«Das macht was mit einem» - Warum sind Friseure eigentlich wichtig? Von Caroline Bock, dpa

Früher als andere Betriebe dürfen Friseure nach der
Corona-Zwangspause wieder öffnen. Warum sind Haare eigentlich so
wichtig? Nicht nur ein Berliner Starfriseur und Markus Söder haben
Antworten.

Berlin (dpa) - In Deutschland ist es gerade kurz vor Friseur. Am
Montag dürfen die Salons wieder öffnen, ein Ende der Corona-Mähne ist

in Sicht. In Corona-Zeiten ließen sich schon viele Männer von ihrer
Frau die Haare schneiden, beispielsweise Gerhard Schröder. Frauen
klatschten sich billige Farbe aus der Drogerie auf den grauen Ansatz
oder versuchten, den herausgewachsenen Pony so gut es geht zu
ignorieren. Nun ist das vorbei: Die 80 000 Friseurbetriebe machen
nach monatelanger Zwangspause wieder auf.

Für manche überraschend bekamen sie dafür von Bund und Ländern die

Erlaubnis. Sie sind früher dran als der Einzelhandel, was Ärger
brachte. Nach dem Motto: Warum sind Friseure eigentlich so wichtig?

Wie die Haare sitzen: Das kann einen großen Unterschied ausmachen.
Ursula von der Leyen befreite sich vor einigen Jahren mit kurzen
Haaren von ihrem biederen Image des «Röschens» aus Niedersachsen.
Angela Merkel verdankte dem kürzlich gestorbenen Friseur Udo Walz
ihren optischen Relaunch. Kabarettisten machen schon lange kaum mehr
Witze über ihre Haare.

Dass das Thema auch für viele Männer keine Nebensache ist, zeigen die
gut frisierten Fußballer. Oder die Herren, die sich schon Haare
transplantieren ließen: Italiens Ex-Ministerpräsident Silvio
Berlusconi, Fußballtrainer Jürgen Klopp, FDP-Chef Christian Lindner.
Dieser reimte 2014 in einer Aachener Karnevalsrede: «Um liberales
Wachstum zu generieren, ließ ich mir die Haare transplantieren.» Der
Saal sang dazu: «Du hast die Haare schön, du hast die Haare schön.»


Bei Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Außenminister Heiko Maas
(SPD) liegt ein Friseurbesuch nahe, sieht aber noch nicht dringend
aus. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder könnte im Lockdown bald
wie ein Monchichi-Äffchen aussehen. Derzeit ist sein Look etwas
zerzaust. Für den CSU-Politiker ist eine ordentliche Frisur nicht nur
eine Frage der Hygiene, wie er in der Lockerungsdebatte deutlich
machte. Er sagte, dass es auch um Würde gehe. Um Würde?

«Das finde ich vollkommen richtig», sagt der Berliner Starfriseur
Shan Rahimkhan. Den Effekt eines Salonbesuchs beschreibt er so: «Du
gehst raus und fühlst dich wohl, das macht was mit einem.» Er nennt
die gängigen Argumente der Branche: Anders als der Handel geht ein
Friseurbesuch nicht online. Wenn man im Lockdown einen Termin im
Internet bucht, ist es illegal. Dann lieber mit ordentlicher Hygiene
im Salon. Shan Rahimkhan fällt noch die über 90 Jahre alte Tante
seiner Frau ein. Die sei zwar gut zu Fuß, aber seit Monaten allein,
ohne Plauderei oder ohne jemanden, der zuhört. Der Friseur fehlt.

Beim Zentralverband des Deutschen Friseurhandwerks heißt es, der
Beruf sei «sozial systemrelevant». Das heißt: Er ist auch wichtig f
ür
das Miteinander. Klar, dass die Friseure so argumentieren. In der
Lockerungsdebatte wollen viele Branchen bald wieder öffnen. Aber wer
den Smalltalk unter Kollegen verfolgt oder sich bei Verwandten umhört
- es stimmt: Friseure sind sozialer Kitt und Balsam. «Schönheit hat
Konjunktur, und das gilt auch für Deutschland», sagt der
Zentralverbands-Geschäftsführer Jörg Müller. Die Pandemie habe das

noch verstärkt.

Außerhalb der Branche gefragt: Sind Friseure wichtiger geworden?
«Jein», sagt der Kunsthistoriker und Autor Christian Janecke («Haar
tragen: Eine kulturwissenschaftliche Annäherung», «Tragbare Stürme
-
Von spurtenden Haaren und Windstoßfrisuren»). Einerseits: Bei der
Optik sei es in einigen Berufen mittlerweile nicht mehr so streng wie
früher. Zudem gibt es auch bei Haaren den Trend zum Selbermachen.

Andererseits: «Wir haben eine Gesellschaft, in der die Fassade wieder
wichtiger wird.» Die Videokonferenzen im Homeoffice verstärken das
aus Janeckes Sicht noch, dort werden alle zu «Talking Heads», das
Gesicht wie ein Bild gerahmt. «Und Haare sind nicht nur Natur-,
sondern auch Kulturausdruck», sagt der Professor an der Hochschule
für Gestaltung in Offenbach. Der Körper bleibt der gleiche - eine
Frisur kann den Unterschied machen, ähnlich wie bei Schuhen. Auch die
Selfie-Kultur und die Macht der Bilder in der digitalen Welt spielen
für ihn hier eine verstärkende Rolle.

Wie es sich anfühlt, mit einem misslungenen Schnitt vom Friseur zu
kommen, diese tiefe Verzweiflung, das hat eine Szene in der
britischen Serie «Fleabag» gut eingefangen. Dort tröstet die
Titelheldin ihre Schwester, die sich mit ihrer schiefen Friseur
hundeelend fühlt: «Es ist modern!» Und als nichts hilft: «Es ist
französisch!» Als der Friseur im Salon den Schwestern weismachen
will, Haare seien doch nicht so wichtig, braust Fleabag auf: «Haare
sind alles!»

Noch ein Beispiel für eine haarige Lage, aus einer Kleinstadt im
Südwesten Deutschlands: Tante Hilde, eine Frau um die 60, deren
richtiger Name nicht veröffentlicht werden soll, leidet in der
Pandemie ohne Friseur. Auch wenn sie die Corona-Maßnahmen versteht,
für sie war schon das Maske-Tragen schlimm. Mit den Stoffmasken
konnte sie sich nach ein paar Monaten anfreunden, aber jetzt, wo es
mit den medizinischen Masken dieser «Schnabel» sein soll, findet sie
sich total entstellt. In diese Gemengelage kommen die nicht liegenden
Haare noch dazu: «Jetzt muss ich die jeden Tag waschen.» Damit fühlt

sich Tante Hilde so unwohl, dass sie so gut wie gar nicht mehr
rausgeht. Die Haare geben ihr da noch den Rest.

Auch wenn es nicht immer so aufs Gemüt drückt, auf den Friseur zu
verzichten, die Erleichterung ist da. «Also, ich freue mich auch,
wenn Friseure mal wieder aufmachen können, das ist ja klar», ließ
sich Angela Merkel Anfang Februar im Interview der Sender RTL und ntv
entlocken.

Immerhin ging es der Kanzlerin haarmäßig besser als anderen. «Ich
habe ja bekanntermaßen da auch Unterstützung durch eine Assistentin»,

sagte sie auf die Frage, wer sich denn in Lockdown-Zeiten um ihre
Frisur kümmere. «Wir halten natürlich alle sanitären Bestimmungen
ein.» Alles kann die Assistentin aber anscheinend nicht richten.
«Dass man langsam grau wird, damit muss man dann leben.»

Der Ansturm auf die Friseure dürfte groß sein. In Bayreuth
versteigerte Friseur Andreas Nuissl den ersten Termin nach dem
Lockdown für 422 Euro. Das Geld soll an eine Hilfsorganisation gehen,
die sich für Kinder einsetzt.

Bei Shan Rahimkhan, der Salons am Berliner Gendarmenmarkt und am
Kurfürstendamm hat, sind die Termine über Wochen ausgebucht. Im
Lockdown habe er viele «unmoralische Angebote» bekommen und immer
abgelehnt, illegal die Haare zu schneiden. Auch bei seinen eigenen
Haaren war er nach eigener Aussage konsequent und verzichtete auf
Profis. Sein 13 Jahre alter Sohn durfte ran. Das ging schief: «Ich
hab' ihm falsche Aufsätze gegeben, und dann hatte ich ganz rasierte
Haare.»