) Die USA gedenken der Opfer der Pandemie: Eine halbe Million Tote Von Jürgen Bätz, dpa

Die Pandemie hat unvorstellbares Leid in die USA gebracht. Millionen
trauern um ihre Lieben. Präsident Biden markiert den jüngsten
traurigen Meilenstein mit einer würdevollen Gedenkveranstaltung. Er
macht den Amerikanern auch Hoffnung auf bessere Tage.

Washington (dpa) - Die Flagge über dem Weißen Haus weht in der kalten
Winterluft auf halbmast, auf der Südseite des Gebäudes erinnern
Hunderte Kerzen an die unzähligen Corona-Toten in den USA. Präsident
Joe Biden, First Lady Jill Biden, Vizepräsidentin Kamala Harris und
ihr Mann Douglas Emhoff verbeugen sich vor den Opfern. Mit gesenkten
Häuptern begehen sie auf der Südseite des Weißen Hauses eine
Schweigeminute, die Hände gefaltet wie zum Gebet. Kurz darauf spielt
eine Militärkapelle das Lied «Amazing Grace».

«Heute markieren wir einen wahrlich düsteren und herzzerreißenden
Meilenstein», sagte Biden am Montagabend (Ortszeit) unmittelbar vor
der Gedenkveranstaltung in einer Ansprache. Die USA überschritten
nach Daten der Johns Hopkins Universität (JHU) die Schwelle von mehr
als einer halben Million Corona-Toten. «Das sind mehr Amerikaner, die
in einem Jahr der Pandemie gestorben sind, als im Ersten Weltkrieg,
dem Zweiten Weltkrieg und dem Vietnamkrieg zusammengenommen», sagte
Biden. «Das sind mehr Leben, die von dem Virus genommen wurden, als
in allen anderen Ländern der Welt.»

Der Präsident ermahnte die Amerikaner jedoch, angesichts der
«unvorstellbaren» Opferzahl nicht abzustumpfen. «Wir müssen uns
dagegen wehren, taub gegen das Leid zu werden. Wir müssen uns dagegen
wehren, jedes Leben als eine Statistik zu sehen», forderte Biden.
«Wir müssen das tun, um die Toten zu ehren. Genauso wichtig ist es,
sich um die Lebenden zu sorgen, jene, die zurückgelassen wurden.»
Jeder Corona-Tote habe Familie, Freunde und ein «außerordentliches
Leben» gehabt, das zu früh beendet worden sei.

Um der Toten zu gedenken, ordnete Biden im ganzen Land das
Herabsetzen der Flaggen auf halbmast an. Dies gilt für fünf Tage an
öffentlichen Gebäuden, Militärstützpunkten und den diplomatischen
Vertretungen der US-Regierung im Ausland. Im Repräsentantenhaus
erhoben sich die Abgeordneten zu einer Schweigeminute. Am
Dienstagabend (Ortszeit) wollten die führenden Demokraten und
Republikaner aus beiden Kongresskammern gemeinsam zu einer
Schweigeminute am US-Kapitol zusammenkommen.

Die deutsche Botschafterin in Washington, Emily Haber, erklärte über
Twitter, sie habe sich Biden angeschlossen und eine Kerze angezündet.
«500 000 ist eine schwer vorstellbare Zahl. Mir hilft es (und
schmerzt), mir eine einzige Seele vorzustellen, jemanden, den ich
kannte», schrieb sie. «Ruhe in Frieden.»

Bidens Vorgänger Donald Trump hatte in seiner Amtszeit keine
derartigen Gedenken für die Corona-Toten abgehalten, eher selten über
die Todesfälle gesprochen und Zweifel an den Zahlen geäußert. Anfang

Januar etwa hatte Trump auf Twitter behauptet, die Zahl von
Infektionen und Todesfällen durch das Coronavirus werde in den USA
«weit übertrieben» durch die «lächerliche» Zählmethode des CD
C,
während andere Länder absichtlich falsche niedrigere Zahlen meldeten.
Im Zweifel werde etwas einfach als Covid bezeichnet, schrieb er
weiter und sprach von «Fake News» - angeblichen Falschnachrichten.

Der renommierte Immunologe Anthony Fauci kritisierte am Dienstag in
einem Interview mit dem Sender CNN, dass das Ausmaß der Pandemie von
einigen im Land geleugnet worden sei. 500 000 Tote seien der Beleg
dafür, was tatsächlich passiert sei. «Das lässt sich nicht leugnen.
»

Die Wintermonate der Pandemie waren in den USA verheerend. Allein
seit Anfang Januar starben mehr als 150 000 Menschen nach einer
Corona-Infektion. In dem Land mit rund 330 Millionen Einwohnern gibt
es inzwischen rund 28,2 Millionen bestätigte Infektionen.

Zuletzt gab es aber Hoffnung auf eine baldige Besserung der Lage. Die
Zahl der täglichen Neuinfektionen fiel von mehr als 200 000 Anfang
Januar auf weniger als 70 000. Am Montag meldeten die Behörden mehr
als 56 000 neue Fälle und rund 1300 Tote im Zusammenhang mit einer
Infektion. Auch die Impfkampagne schreitet voran: Bislang erhielten
laut CDC 44 Millionen Menschen in den USA die erste Impfung, rund
19,4 Millionen Menschen schon beide Impfdosen.

Biden macht bei der Impfkampagne seit seinem Amtsantritt vor gut
einem Monat massiv Druck. Die USA bekommen von den Herstellern
Moderna und Pfizer/Biontech nun bis Ende Juli rund 600 Millionen
Dosen Impfstoff, was für alle Erwachsenen im Land ausreichend wäre.
Damit könnte manchen Experten zufolge - wenn alles gut geht und sich
zudem nur ein geringer Anteil der Amerikaner der Impfung verweigert -
im Herbst das Gröbste der Pandemie vorbei sein.

«Dieses Land wird wieder lachen, dieses Land wird wieder sonnige Tage
haben. Dieses Land wird wieder Freude erfahren», zeigte sich Biden
zuversichtlich. «Wir werden das durchstehen, ich verspreche es
Ihnen.» Biden nannte keinen konkreten Zeitpunkt, ab wann er mit einer
Rückkehr zu einer gewissen Normalität im Land rechnet. Er zeigte sich
aber zuversichtlich, dass sich die Lage in der zweiten Jahreshälfte
deutlich bessern sollte. Biden erklärte: «Wir haben nie aufgegeben.
Wir sind Amerika. Wir können und werden das schaffen.»

Viele Experten warnen allerdings, dass es wegen der Ausbreitung neuer
Varianten bald wieder zu einem Anstieg der Neuinfektionen kommen
könnte. Mit besonderer Sorge verfolgt die Regierung die Ausbreitung
der in Großbritannien entdeckten Variante, die als deutlich
ansteckender gilt. Sie könnte nach Ansicht der Gesundheitsbehörde CDC
bis Ende März die vorherrschende Variante des Virus werden.

Die USA sind in absoluten Zahlen das am schlimmsten von der Pandemie
betroffene Land. Relativ zur Einwohnerzahl ist die Zahl der Toten
jedoch in einigen europäischen Ländern höher. In den USA starben den

Johns-Hopkins-Daten zufolge rund 152 Menschen pro 100 000 Einwohner.
In Belgien liegt dieser Wert bei 192, in Großbritannien bei 182, in
Italien bei 158. In Deutschland sind demnach 82 Menschen pro 100 000
Einwohner gestorben. Experten gehen zudem in vielen Ländern bei
Infektionen und Todesfällen von einer hohen Dunkelziffer aus.