Impfung? No, thanks! Britische Minderheiten und ihre Skepsis Von Benedikt von Imhoff, dpa

Millionen Geimpfte und rascher Fortschritt: Das britische
Impfprogramm ist bislang eine Erfolgsgeschichte. Doch es gibt auch
Schattenseiten - Grund sind gesellschaftliche Probleme. Nun nimmt
sich das Königshaus der Sache an.

London (dpa) - Die Zahlen klingen durchaus beeindruckend. Bald jeder
dritte Erwachsene hat in Großbritannien bereits eine erste Impfung
gegen Corona erhalten, jeden Tag kommen Hunderttausende hinzu, die
Zahl der Neuinfektionen sinkt stetig. Voller Nationalstolz verkünden
Premierminister Boris Johnson und seine Kabinettsmitglieder täglich
neuen Fortschritt. Und doch mischt sich in den Jubel eine bittere
Note. Denn die Impfkampagne, die seit gut zwei Monaten läuft,
erreicht offensichtlich nicht alle Menschen in Großbritannien - bei
Schwarzen, Asiaten und anderen ethnischen Minderheiten ist die
Bereitschaft für den schützenden Piks deutlich geringer.

Die Sorgen sind groß. «Wenn eine Gruppe nicht geimpft ist, wird das
Virus sie aufspüren und wie ein Flächenbrand wüten», warnte der
zuständige Staatssekretär Nadhim Zahawi jüngst. Ein Grund für die
Zurückhaltung liegt in sozialen Netzwerken. Von einer «Pandemie der
Desinformation» sprach der Chef des nationalen Gesundheitsdiensts
NHS, Steven Simons. Über Messenger-Dienste werden Falschmeldungen
verbreitet: Dass die Impfung die Fruchtbarkeit beeinträchtige oder im
Mittel ein Aufenthaltstracker verborgen sei. Teilweise ist der Glaube
verbreitet, dass Patienten nur zum Sterben ins Krankenhaus kommen.
Deshalb suchen einige erst eine Klinik auf, wenn es zu spät ist.

Gerade bei sozial Schwachen - und zu diesen gehören viele Schwarze,
Asiaten und Mitglieder anderer Minderheiten, abgekürzt BAME (Black,
Asian and minority ethnic) - bleiben solche Botschaften hängen. «Es
gibt viel Misstrauen gegen die Impfstoffe bei Schwarzen», bestätigt
etwa der Mediziner Azeem Majeed vom Imperial College London im
Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. So lehnten im Londoner
Stadtteil Croydon viele schwarze Patienten eine Impfung ab. Auch der
Hausärzteverband Royal College of General Practicioners ist besorgt.

Nach Angaben des nationalen Statistikamts ONS verweigern nur 15
Prozent der Menschen eine Impfung - darunter aber unverhältnismäßig
viele BAME-Mitglieder. Majeed betont: «Das ist ein großes Problem,
zumal Mitglieder dieser Gemeinschaften ein höheres Risiko haben, an
Covid zu sterben.» Das liegt am Misstrauen gegenüber staatlichen
Stellen - und an schwierigen sozialen Verhältnissen.

«Obwohl sie durchschnittlich in kleineren Immobilien leben als weiße
Briten, ist es für BAME-Mitglieder doppelt so wahrscheinlich, mit
vier oder mehr Menschen in einem Haushalt zusammenzuleben», sagt der
Soziologe Ali Meghji von der Universität Cambridge. «Fast die Hälfte

der schwarzen oder pakistanischen Kinder lebt in Armut und mehr als
die Hälfte der bangladeschischen Kinder.»

Studien haben gezeigt, dass für Pakistaner und Bangladescher in
Großbritannien ein «alarmierend» höheres Risiko besteht als für
Weiße, an oder mit Covid-19 zu sterben. Denn die Menschen aus diesen
südasiatischen Staaten lebten häufiger in benachteiligten Gebieten
und in großen Haushalten mit mehreren Generationen. In den beengten
Räumen kann sich das Virus viel stärker ausbreiten. Außerdem arbeiten

sie weitaus häufiger in Berufen, bei denen ein höheres Corona-Risiko

besteht - etwa als Taxifahrer, Kioskverkäufer oder Ladenbesitzer.

Die Sorgen haben auch das Königshaus erreicht, Thronfolger Prinz
Charles wirbt für die Impfung. «Impfstoffe retten Leben, verhindern
schwere Krankheiten, schützen das Gesundheitssystem und helfen bei
der Rückkehr zum normalen Leben», betont Charles in einer
Videobotschaft für die Organisation British Asian Trust. Es mache ihn
traurig, dass für viele Menschen die Herausforderungen durch die
«unterschiedliche Annahme» der Impfstoffe noch schwieriger würden.

Doch Experten betonen, die Regierung sei mit verantwortlich für die
schleppende Akzeptanz. «Sie wollte sich nicht mit der Frage der
ethnischen Ungleichheit in Bezug auf Covid-19 auseinandersetzen»,
schimpft der Soziologe James Nazroo von der Universität Manchester.
Vielmehr habe die Regierung diese Frage ignoriert. Er fordert, die
Regierung müsse ihre Prioritäten überdenken.

Bisher gehen die Behörden - abgesehen von Pflege- und medizinischem
Personal an vorderster Front - bei der Impfung strikt nach dem Alter
vor. Durchaus erfolgreich, denn der überwältigende Teil der über
75-Jährigen hat bereits eine erste Dosis erhalten. Allerdings ist der
Anteil der BAME-Mitglieder in dieser Altersgruppe gering.

«Angehörige ethnischer Minderheiten altern biologisch schneller,
aufgrund der sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten, mit denen
sie konfrontiert sind», sagt Nazroo der dpa. «Das bedeutet, dass
diese gefährdeten Personen nicht von der aktuellen Priorisierung
erfasst werden.» Vielmehr, so betont der Soziologe, müssten bei der
Verteilung des Impfstoffs gezielter sozial schwächere Gegenden
berücksichtigt werden.