Mehr Impfstoff, mehr Tempo: EU-Gipfel tagt erneut zu Corona

Die Pandemie hat die EU weiter fest im Griff und diktiert die
Tagesordnung für die Staats- und Regierungschefs. Dabei sollten bei
ihrer Online-Sitzung ganz andere Themen in Vordergrund stehen.

Brüssel (dpa) - Angesichts der wieder stark steigenden Corona-Zahlen
wollen die EU-Staaten endlich mehr Tempo in die Impfkampagne bringen.
Die Beschleunigung von Produktion und Lieferung der bisher knappen
Impfstoffe ist Topthema beim Videogipfel der Staats- und
Regierungschefs an diesem Donnerstag. Doch haben Bundeskanzlerin
Angela Merkel und ihre Kollegen auch brisante Fragen zu den
Beziehungen zu Russland und zur Türkei auf der Agenda. US-Präsident
Joe Biden schaltet sich zeitweise zu.

IMPFSTOFFE UND EXPORTKONTROLLE

Überall in der EU sind die Impfstoffe zu knapp, um steigenden
Infektionszahlen in der dritten Corona-Welle Paroli zu bieten. Die
EU-Staaten wollen deshalb noch mehr tun, um die Herstellung der
Vakzine hochzufahren, wie aus dem Entwurf der Gipfelerklärung
hervorgeht. Zudem hat die EU-Kommission die Anfang Februar
eingeführten Exportkontrollen erweitert - ohne generelle
Exportverbote. Auch darüber dürfte beim Gipfel gesprochen werden. Der
österreichische Kanzler Sebastian Kurz will zudem die interne
Verteilung der Impfstoffe neu justieren, da er sie für ungleich und
ungerecht hält.

DAS DIGITALE GRÜNE ZERTIFIKAT

Auch wenn derzeit fast überall in Europa die Corona-Beschränkungen
verschärft werden - der Gipfel soll auch eine gemeinsame Strategie
zur Öffnung vorbereiten. Mit Priorität solle die Arbeit an
europäischen digitalen Zertifikaten vorangetrieben werden, heißt es
in der Erklärung. Gemeint ist ein gegenseitig anerkannter Nachweis
für Impfungen, Tests und Immunisierung durch eine überstandene
Covid-Erkrankung. Die sehr komplexen Einzelheiten werden aber nicht
beim Gipfel diskutiert, sondern in den nächsten Wochen auf Fachebene.
Die EU-Kommission will den Start zum 1. Juni, Deutschland ebenfalls.

WIE WEITER MIT DER TÜRKEI?

Monatelang gab es heftige Spannungen im Verhältnis zur Türkei - vor
allem wegen nicht genehmigter türkischer Erdgaserkundungen in
Mittelmeergebieten, die von Griechenland und Zypern beansprucht
werden. Weil die Regierung in Ankara sich zuletzt dialogbereit
gezeigt hat und keine türkischen Schiffe mehr in strittigen Gebieten
unterwegs sind, soll jetzt über mögliche Belohnungen für die Türkei

geredet werde. Sie könnten zum Beispiel eine zusätzliche finanzielle
Unterstützung für die Versorgung von Flüchtlingen oder eine engere
wirtschaftliche Kooperation umfassen. Eine Rolle in der Diskussion
dürften aber auch die jüngsten innenpolitischen Entwicklungen in der
Türkei spielen. So sorgten zuletzt der Austritt des Landes aus der
Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen und ein Verbotsantrag gegen
die prokurdische Oppositionspartei HDP für Empörung in der EU.

RUSSLAND ALS SCHWIERIGER PARTNER

Die Beziehungen zu Russland sind nach dem jüngsten Streit über die
Vergiftung und Inhaftierung des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny
genauso kompliziert. Immerhin telefonierte EU-Ratschef Charles Michel
am Montag mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin - und danach
schlossen beide Seiten ein besseres Verhältnis zumindest nicht aus,
stellten aber Bedingungen dafür. Für Michel gehören dazu Fortschritte

beim Minsker Abkommen zur Lösung des Konflikts in der Ostukraine.
Zudem soll Russland die Menschenrechte achten und Cyberangriffe
sofort stoppen. In der Videokonferenz will Michel die
Gipfelteilnehmer über sein Gespräch informieren - eine große
Russland-Debatte soll es dann beim nächsten physischen Treffen geben.

BIDEN ALS ÜBERRASCHUNGSGAST

Unerwartet kündigte Ratschef Michel am Dienstag an, dass US-Präsident
Biden zeitweise bei der Videoschalte dabei sein soll, abends ab 20.45
Uhr. Biden wolle das transatlantische Verhältnis, den Kampf gegen die
Pandemie und gegen den Klimawandel ansprechen, aber auch
außenpolitische Fragen etwa mit Blick auf Russland oder China, teilte
das Weiße Haus mit. Die Auftritt dürfte eher eine freundliche Geste
sein, aber eine mit Symbolkraft: Zuletzt war 2009 US-Präsident Barack
Obama bei einem EU-Gipfel anwesend.

DIGITALE WIRTSCHAFT UND EIN STARKER EURO

Für einen zweiten Gipfeltag am Freitag stehen mehrere
wirtschaftspolitische Themen an. Stichworte sind die Stärkung des
Binnenmarkts, der internationalen Rolle des Euro und der
Digitalisierung. Die EU-Kommission hatte kürzlich einen Digitalen
Kompass mit konkreten, messbaren Zielen bis 2030 vorgelegt. Dann soll
zum Beispiel jeder in der EU Behördengänge online erledigen können
und Zugriff auf eine eigene elektronische Patientenakte haben. Das
wollen die EU-Staaten begrüßen. Zudem verweist der Entwurf der
Gipfelerklärung auf den Ausbau der Datennutzung und der künstlichen
Intelligenz sowie auf die Dauerbrenner Regulierung und Besteuerung
der großen Plattformen.

Der Gipfel ist auf zwei Tage angelegt, doch wurde zuvor nicht
ausgeschlossen, dass man an einem Tag durchkommen könnte. Das
ursprünglich geplante physische Treffen in Brüssel war wegen der
Pandemie abgesagt worden.