Nida-Rümelin: Datenschutz in Corona-Krise hat Leben gekostet

München (dpa) - Deutschland hat scharfen Datenschutz in der
Corona-Krise aus Sicht des Philosophen Julian Nida-Rümelin (66) mit
vielen Menschenleben bezahlt. Die Entscheidung, die Corona-App
freiwillig zu machen und nicht verpflichtend, sei falsch gewesen.
«Manche Verteidiger des Datenschutzes sind zufrieden. Daneben steht
aber die Bilanz der Krise: Über 70 000 Todesfälle, 500 000
zusätzliche Arbeitslose, vernichtete Existenzen, ein deutlicher
Anstieg psychischer Erkrankungen in Deutschland», sagte der Münchner
Philosophieprofessor dem «Münchner Merkur» (Freitag). «Dagegen
weniger als 1000 Todesfälle in Südkorea, das nach China das zunächst

am stärksten betroffene Land war». In Südkorea sei die App Pflicht
gewesen.

Für Nida-Rümelin, der Kulturstaatsminister im Kabinett von Kanzler
Gerhard Schröder (SPD) war und stellvertretender Vorsitzender des
Deutschen Ethikrates ist, stimmt die Prioritätensetzung in der Krise
nicht: «Wir schränken so gut wie alle unsere Grundrechte massiv ein -
die Freiheit der Berufsausübung, das Eigentumsrecht, die
Versammlungsfreiheit, die Mobilitätsfreiheit. Wir nehmen das in Kauf.
Nur in einem Bereich darf es keine Einschränkung geben: beim
Datenschutz.»

Die Datenschutzpraxis in Deutschland sei «nicht überzeugend
ausbalanciert». «Es gibt eine Asymmetrie zwischen dem laxen
Datenschutz privater Anbieter und der hohen Zurückhaltung gegenüber
Einrichtungen wie Gesundheitsämtern», sagte er der Zeitung. «Sogar
der Versand von Einladungen für Impftermine wurde dadurch behindert.
Das Alter der Empfänger musste anhand ihrer Vornamen geschätzt
werden, weil die in den Behörden verfügbaren Daten für den Versand
nicht genutzt werden durften. Mit Facebook gehen wir aber groteske
Verträge ein, ohne sie auch nur zu lesen.»