Politik bereitet Lockerungspläne vor - 30 Prozent Virusmutationen Von Basil Wegener, dpa

Die ansteckendere Virus-Variante aus Großbritannien greift in
Deutschland immer mehr um sich. Gleichzeitig nehmen Bund und Länder
Kurs auf Öffnungen des Lockdowns. Fragezeichen gibt es weiter bei den
angekündigten kostenlosen Tests.

Berlin (dpa) - Führende Politiker von Bund und Ländern debattieren
immer hitziger über Öffnungspläne auch ohne Abschwellen der
Corona-Pandemie. Starke Hoffnungen liegen darauf, durch
massenweise Corona-Tests mehr Kontrolle über die Entwicklung
zurückzubekommen. Die SPD wirft Bundesgesundheitsminister Jens Spahn
(CDU) vor, kostenlose Tests voreilig versprochen zu
haben. Gleichzeitig werden Mahnungen lauter, keinen ungebremsten
Anstieg der Infektionszahlen durch Öffnungen zu provozieren.

Der Anteil der ansteckenderen britischen Virusmutation ist nach
Angaben des Verbands Akkreditierter Labore in der Medizin auf rund 30
Prozent gewachsen, wie der Verband am Dienstag auf Basis von
Stichproben aus der vergangenen Woche mitteilte. Zuvor war er laut
Robert Koch-Institut von 6 auf rund 22 Prozent gestiegen.

CDU-Chef Armin Laschet räumte in Düsseldorf ein, der erwartete
Rückgang der Neuinfektionsrate auf 50 beziehungsweise 35 pro 100 000
Einwohner binnen sieben Tagen sei nicht eingetreten. Bund und Länder
hatten regionale Öffnungsschritte ab einer Inzidenz von 35 ab 7. März
angekündigt. Vor gut einer Woche hatte Laschet gesagt: «Wir werden in

Kürze auch die 35 erreichen.» Baden-Württembergs Ministerpräsiden
t
Winfried Kretschmann (Grüne) sagte in Stuttgart, auch wenn die Zahl
der Infektionen nicht unter die Schwelle von 35 sinke, könne es eine
leichte Öffnung geben.

ÖFFNUNGSPERSPEKTIVEN UND VERSCHÄRFUNGEN:

Laschet erwartet vom nächsten Bund-Länder-Treffen am kommenden
Mittwoch eine Öffnungsstrategie. Er rechne mit einer Perspektive, «wo

wird es hingehen». Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Mal
u
Dreyer (SPD) forderte in der «Rheinischen Post» einen konkreten
Stufenplan. Kretschmann dämpfte Hoffnungen des Handels. Eine
Wiedereröffnung der Geschäfte sei nur möglich, wenn die
7-Tage-Inzidenz stabil unter 35 liege, so der Grünen-Politiker.
Kretschmann sprach sich für vermehrten Einsatz von Click&Meet aus -
Einkaufen nach Terminvergabe. Wirtschaftsminister Peter Altmaier
(CDU) will bereits an diesem Freitag mit seinen Amtskollegen aus den
Ländern über eine Öffnungsstrategie beraten.

Der Berliner Senat will voraussichtlich einen eigenen Öffnungsplan in
die Bund-Länder-Beratungen einbringen. Der Lockdown soll zwar  üb
er
den 7. März hinaus verlängert werden. Öffnungen soll es je nach
Infizierten- und Ansteckungszahlen sowie Klinikauslastung dann aber
geben - und zwar genau abgestuft zum Beispiel für Sport in
Kleingruppen für Kinder bis 12, für Restaurant-Terrassen, für
Geschäfte mit 10 Quadratmetern pro Kunde und für Theater und Kinos.

Hamburg verschärft unterdessen die Maskenpflicht. Ab dem Wochenende
müsse voraussichtlich an allen Orten der Stadt eine Maske getragen
werden, an denen Abstände nicht eingehalten werden können, sagte ein
Senatssprecher. Eine vorzeitige Öffnung von Blumenläden und
Gartencenter könne nicht verantwortet werden. Diese sind in einigen
Bundesländern ab 1. März geplant.

INFEKTIONSLAGE:

3883 Corona-Neuinfektionen binnen eines Tages, 415 weitere Todesfälle
und 60,5 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohnern und sieben Tagen -
diese Zahlen markieren den aktuellen Stand in Deutschland. 68 318
Menschen sind an oder mit Covid 19 gestorben. Laschet und Kretschmann
mahnten zur Vorsicht. Die Göttinger Physikerin Viola Priesemann
warnte in eines Anhörung vor niedersächsischen Landtagsabgeordneten,
eine voreilige Lockerung des Lockdowns könne zu anhaltend hohen
Fallzahlen und damit zu andauernden Einschränkungen führen.

WAS ÖFFNUNGEN ERLEICHTERN SOLL:

Laschet setzt nach eigenen Worten Hoffnungen in eine neue App zur
Nachverfolgung von Infektionsketten. Das Impf- und das
Test-Instrumentarium lieferten zudem wichtige Kriterien für
Öffnungen. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte: «Impfen,
Testen und Therapieren führt zur Normalität.» Dobrindt sprach sich
für einen möglichst digitalen Nachweis aus, geimpft oder negativ
getestet worden zu sein - für Urlaubsreisen oder auch Besuche von
Geschäften oder Kultur- und Sportveranstaltungen.

TESTS:

Der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Michael Müller
(SPD), zeigte sich enttäuscht, dass die geplanten kostenlosen
Corona-Schnelltests später kommen sollen als erwartet. «Es ist zum
wiederholten Mal so, dass von Seiten des Bundesgesundheitsministers
Dinge angekündigt wurden, die dann so oder zumindest so schnell nicht
kommen», sagte Berlins Regierender Bürgermeister im
ZDF. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter warf Spahn vor, ein
Armutszeugnis abgeliefert zu haben. Spahn hatte Schnelltests in
Testzentren, Praxen oder Apotheken ab 1. März angekündigt. Jetzt
wollen Bund und Länder aber erst am 3. März darüber
beraten. Ifo-Präsident Clemens Fuest sagte, es sei ein «gewaltiges
Versäumnis» der Politik, dass man noch immer keine Teststrategie auf
die Reihe gebracht habe. Der Städte- und Gemeindebundes forderte Bund
und Länder in der «Neuen Osnabrücker Zeitung» zur Vorlage eines
klaren Plans für die Tests auf. 

IMPFEN:

Der Digitalverband Bitkom forderte eine Verbesserung des
Corona-Impfmanagements. «Dieses Chaos bei der Terminvergabe ist einer
High-Tech-Nation wie Deutschland absolut unwürdig», sagte
Bitkom-Präsident Achim Berg. 29 Prozent der Befragten einer
Bitkom-Umfrage, die einen Termin für eine Corona-Impfung vereinbaren
wollten, hätten 50 oder mehr Anläufe unternehmen müssen. Noch ist
wegen der Impfstoffknappheit die erste Gruppe der Über-80-Jährigen
und der Menschen in Pflegeheimen nicht vollständig geimpft.
Voraussichtlich an diesem Samstag sollen mehr als 650 000 weitere
Dosen des Impfstoffs von Astrazeneca an die Länder geliefert werden.
Zuletzt hatte es Berichte gegeben, dass sich Pflegekräfte teilweise
wegen der etwas geringeren Wirksamkeit damit nicht schützen lassen
wollen.

Der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes, Ulrich
Weigeldt, sieht die Hausärzte in Deutschland für flächendeckende
Corona-Impfungen bereit, wie er der «Rheinischen Post» sagte. Laschet

sprach sich dafür aus, auch Zahnärzte zu Corona-Impfungen
heranzuziehen. Die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx,
kritisierte im Deutschlandfunk, dass Lehrkräfte und Kitabeschäftigte
früher als bisher geplant geimpft werden sollen.