Eine halbe Million Corona-Tote: Die USA im Wettlauf mit dem Virus Von Jürgen Bätz, dpa

Es gibt in den USA trotz der schier unfassbaren Opferzahl auch Grund
zur Hoffnung. Die Corona-Impfkampagne läuft inzwischen recht gut.
Alle hoffen auf eine baldige Rückkehr zur Normalität. Doch die neuen
Virus-Varianten könnten das Land wieder zurückwerfen.

Washington (dpa) - Was setzt sich in den USA zuerst durch: Die
Corona-Müdigkeit der Menschen, die massive Impfkampagne oder die
ansteckenderen Virus-Varianten? Es ist ein Wettrennen, bei dem es um
Leben und Tod geht. Die Zahl der Neuinfektionen in den USA geht
deutlich zurück und jeden Tag werden im Schnitt rund 1,7 Millionen
Menschen geimpft. Im Kampf zur Eindämmung der Pandemie gibt es daher
vorsichtigen Grund zur Hoffnung. Doch wegen der gefährlichen
Virus-Varianten könnte es neue Rückschläge geben.

Am Montag überschritten die USA die traurige Schwelle von einer
halben Million Corona-Toten. Bis zum Nachmittag (Ortszeit) gab es
nach Daten der Universität Johns Hopkins bereits rund 500 071
Todesfälle nach einer Infektion - mehr als in jedem anderen Land der
Welt. Hinter der unfassbaren Zahl verbirgt sich das Leid und der Tod
unzähliger Omas, Opas, Väter, Mütter, Töchter, Söhne, Freunde und

Nachbarn. Millionen Angehörige und Freunde trauern um ihre Lieben,
denen sie in ihren letzten Stunden oft nicht nahe sein konnten, von
denen sie sich häufig nicht gebührend verabschieden konnten.

«Damit sind in einem einzigen Jahr wegen dieser Pandemie mehr
Amerikaner gestorben als im Ersten Weltkrieg, dem Zweiten Weltkrieg
und dem Vietnamkrieg zusammengenommen», erklärte US-Präsident Joe
Biden am Montag. Er ordnete an, die Flaggen im Land für fünf Tage auf
halbmast zu setzen, um der Toten zu gedenken. Am Montagabend
(Ortszeit; Dienstag 0.00 Uhr MEZ) wollte Biden sich in einer Rede
noch zur Zahl der Corona-Opfer äußern, gefolgt von einem Moment der
Stille und dem Anzünden von Kerzen. Dabei sollten ihn unter anderem
First Lady Jill Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris begleiten.

INFEKTIONSGESCHEHEN

Die Behörden in den USA, einem Land mit rund 330 Millionen
Einwohnern, haben bislang gut 28 Millionen bestätigte Infektionen
gemeldet. Täglich kommen im Schnitt knapp 70 000 Neuinfektionen dazu,
der niedrigste Wert seit Ende Oktober. Auch die Neuaufnahmen in
Krankenhäusern gehen zurück. Doch weiter sterben durchschnittlich pro
Tag mehr als 2000 Menschen nach einer Infektion. Das sind an
eineinhalb Tagen mehr Opfer als einst bei den Anschlägen vom 11.
September 2001. Einem viel beachteten Modell zufolge soll die Zahl
der Corona-Toten bis Ende Mai noch auf fast 600 000 ansteigen.

DIE AUSGANGSLAGE UNTER TRUMP

In den USA lief in Bezug auf die Pandemie vieles schief. Zu Beginn
leugnete der damalige Präsident Donald Trump die von dem Virus
ausgehende Gefahr, dann setzte er sich ohne wissenschaftliche Belege
für bestimmte Medikamente als vermeintliche Wundermittel ein. Zudem
ließ er bis zuletzt erkennen, dass er das Tragen von Masken eher
lästig fand. Viele Experten werfen Trump vor, sich gar nicht mehr um
die Eindämmung der Pandemie bemüht zu haben. Er wollte keine Auflagen
mehr, keinen Lockdown - er wollte die Wirtschaft wieder ankurbeln.
Dafür setzte er auch auf Impfstoffe. Diese Wette ging auf.

«Das ist der einzige Aspekt der Epidemie, bei dem die USA gute Noten
kriegen», sagte etwa Microsoft-Gründer Bill Gates, der Co-Vorsitzende
der Gates-Stiftung. Dank der Anschubfinanzierung der Regierung habe
die Impfentwicklung mit «voller Geschwindigkeit» losgelegt, sagte er
am Freitag bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Die schwierige
Planung, wie die größte Impfkampagne in der Geschichte des Landes
durchgeführt werden sollte, überließ Trumps Regierung aber den
Bundesstaaten. Chaos und bittere Beschwerden folgten prompt.

IMPFKAMPAGNE UNTER BIDEN

Biden macht bei der Impfkampagne seit seinem Amtsantritt vor einem
Monat massiv Druck - und das mit Erfolg. Die Regierung hat die
wöchentlichen Impfstofflieferungen an die Bundesstaaten deutlich
gesteigert und zuverlässiger gemacht. Zudem mobilisierte Biden für
große Impfzentren Tausende Soldaten des US-Militärs und Ressourcen
der Katastrophenschutzbehörde Fema.

In den USA haben seit Mitte Dezember bereits rund 44 Millionen
Menschen mindestens eine Impfung bekommen, was gut 13 Prozent der
Bevölkerung entspricht. Knapp 19 Millionen Menschen haben bereits
beide nötigen Dosen bekommen, wie Daten der Gesundheitsbehörde CDC
zeigen. Zum Vergleich: In Deutschland haben bislang rund 3,3
Millionen Menschen die Erstimpfung erhalten, was etwa 4 Prozent der
Bevölkerung entspricht, wie das Robert Koch-Institut am Montag
mitteilte. Mehr als 1,7 Millionen Menschen haben beide Impfungen
erhalten.

DIE HOFFNUNG AUF EINE RÜCKKEHR DER NORMALITÄT

Nach etwa einem Jahr Ausnahmezustand macht sich in den USA die
Corona-Müdigkeit breit. Alle hoffen auf eine baldige Rückkehr zu
einer gewissen Normalität. Die Frage, wann es soweit sein wird, wird
Biden und seinem Corona-Experten Anthony Fauci derzeit fast täglich
gestellt. «Ich kann Ihnen kein Datum geben, wann diese Krise enden
wird», sagte Biden zuletzt. «Aber ich kann Ihnen sagen, dass wir
alles Mögliche tun, damit dieser Tag eher früher als später kommt.»

Der Präsident zeigte sich zumindest zuversichtlich, dass Weihnachten
in diesem Jahr wieder im Kreis der erweiterten Familie gefeiert
werden könne. «Aber ich kann Ihnen das nicht versprechen», warnte er.


Die Regierung bekommt von den Herstellern Moderna und Pfizer/Biontech
bis Ende Juli rund 600 Millionen Dosen Impfstoff, was für alle
Erwachsenen im Land ausreichend wäre. Damit könnte - wenn alles gut
geht und sich zudem nur ein geringer Anteil der Amerikaner der
Impfung verweigert - im Herbst das Gröbste der Pandemie vorbei sein.

Den USA kommt auch zugute, dass sich dort schon so viele Menschen mit
dem Coronavirus infiziert haben und dadurch zumindest eine begrenzte
Immunität haben dürften. Bislang gibt es gut 28 Millionen bestätigte

Infektionen, das CDC nimmt aber eine höhere Zahl tatsächlicher
Ansteckungen an: rund 83 Millionen. Hinzu kommen die Millionen
bereits geimpfter Menschen. Daraus ergibt sich - grob überschlagen -
dass fast jeder Dritte, also rund 100 Millionen Menschen, inzwischen
zumindest eine begrenzte Immunität haben dürfte. Doch Experten mahnen
zu weiterer Wachsamkeit, denn Virus-Varianten wie die zunächst in
Südafrika nachgewiesene könnten auch bei vormals Infizierten zu einer
neuen Ansteckung führen.

DIE GEFAHR DER NEUEN VARIANTEN

Manche Experten monieren, die USA befänden sich im «Blindflug», weil

dort bislang nur sehr wenige Genomanalysen durchgeführt wurden. Diese
sind nötig, um die Varianten des Coronavirus eindeutig zuzuordnen.
Dem CDC zufolge wurden bislang in 44 Bundesstaaten nur knapp 1700
Fälle der zunächst aus Großbritannien bekannten und deutlich
ansteckenderen Variante (B.1.1.7) nachgewiesen. Das CDC und andere
Forscher warnen jedoch, diese verbreite sich schnell und könne bis
Ende März in den USA «zur vorherrschenden Variante» des Virus werden.


«Die anhaltende Verbreitung von Varianten, die ansteckender sind,
könnte den im letzten Monat erzielten Fortschritt zunichte machen -
wenn wir nicht weiter vorsichtig sind», sagte etwa CDC-Chefin
Rochelle Walensky vergangene Woche. Die Zahl der Neuinfektionen müsse
weiter nach unten gebracht werden, forderte sie. «Weniger Fälle
bedeuten weniger Gelegenheiten für die Varianten, sich zu verbreiten
und eine geringere Chance für die Entstehung neuer Varianten.»

ZAHL DER TOTEN IN DEN USA IM GLOBALEN VERGLEICH

In keinem anderen Land der Welt hat es in absoluten Zahlen so viele
bestätigte Corona-Todesfälle gegeben wie in den USA. Ein direkter
Ländervergleich zeigt, dass die Sterblichkeitsrate in mehreren
Staaten Europas deutlich höher ist. In den USA starben den
Johns-Hopkins-Daten zufolge 152 Menschen pro 100 000 Einwohner. In
Belgien liegt dieser Wert bei 192, in Großbritannien bei 181, in
Italien bei 158. In Deutschland sind demnach 82 Menschen pro 100 000
Einwohner gestorben. Experten gehen zudem in vielen Ländern bei
Infektionen und Todesfällen von einer hohen Dunkelziffer aus.