Wende in Corona-Strategie: Bundesweit einheitliche Regeln geplant

Die Corona-«Notbremse» soll künftig einheitlich angewendet werden, es

soll keinen «Flickenteppich» unterschiedlicher Regeln mehr geben. So
zumindest der Plan der Bundesregierung. Außerdem könnte es schärfere

Maßnahmen geben - denn Experten schlagen Alarm.

Berlin (dpa) - Mit bundesweit einheitlichen und verpflichtenden
Regeln für Regionen mit hohen Infektionszahlen soll die dritte
Corona-Welle in Deutschland gebrochen werden. Nach massiven
Streitigkeiten kam es am Freitag zu einer überraschenden Wende bei
der Strategie von Bund und Ländern: Die für diesen Montag vereinbarte
Runde von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpräsidenten
fällt aus - stattdessen soll unter Federführung des Bundes im
Eilverfahren das Infektionsschutzgesetz nachgeschärft werden. Ziel
sei es, bundesweit einheitliche Regelungen zu schaffen, sagte die
stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer.

Aus Sicht von Medizinern ist es höchste Zeit: Trotz einer steigenden
Zahl von Impfungen ist die Infektionslage nach Angaben von Experten
alarmierend. Intensivmediziner warnen vor einer Überlastung des
Gesundheitssystems: «Es brennt. Die Lage ist sehr dramatisch. Jeder
Tag zählt», sagte der Präsident der Deutschen Interdisziplinären
Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, Gernot Marx.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) verlangte, die dritte
Welle müsse gebrochen, die sozialen Kontakte müssten eingeschränkt
werden, notfalls auch mit nächtlichen Ausgangssperren.

Die Bundesregierung setzt darauf, dass es jetzt schnell geht: Die
Änderungen am Infektionsschutzgesetz sollen laut Demmer schon in der
kommenden Woche vom Kabinett beschlossen werden. Die nächste Sitzung
der Bundesregierung werde von Mittwoch auf Dienstag vorgezogen. Eine
Ministerpräsidentenkonferenz soll es in der nächsten Woche überhaupt

nicht mehr geben.

Der Bundestag muss den Änderungen zustimmen, er kommt planmäßig vom
kommenden Mittwoch bis Freitag zusammen. Auch der Bundesrat muss die
Nachschärfungen billigen. Die nächste Sitzung der Länderkammer ist am

7. Mai geplant, es könnte aber eine Sondersitzung geben.

Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) sagte, derzeit gebe es zu viele
unterschiedliche Lockdown-Regelungen, von Schulschließungen bis zu
den Anfangszeiten von Ausgangsbeschränkungen. Die Bürger brauchten
Transparenz, Klarheit und die Sicherheit, dass Maßnahmen überall dort
auch eingesetzt würden, wo die Infektionszahlen hoch seien. Die
geplante Erweiterung des Infektionsschutzgesetzes könne nach vielen
Gesprächen mit Bundestagsabgeordneten und Ministerpräsidenten der
vergangenen Tage nun auf die Unterstützung Vieler setzen.

Für den Fall, dass die Sieben-Tage-Inzidenz in einer Region den Wert
von 100 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner übersteigt, hatten Bund
und Länder bereits Anfang März Regeln vereinbart: Alle Lockerungen
der Corona-Maßnahmen müssten demnach wieder vollständig
zurückgenommen werden. Allerdings hat sich in den vergangenen Wochen
vielfach gezeigt, dass diese sogenannte Notbremse nicht ausreichend
angewendet wird - wie etwa Merkel kritisiert hatte.

Offenbar sollen diese Regeln nun im Infektionsschutzgesetz
verbindlich festgeschrieben werden. Wie die zusätzlichen Regelungen
aussehen könnten, wollte Demmer am Freitag nicht sagen. «Das wäre den

Verhandlungen vorgegriffen.» Sie betonte, dass das Vorgehen in enger
Abstimmung zwischen Bund und Ländern vereinbart worden sei.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sagte der «Süddeutschen
Zeitung: «Es ist zwingend notwendig, dass im 13. Monat der Pandemie
das Parlament das Heft des Handelns in die Hand nimmt und damit auch
Verantwortung übernimmt.» Je länger die Pandemie andauere, desto mehr

stelle sich die Frage, ob so einschneidende Beschlüsse auf der
Basis von Verordnungen gefasst werden könnten.

Nach Darstellung von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble lässt sich

das Infektionsschutzgesetz in kürzester Zeit ändern. «Es kann schnell

gehen, wenn die Beteiligten alle wollen», sagte der CDU-Politiker am
Donnerstagabend im ZDF-«Heute Journal». Zur Not könne dies sogar in
einer einzigen Sitzungswoche passieren.

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) sagte
der Deutschen Presse-Agentur in Mainz: «Unser Ziel ist es, die dritte
Welle zu brechen, um Menschenleben zu retten, um schwere
Krankheitsverläufe und kritische Lagen in den Krankenhäusern zu
verhindern und unsere Wirtschaft weiter zu stabilisieren.» Dazu
müssten alle zusammenarbeiten.

Die Lage in den Kliniken sei zutiefst besorgniserregend, warnte der
Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv-

und Notfallmedizin, Marx. Es gebe einen ungebremsten und dramatischen
Anstieg von Covid-Patienten. Beim Impfen sei die Bundesrepublik auf
der Zielgeraden. Deutschland dürfe aber nicht auf den letzten Metern
Menschen gefährden - kurz bevor sie durch eine Impfung geschützt
werden könnten, sagte er. «Wir brauchen aber mehr Zeit fürs Impfen.
»

Der Präsident des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, warnte davor,
sich von den niedrigeren Meldezahlen rund um Ostern beirren zu
lassen: «Wir haben genug andere Informationen. Wenn wir wissen, dass
die dritte Welle da ist, und wenn wir wissen, dass wir in einem
exponentiellen Wachstum sind, dann kann es doch nicht sein, dass man
sich durch einige niedrige Zahlen über einige Tage irritieren lässt.»


Das RKI geht davon aus, dass sich in den Ferien weniger Menschen
testen ließen, was zu einer geringeren Meldezahl an die
Gesundheitsämter führte. Nach Daten vom Freitag haben die Ämter in
Deutschland dem RKI binnen eines Tages 25 464 Corona-Neuinfektionen
gemeldet, gut 3500 mehr als vor einer Woche. Zudem wurden innerhalb
von 24 Stunden 296 neue Todesfälle verzeichnet, das waren gut 60
mehr.