Unterschiede bei Corona-Regeln: Sehnsuchtsvoller Blick über den Rhein Von Bernadette Winter und Sebastian Gollnow , dpa

Variierende Corona-Beschränkungen können gerade in Grenzgebieten zu
sehr unterschiedlichen Regelungen auf engem Raum führen - etwa bei
den Nachbarstädten Mainz und Wiesbaden. Ein Besuch.

Wiesbaden/Mainz (dpa) - Michael Spannaus ist zufrieden. Dreimal die
Woche kann der 73-Jährige bei David Fitness in Wiesbaden wieder
trainieren - endlich, wie er sagt. Die Maske auf der Nase sitzt er am
Rudergerät, alles, was er anfasst, desinfiziert er anschließend
gründlich. «Ich bin sehr vorsichtig, aber ich vertraue dem Studio»,
erklärt der Wiesbadener.

Seit dem 8. März haben die zwei Studios von David Zimmermann, David
Fitness und Halle 46, wieder geöffnet. «Wir sind auf den Rücken
gefallen», berichtet Zimmermann von dem Moment, als er erfahren hat,
dass er öffnen darf. Das ganze Wochenende hätten er und seine
Mitarbeiter daran gearbeitet, die Studios zu putzen, ein
Online-Anmeldesystem zu installieren, zu heizen. «Am Montag standen
um zwanzig vor sieben die ersten Gäste vor der Tür.»

70 Personen dürfen bei David Fitness trainieren, 50 in der Halle 46.
«Normal» wären um die 300. Für Zimmermann bedeutet das ein
monatliches Minus von über 20 000 Euro. 50 bis 100 Mitglieder
kündigen nach Angaben des 56-Jährigen im Schnitt pro Monat, mehr als
1000 lassen ihren Vertrag ruhen.

Weil wenige Kilometer weiter in Mainz nicht trainiert werden kann,
erreichen Zimmermann Anfragen von Rheinland-Pfälzern. «Das ist
schwierig für uns, wir können nicht mal unseren Gästen alles
anbieten», erläutert Zimmermann. Er wolle lieber seine treuen Kunden
belohnen als mit Gästen von außerhalb Geld zu machen.

Von einem offenen Betrieb wie in Wiesbaden kann Torben Stündl vom
Gym7 nur träumen. Seine Studios in Mainz-Hechtsheim und Mommenheim
(Kreis Mainz-Bingen) sind geschlossen. «Ich gönne jedem sein Glück,
aber es ist schon eine schwierige Situation», antwortet er auf die
Frage, ob er neidisch ist auf Zimmermann. «Es kann nicht sein, dass
man auf der anderen Rheinseite trainieren darf und wir sitzen hier
und dürfen nicht.»

In Mommenheim sowie in Mainz kann Stündl momentan nur mit einer
Person draußen trainieren - ohne Geräte. In den vergangenen Wochen
habe er auch bei Minusgraden draußen Kurse angeboten, die Mitglieder
seien gekommen. «Das ändert sich aber gefühlt täglich», erklärt

Stündl. Erst hätten bis zu zehn Personen teilnehmen dürfen, dann
seien es nur fünf Personen aus zwei Haushalten gewesen, und jetzt
dürften keine Kurse angeboten werden, da Mainz bei einem Inzidenzwert
von über 100 sei.

«Ältere Menschen stehen weinend vor mir und sagen, sie haben
Schmerzen», erzählt Stündl. Gerade für die Gesundheit und gegen
körperliche Beschwerden sei Sport unverzichtbar. Trotzdem kündigten
einige Mitglieder aus Angst und weil sie nicht wüssten, was die
Zukunft bringe.

Welche Auswirkungen nach Bundesland variierende Corona-Beschränkungen
haben können, lässt sich am Mainzer Rheinufer beobachten. Dort
schieben zwei Frauen ihre Kinderwagen durch die Mittagssonne, für
sie gilt ebenso wie für Jogger oder Radfahrer die Maskenpflicht.
Genau gegenüber in Mainz-Kastel, das zu Wiesbaden gehört, nicht.

«Die verschiedenen Regeln sind ein Wahnsinn», sagt Bernd Gese, der
sich mit Stefanie Behrens zu einem spontanen Mittagessen am
Wiesbadener Ufer eingefunden hat. Niemand blicke mehr durch, man
müsse sich eine Landkarte malen, um zu wissen, was wo gelte. «Wir
waren überrascht, dass man hier etwas kaufen kann», meint Behrens,
die aus Wiesbaden kommt. Ein örtliches Restaurant hat einen kleinen
Stand aufgebaut, verkauft dort unter anderem Wein zum Mitnehmen.

Zurück auf der Mainzer Seite lockt der Einzelhandel mit dem Konzept
«Click and Meet», also Terminshopping. Wenige Kunden nutzen das als
«Personal Shopping» auf Schildern beworbene Einkaufen an diesem
Nachmittag. «Mir ist das Shoppen total vergangen», sagt eine Frau im
Vorbeigehen zu einer anderen. Einzig vor einer Apotheke hat sich eine
Schlange gebildet.

In Hessen sei die Landesinzidenz die ausschlaggebende Größe,
erläutert Martin Schüller, Geschäftsführer des Einzelhandelsverband
s
Hessen-Nord. Weil die über 100 liege, seien die zunächst
beschlossenen Lockerungen zurückgenommen worden. Es sei jedoch
möglich, Ware über das Internet zu bestellen und einen Termin zur
Abholung zu vereinbaren. In Rheinland-Pfalz hingegen entscheiden
Städte und Kreise unabhängig von der Landesinzidenz, ob sie die
Notbremse ziehen. Hier ist also Terminshopping teilweise noch
möglich.

Genau das will der Handelsverband für das Nachbarbundesland Hessen.
Das Konzept «Click and Meet» habe sich bewährt, meint Schüller.
Deshalb sei jetzt vor allem der innerstädtische Einzelhandel
frustriert. «Wir fühlen uns als Bauernopfer», sagt Schüller. Die
Ansteckungsgefahr im Einzelhandel sei gering, Hygienekonzepte lägen
vor, die Mitarbeiter ließen sich freiwillig testen.

«Die Auswirkungen der Schließungen auf die Mitarbeiter und die Gäste

werden außer Acht gelassen», bemängelt Fitness-Studio-Besitzer
Zimmermann - und meint damit sowohl die wirtschaftlichen als auch die
gesundheitlichen Folgen. Viele Mitarbeiter seien überschuldet, er
könne ihnen aber nicht wie früher helfen, weil er selbst seit einem
Jahr nur Verluste mache. «Ich weiß gar nicht, wie ich das wieder
auffangen soll.» Dennoch: Kunden wie Spannaus seien glücklich, wieder
kommen zu dürfen. «Die Menschen brauchen den Sport, um gesund zu
bleiben.»