Geduld des Handels ist am Ende: Klagewelle gegen Lockdown rollt Von Erich Reimann, dpa

Obi, Media Markt, Breuninger und Co. wollen nicht länger auf
Zugeständnisse der Politik warten. Immer mehr Händler versuchen, vor
Gericht ein Ende der Ladenschließungen zu erzwingen.

Düsseldorf (dpa) - Egal ob MediaMarktSaturn, Obi oder der Modehändler
Breuninger: Bei immer mehr Einzelhändlern in Deutschland reißt nach
Monaten des Lockdowns der Geduldsfaden. Die Folge: Auf die deutschen
Gerichte rollt derzeit eine Klagewelle zu, mit der die
Elektronikhändler, Baumärkte und Modegeschäfte ein Ende der
Ladenschließungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie erzwingen
wollen.

Beispiel MediaMarktSaturn: Deutschlands größter Elektronikhändler hat

beim Oberverwaltungsgericht Münster einen Eilantrag auf Aufhebung der
Betriebsschließungen in Nordrhein-Westfalen gestellt. Anträge in
weiteren Bundesländern sollen folgen. «Die bereits seit mehr als zwei
Monaten bestehenden Betriebsschließungen in Deutschland sind
unverhältnismäßig. Der Einzelhandel war nachweislich nie ein
Infektionshotspot», begründete Deutschland-Chef Florian Gietl den
Schritt.

MediaMarktSaturn ist nicht allein. Auch die Baumarktkette Obi, sowie
die Textilketten Peek&Cloppenburg (Düsseldorf) und Breuninger ziehen
vor Gericht. «Wir haben Klagen vor den Verwaltungsgerichtshöfen in
Baden-Württemberg, in Hessen, in Nordrhein-Westfalen, in Thüringen
und Sachsen eingereicht - überall dort, wo wir Häuser haben. Ziel ist
die sofortige Aussetzung der Lockdown-Maßnahmen, weil sie nicht
verhältnismäßig sind und eine Ungleichbehandlung gegenüber dem
Lebensmittelhandel bedeuten», sagte ein Breuninger-Sprecher.
Alternativ fordere das Unternehmen Entschädigungen. «Denn jeder Tag,
an dem unsere Stores geschlossen sind, kostet richtig Geld.»

Zwar musste Breuninger vor dem Verwaltungsgerichtshof in Mannheim
bereits eine erste Niederlage hinnehmen. Doch entmutigt das den
Händler nicht: «Das Gericht hat signalisiert, dass der Ausgang des
Hauptverfahrens offen ist. Wir sind optimistisch, dort doch noch
recht zu bekommen», sagte der Unternehmenssprecher.

Der Einkaufsverbund Unitex unterstützt nicht nur in Bayern und
Rheinland-Pfalz Eilanträge zweier Händler auf Wiedereröffnung ihrer
Geschäfte. Er bereitet parallel zusammen mit der Rechtsanwaltskanzlei
Nieding+Barth eine Sammelklage Hunderter Einzelhändler auf
Schadenersatz vor. «Weit über 300 Händler beteiligen sich daran»,
berichtete Unitex-Marketing-Chef Xaver Albrecht. Es gebe auch bereits
die Zusage eines Prozesskostenfinanzierers, der eine Million Euro für
die nächsten juristischen Schritte zur Verfügung stellen wolle.

Es ist unübersehbar: Der Handel rückt im Kampf gegen den Lockdown
enger zusammen. Das spürte auch das schwäbische Modehaus Riani, das
vor dem Verwaltungsgerichtshof Mannheim auf Gleichstellung mit den
Friseuren klagt und seine Geschäfte zum 1. März öffnen will. Der von

Riani gestarteten Kampagne #HandelnfuerdenHandel haben sich
mittlerweile mehr als 170 Einzelhändler und Modehersteller
angeschlossen. Darunter bekannte Namen wie Gerry Weber, Marc Cain,
Ludwig Beck und der Hemdenhersteller Olymp.

Mona Buckenmaier aus der Riani-Geschäftsführung sagte: «Wir brauchen

Alternativen, wie man die Bevölkerung schützen kann und trotzdem
öffentliches Leben möglich ist. Was die Bundesregierung hier bisher
geliefert hat, ist sehr dürftig.» In Österreich seien die Geschäfte

bei weit höheren Inzidenzzahlen wieder geöffnet worden, ohne dass ein
exponentielle Wachstum der Infektionen eingetreten sei.

Die neue Einigkeit im Handel wird aber auch an anderer Stelle
sichtbar. Handelsketten, Shopping-Center-Betreiber und Mode-Macher
forderten am Mittwoch gemeinsam eine zeitnahe Öffnungsperspektive für
den Handel. Der Eigentümer des größten deutschen Schuhhändlers
Deichmann, Heinrich Deichmann, warnte, immer mehr Einzelhändler kämen
in eine bedrohliche Lage. Es bestehe «die akute Gefahr, dass viele
Menschen in der Branche in den nächsten Monaten ihren Arbeitsplatz
verlieren und dass Ladenschließungen zur Verödung von urbanen Räumen

führen». Der stationäre Handel brauche «zeitnah alternative
Öffnungskonzepte».

Alexander Otto, Chef des Shopping-Center-Betreibers ECE, sagte, viele
Händler stünden schon jetzt mit dem Rücken zur Wand: «Es drohen
zahlreiche Insolvenzen und Pleiten, das Verschwinden hunderter
Handelsunternehmen, die Schließung tausender Geschäfte und der
Verlust zigtausender Arbeitsplätze.» Man werde die Innenstädte nicht

mehr wiedererkennen. Dabei hätten Studien gezeigt, dass der Handel
kein Infektionstreiber sei.

Der Geschäftsführer der größten deutschen Buchhandelskette Thalia,

Michael Busch, warnte vor den langfristigen Folgen der durch den
Lockdown gerissenen Finanzlöcher. «Mit jedem Tag Lockdown geht dem
Handel die Innovationsfähigkeit für die Zukunft verloren.»

Und der Chef des Bekleidungsherstellers s.Oliver, Claus-Dietrich
Lahrs dränge darauf, eine Balance zwischen Gesundheitsschutz und
Wirtschaftsinteressen herzustellen. «Wir müssen lernen, mit der
Pandemie zu leben.». Die Zeit dränge, sagte er. «Wir gehen fest von
einer Wiederöffnung am 8. März aus. Wir brauchen diese verbindliche
Öffnungsperspektive.» Andernfalls führe kein Weg an tiefgreifenden
Restrukturierungen vorbei. «Bei uns geht es dann unmittelbar um viele
Arbeitsplätze und um unsere Flächen in den Innenstädten», warnte er
.