form von kontaktloser Ausübung von
Individualsportarten erlaubt sein. Sie sollen allein, zu zweit oder
mit den Angehörigen des eigenen Hausstands ausgeübt werden dürfen.
Ausnahmen gibt es auch weiter für den Wettkampf- und Trainingsbetrieb
der Berufssportler und der Leistungssportler der Bundes- und
Landeskader, aber weiter nur ohne Zuschauer.

Geöffnet werden dürfen demnach Speisesäle in medizinischen oder
pflegerischen Einrichtungen, gastronomische Angebote in
Beherbergungsbetrieben, die ausschließlich der Bewirtung zulässig
beherbergter Personen dienen, Angebote für obdachlose Menschen, die
Bewirtung von Fernbusfahrerinnen und Fernbusfahrern sowie
Fernfahrerinnen und Fernfahrern und nicht-öffentliche Kantinen. Auch
die Auslieferung von Speisen und Getränken sowie deren Verkauf zum
Mitnehmen soll weiter erlaubt sein.

Übernachtungsangeboten zu touristischen Zwecken sollen bei
entsprechenden Inzidenzen in einer Region aber untersagt sein.

Geöffnet werden dürften laut dem Beschluss Dienstleistungen, die
medizinischen, therapeutischen, pflegerischen oder seelsorgerischen
Zwecken dienen sowie Friseurbetriebe - jeweils mit Maske.

An Schulen soll Präsenzunterricht nur mit zwei Coronatests pro Woche
gestattet werden. Überschreitet in einem Landkreis oder einer
kreisfreien Stadt an drei aufeinander folgenden Tagen die
7-Tage-Inzidenz 200, soll Präsenzunterricht untersagt werden.
Vorgesehen ist zudem, dass der Bund über eigene Verordnungen die
Corona-Maßnahmen vor Ort steuern kann - dazu bräuchte es aber jeweils
die Zustimmung von Bundestag und Bundesrat.

Dieser Zustimmungsvorbehalt des Bundestags sei ein entscheidender
Punkt, sagt SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese, der das Gesetz mit
ausgehandelt hat. «Hier haben wir als SPD-Fraktion bereits jetzt
einen wichtigen Punkt verankert.» Die FDP sieht das deutlich
kritischer. Die Einbindung des Parlaments bleibe vage, kritisierte
Buschmann. Die Frist sei zu kurz. «So wird vermutlich in der Praxis
jedes Mal die Zustimmung des Parlaments fingiert sein, wenn eine
solche Verordnung kurz nach einer regulären Sitzungswoche erlassen
wird, ohne dass parlamentarische Beratungen zu der Rechtsverordnung
stattgefunden haben.»

Stundenlang war unter Hochdruck über die Regelungen verhandelt
worden. Nach dpa-Informationen sollen in der Vorlage Fraktions- und
Länderwünsche von der Bundesregierung in wichtigen Punkten
berücksichtigt worden sein. Nach dem Kabinettsbeschluss soll das
Gesetz möglichst in einem beschleunigten Verfahren vom Bundestag
beschlossen werden und den Bundesrat passieren.

Neben der Novelle des Infektionsschutzgesetzes hat das Kabinett auch
eine Pflicht für Angebote von Coronatests in Unternehmen auf den Weg
gebracht. Der Entwurf einer geänderten Arbeitsschutzverordnung sieht
vor, dass die Unternehmen ihren Beschäftigten in der Regel einmal in
der Woche Tests zur Verfügung stellen.

Die schärferen Lockdown- und Testregeln sollen die Zahl der
Infizierten, Covid-19-Kranken und Todesfälle drücken, bis auch durch
immer mehr Impfungen die Pandemie eingedämmt werden kann.