Virologin Ciesek sieht Öffnungsstrategien kritisch

Mehr Lockerungen für Gastronomie und Handel? Die Frankfurter
Virologin Sandra Ciesek warnt vor dem Gefühl falscher Sicherheit.
Auch Reisen ist für sie trotz Testpflicht ein Risikofaktor.

Frankfurt/Main (dpa) - Die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek sieht
Öffnungsstrategien wie etwa im Saarland oder in Modellregionen
kritisch. «Die Verantwortung wird auf den Bürger abgewälzt», sagte

die Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie am
Universitätsklinikum Frankfurt am Dienstag im NDR-Podcast «Das
Coronavirus-Update». «Wenn geöffnet wird, muss dem Bürger klar sein
,
dass das nichts mit Sicherheit zu tun hat.» Es dürfe nicht der
Eindruck entstehen, «dass das sicher ist», sondern jeder müsse
individuell entscheiden, sich auf diese Freiheiten einzulassen oder
auf Vorsicht zu setzen.

Auch wenn es bei der Entwicklung der Infektionszahlen vor Ostern eine
gewisse Abflachung gegeben habe und in einigen Städten die
Inzidenzwerte über Ostern gesunken seien, halte sie es für riskant,
aus diesen Zahlen eine Ablehnung von Maßnahmen und Beschränkungen
abzuleiten, sagte die Virologin. Zum einen werde bekanntlich über die
Feiertage weniger getestet, zum anderen hätten womöglich manche
Menschen vor Ostern Kontakte beschränkt, um dann an den Feiertagen
Angehörige treffen zu können. «Man muss schon schauen, wie geht es
nach Ostern weiter.»

Sorge bereite der Anstieg der Patienten in dem Krankenhäusern und der
Zuwachs bei der Belegung der Intensivbetten durch jüngere Patienten,
die zwar bessere Überlebenschancen als 80- oder 90-Jährige hätten,
aber auch längere Zeit auf den Intensivstationen verbrächten -
«Wochen oder auch Monate». Noch immer seien in den Intensivstationen
Patienten der zweiten Infektionswelle - das sei eine ganz andere
Ausgangslage als im vergangenen Sommer.

Ein Impfeffekt sei noch nicht in Sicht, sagte Ciesek. Es reiche nicht
aus, auf den Effekt der Impfungen zu sehen und Kontaktbeschränkungen
aufheben zu können. Wichtig sei zudem, dass Geimpfte nach der ersten
Impfung nicht auf Vorsichtsmaßnahmen verzichteten. Nach der ersten
Impfung gebe es die «gefährliche Phase», da sich Antikörper erst
entwickeln müssten, sagte Ciesek über Leichtsinn bei denjenigen, die
glaubten, nach der Impfung sofort vor einer Infektion geschützt zu
sein.

Zur Testpflicht von Reiserückkehrern sagte Ciesek: «Ich habe schon
das Gefühl, dass Reisen ein Risikofaktor sind.» Zum einen könnten
durch Rückkehrer neue Varianten ins Land gebracht werden, «zum andern
verhält man sich auch anders - sonst war's ja kein Urlaub.» Mancher
verhalte sich dann womöglich unvorsichtiger als im Alltag. Ein Test
sei allerdings «nur eine Momentaufnahme», betonte Ciesek. Ihrer
Ansicht nach reiche es zudem nicht, nur die Flughäfen abzusichern.
Wer etwa mit dem Auto nach Deutschland einreise, falle durchs Raster.
«Da besteht sicher noch Optimierungsbedarf.»