Hier kein Ausgang! Was nächtliche Sperren gegen Corona bringen Von Anne-Béatrice Clasmann und Sebastian Fischer, dpa

Die von Bund und Ländern zunächst geplante Osterruhe gibt es nicht.
Und doch wird das Leben in einigen Ecken Deutschlands weiter
heruntergefahren. Teilweise gilt bereits an den Feiertagen eine
nächtliche Ausgangssperre. Was kann das nützen?

Berlin (dpa) - In immer mehr Regionen in Deutschland werden abends
quasi die Bürgersteige hochgeklappt. Inzwischen gibt es eine ganze
Reihe von Städten und Kreisen, die im Kampf gegen die wieder
steigenden Corona-Zahlen nächtliche Ausgangsbeschränkungen
beschlossen haben. Die Millionenstadt Hamburg zählt dazu, die Gegend
um Hannover, die Stadt Halle, aber auch etliche Landkreise, zum
Beispiel in Brandenburg. Auf die Straße darf man dort in der Regel
nur noch aus triftigen Gründen.

Bringen diese Beschränkungen überhaupt etwas?

Wie groß tatsächlich der Effekt ist, lässt sich derzeit nicht genau
sagen. Die Datenlage zu dieser Maßnahme, die sich nur schwerlich
isoliert betrachten lässt, ist dürftig. Die Erfahrung zeigt: Ja, nach
der Einführung der Sperren geht in der Regel die Zahl der
Neuinfektionen zurück. Doch das könnte genauso auf flankierende
Aktionen wie schärfere Kontaktbeschränkungen zurückzuführen sein.

Grundsätzlich raten Epidemiologen, Kontakte zu meiden. Dabei sind
Ausgangsbeschränkungen einer der Bausteine eines ganzen Katalogs. Das
Argument: Wer private Treffen am Abend und Partys in der Nacht
verhindert, verhindert auch Neuansteckungen.

Was sagen wissenschaftliche Studien?

Dass es einen gewissen Effekt auf die Corona-Zahlen gibt, ist kaum zu
bestreiten. Umstritten bleibt allerdings, wie hoch dieser ist, und ob
daher die massiven Grundrechtseinschnitte verhältnismäßig sind.

Forscher um ein Team der Universität Oxford fanden jüngst heraus,
dass nächtliche Ausgangsbeschränkungen zwar die Verbreitung des
Covid-19-Erregers um rund 13 Prozent reduzieren können. Einen doppelt
so hohen Effekt (minus 26 Prozent) aber haben etwa strenge
Kontaktbeschränkungen wie die Begrenzung aller Treffen auf maximal
zwei Menschen, wie sie zum Beispiel auch Berlin für die Nächte ab
Karfreitag vorsieht. Die Studie muss noch von Fachleuten begutachtet
werden.

Mobilitätsforscher von Technischer Universität und Zuse-Institut in
Berlin kommen in ihrer jüngsten Studie zu der Erkenntnis, dass eine
Ausgangssperre am Abend und in der Nacht besonders Kontakte im
Privatbereich reduziere. Demnach zeigt eine Simulation von Mitte
Januar (als die ansteckendere Virusvariante B.1.1.7 noch nicht so
weit in Deutschland verbreitet war) eine Halbierung der Infektionen
im Freizeitbereich durch eine Ausgangssperre von 20 bis 6 Uhr.

Die Berliner Forscher nehmen aber an, dass die Bevölkerung
mittelfristig auf andere Zeiten für Treffen und Besuche ausweiche.
Daher könne dieses Werkzeug «relativ schnell stumpf werden», heißt
es
im Bericht von Mitte März.

Auch das, was manche Politiker als «Kollateralschäden» bezeichnen -
also etwa psychische Erkrankungen durch Vereinzelung und
Existenzängste -, lässt sich nicht leicht und vor allem nicht sofort
wissenschaftlich messen.

Was zeigen Erfahrungen aus Frankreich?

Auch dort gab es im vergangenen Frühjahr und Herbst sehr strenge
Lockdowns mit harten Ausgangsbeschränkungen. Die Menschen durften nur
mit Passierschein auf die Straße - und das auch nur im Radius von
einem Kilometer zur Wohnung. Teilweise waren Parks und Strände
geschlossen. Besonders zu Beginn wurden die Regelungen streng von der
Polizei kontrolliert - im Herbst aber deutlich weniger als im
Frühjahr. Diese drastischen Einschränkungen waren durchaus
erfolgreich, die Corona-Zahlen gingen deutlich zurück.

Eine Studie der Pariser Universität Sorbonne über die
Ausgangsbeschränkungen von Mitte Januar in Frankreich kommt zu dem
Schluss, dass die Sperrmaßnahmen seinerzeit die Übertragung des
historischen Virusstammes verringerte, während die neuere
B.1.1.7-Variante weiter wuchs.

Wie ist die rechtliche Situation in Deutschland?

Als eine von verschiedenen möglichen «notwendigen Schutzmaßnahmen»

sieht das Infektionsschutzgesetz bei einer epidemischen Lage von
nationaler Tragweite, wie sie derzeit in Deutschland festgestellt
ist, auch Ausgangsbeschränkungen vor.

Stephan Rixen, Staatsrechtler von der Universität Bayreuth, hält sie
auch für begründbar, da das Robert Koch-Institut (RKI) die
Gefährdungslage mittlerweile als hoch einschätzt. Er betont aber
gleichzeitig: «Grundsätzlich gilt: Je stärker die Grundrechte
beeinträchtigt werden, desto besser muss der Staat das begründen.»

Die Verwaltungsgerichte urteilten seit Beginn der Pandemie im
Einzelfall durchaus unterschiedlich - auch mit Blick auf die
jeweilige Situation vor Ort. Zwar blieben viele Eilanträge gegen
Ausgangsbeschränkungen erfolglos - etwa für Solingen und Gütersloh.


Der Verwaltungsgerichtshof von Baden-Württemberg kippte jedoch im
Februar eine Corona-Verordnung, die Ausgangsbeschränkungen von 20 Uhr
bis 5 Uhr vorsah. Das Gericht argumentierte, die Landesregelung habe
zuletzt die gesetzlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt. Nach dem
Infektionsschutzgesetz seien Ausgangsbeschränkungen nur möglich, wenn
ihr Unterlassen zu irgendwelchen Nachteilen in der Pandemiebekämpfung
führe. Sie kämen nur dann in Betracht, wenn der Verzicht auf sie -
auch unter Berücksichtigung aller anderen ergriffenen Maßnahmen - zu
einer wesentlichen Verschlechterung des Infektionsgeschehens führe.

Das Oberverwaltungsgericht in Bautzen hatte Anfang März zwei in
Sachsens Corona-Schutzverordnung enthaltene Ausgangsbeschränkungen
vorläufig außer Vollzug gesetzt. Konkret ging es dabei um die
nächtliche Ausgangssperre zwischen 22 und 6 Uhr und um eine
Begrenzung auf einen 15-Kilometer-Radius für Sport und Bewegung im
Freien.

Wie lässt sich eine nächtliche Ausgangsbeschränkung umsetzen?

Im Prinzip ist es ganz einfach, wenn auch aufwendig für die
Einsatzkräfte von Ordnungsamt und Polizei. Wer zur falschen Zeit ohne
einen triftigen Grund außerhalb des Hauses kontrolliert wird, muss
ein Bußgeld zahlen. Was als triftiger Grund gilt, legt eine
Verordnung fest. Im baden-württembergischen Rastatt, wo jetzt
zwischen 21.00 Uhr und 5.00 Uhr Ausgangsbeschränkungen gelten, wurden
beispielsweise nach Angaben der Polizei in der Nacht zum Donnerstag
ein 20-Jähriger und ein Jugendlicher im Alter von 17 Jahren
angehalten, weil sie nachts unterwegs waren.

Andere Staaten gehen da zum Teil andere Wege. Das System
Griechenlands wäre in Deutschland allerdings womöglich wegen Bedenken
von Datenschützern nur schwer umsetzbar. Die Regierung in Athen hat
ein SMS-System eingeführt. Wer das Haus verlässt, muss eine von sechs
Ziffern an den Zivilschutz senden, um anzugeben, ob er zum Beispiel
einkaufen, zum Arzt, mit dem Hund spazieren geht oder Sport treiben
will.

Die Polizei kontrolliert diese Nachrichten, die jeweils nicht älter
als wenige Stunden sein dürfen. Wer keine Nachricht vorweisen kann
oder anderweitig gegen Corona-Maßnahmen verstößt, muss 300 Euro
Strafe zahlen. Da die Menschen sich nach dieser langen Zeit der
harten Einschränkungen zunehmend privat und ohne Schutz treffen und
die Infektionszahlen deshalb nach oben gehen, will die Regierung die
Maßnahmen nun langsam lockern. Die SMS soll jedoch als
Kontrollinstrument weiter erhalten bleiben und wird von den Menschen
auch weitgehend akzeptiert.