Angst vor Mutationen wächst - Wichtige Corona-Kennziffer gestiegen

Wochenlang schien es so, als zeige der Lockdown in Deutschland
endlich Wirkung. Alle Kurven zeigten nach unten. Doch nun gibt es
immer mehr Hinweise, dass sich das wieder ändern könnte.

Berlin (dpa) - In Deutschland mehren sich die Hinweise auf eine
mögliche neue Verschärfung der Corona-Pandemie. Nachdem die
sogenannte Reproduktionszahl des Coronavirus über Wochen hinweg unter
eins lag, hat sie nach Angaben des Robert Koch-Instituts diese
wichtige Schwelle jetzt erstmals wieder überschritten.

Das RKI gab den bundesweiten Sieben-Tage-R-Wert am Freitagabend mit
1,01 an. Das bedeutet, dass 100 Infizierte rechnerisch 101 weitere
Menschen anstecken. Dies könnte darauf hindeuten, dass sich die
ansteckenderen Virusvarianten trotz des Lockdowns rascher ausbreiten.

Innerhalb eines Tages meldeten die Gesundheitsämter in
Deutschland dem RKI 9164 Corona-Neuinfektionen. Das sind 9,7 Prozent
mehr als im Vergleich zum Samstag vergangener Woche (8354). Die Daten
geben den Stand des RKI-Dashboards von 3.10 Uhr wieder, nachträgliche
Änderungen oder Ergänzungen sind möglich. Außerdem wurden 490 neu
e
Todesfälle innerhalb von 24 Stunden im Zusammenhang mit dem
Coronavirus gemeldet.

RKI-Präsident Lothar Wieler hatte am Freitag erklärt, der Anteil der
Virusvariante B 1.1.7., die nach konservativen Schätzungen 35 Prozent
ansteckender ist, steige in Deutschland rasant an. «Wir stehen
möglicherweise erneut an einem Wendepunkt. Der rückläufige Trend der

letzten Wochen setzt sich offenbar nicht mehr fort», sagte Wieler.

Bei den Neuinfektionen und der Sieben-Tage-Inzidenz hatte es in den
vergangenen Tagen kaum Veränderungen gegeben - trotz des anhaltend
strengen Lockdowns. Der Anstieg des R-Werts lässt nun aufhorchen.
Liegt er für längere Zeit unter 1, flaut das Infektionsgeschehen ab.
Liegt er über 1, gewinnt es an Dynamik. Noch am Mittwoch hatte das
RKI den R-Wert mit 0,85 angegeben.

In Flensburg hat die britische Mutante bereits die Oberhand gewonnen.
In der Stadt an der dänischen Grenze werden nach Angaben von
Oberbürgermeisterin Simone Lange (SPD) fast nur noch Infektionen mit
der zunächst in England aufgetretenen Variante festgestellt.
Mittlerweile zählt Flensburg bundesweit zu den Corona-Hotspots.

Dänemark hat deshalb inzwischen mehrere kleinere Grenzübergänge nach

Deutschland geschlossen. Wichtige Übergänge wie Frøslev, Kruså und

Padborg sollten zwar offen bleiben. Dort werde aber «wesentlich
intensiver» kontrolliert, teilte das Justizministerium am Freitag in
Kopenhagen mit.

In Flensburg selbst gelten seit Mitternacht nochmals verschärfte
Corona-Auflagen. So treten an diesem Samstag nächtliche
Ausgangsbeschränkungen in der Zeit von 21.00 Uhr bis 5.00 Uhr in
Kraft. Zudem sind dort vorerst private Treffen untersagt. Es gibt
Ausnahmen, zum Beispiel für den Weg zur Arbeit oder zum Arzt.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil warnte angesichts der Gefahren
durch die Virusmutationen vor einer vorschnellen Lockerung der
Corona-Auflagen in Deutschland. «Bund und Länder müssen gemeinsam ein

vernünftiges Öffnungskonzept entwickeln», sagte der SPD-Politiker dem

Redaktionsnetzwerk Deutschland (Samstag). «Das muss so sicher sein,
dass wir nicht nach ein paar Wochen wieder alles schließen müssen,
was wir gerade erst geöffnet haben.»

Bei einer Öffnungsstrategie gelte es, vorsichtig Schritt für Schritt
voranzugehen. «Alle Maßnahmen müssen mit einer guten Teststrategie
einhergehen und wir müssen den Impffortschritt im Auge behalten»,
sagte Heil. «Nur weil wir alle vom Lockdown genervt sind, können wir
ihn nicht Knall auf Fall beenden.»