«Kein normales Schuljahr» - Wie Thüringen Bildung organisieren will

Seit Wochen sind Schulen und Kindergärten geschlossen - auch, weil
das Corona-Infektionsgeschehen in Thüringen bundesweit am stärksten
ist. Nun sollen Bildungseinrichtungen wieder öffnen - Schritt für
Schritt.

Erfurt (dpa/th) - Ab März sind es noch 52 Tage bis zur ersten
Abi-Prüfung und nur 19 Wochen bis zum Ende des Schuljahres: Nach
wochenlangen Schließungen sollen in Thüringen ab kommenden Montag
nach und nach Schulen wieder öffnen - wenn auch mit Einschränkungen.
«Alle Schülerinnen und Schüler brauchen den Weg zurück in die
Schulen, brauchen die Lehrerinnen und Lehrer, brauchen den Kontakt
untereinander, das Miteinander und den Spaß und die Freude - trotz
aller Beschränkungen, die es weiterhin geben muss», sagte Thüringens

Bildungsminister Helmut Holter (Linke) am Dienstag nach Beratungen
des Kabinetts über eine neue Corona-Verordnung. «Wir haben kein
normales Schuljahr.»

Die neue Verordnung sieht unter anderem vor, dass ab Montag die
Grundschulen in den eingeschränkten Regelbetrieb starten, eine Woche
später dann sollen die fünften und sechsten und - wenn es das
Infektionsgeschehen zulässt - auch höhere Klassen folgen.

Eine harte Zeit seien die gut 32 Schultage im Lockdown gewesen, sagte
Holter. Nun müsse der Lernstand der Schüler erfasst werden. «Das muss

vor Ort geschehen», sagte der Minister. Lehrer müssten auf den
einzelnen Schüler individuell reagieren - auch wenn dies eine
zusätzliche und große Herausforderung für die Lehrkräfte sei. Mit
Blick auf die Sommerferien arbeite man bereits an
«bildungsunterstützenden Angeboten», sagte Holter, ohne Details zu
nennen.

Schulen und Kindergärten sind in Thüringen seit dem 21. Dezember für

die meisten Kinder und Jugendlichen geschlossen. Zuletzt durften aber
schon Schüler der Abschlussklassen in die Schulen. Auch waren diesmal
die Regeln für die Notbetreuung nicht so streng wie im ersten
Lockdown im März 2020, sodass der Anteil der Kinder in der
Notbetreuung teils bei mehr als 40 Prozent lag. Nun soll schrittweise
die Rückkehr zum Regelbetrieb der Schulen gelingen. Ein Überblick:

GRUNDSCHULEN

Sie sind die ersten, die ab kommenden Montag wieder öffnen - im
eingeschränkten Regelbetrieb (Stufe gelb). Die Notbetreuung entfällt.
Kinder im Primarbereich der Schulen (Klasse eins bis vier) sollen in
festen Gruppen betreut und unterrichtet werden. «Alle Kinder gehen
jeden Tag wieder zur Schule», sagte Holter. Allerdings bestehe dazu
keine Pflicht. Eltern könnten selbst entscheiden, ob sie ihre Kinder
in die Schule schicken oder nicht.

KITAS

Analog zu den Grundschulen machen auch die Kindergärten in Thüringen
wieder auf - und zwar unabhängig von der Sieben-Tage-Inzidenz in den
einzelnen Regionen. Die Notbetreuung entfällt auch hier.

WEITERFÜHRENDE SCHULEN

Ab 1. März können die fünften und sechsten Klasse wieder in den
Schulen lernen. Hier ist es laut Holter möglich, dass in festen
Gruppen unterrichtet wird oder aber Wechselunterricht eingeführt
wird, um in den Räumen größeren Abstand zwischen den Schülern zu
ermöglichen. Entscheiden sollen das die Schulleiter.

Schüler ab den siebten Klassen sollen ebenfalls ab 1. März in die
Schulen zurückkehren können. Bedingung dafür ist aber, dass es
weniger als 100 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner binnen sieben
Tage in der jeweiligen Region gab. Auch hier sei Unterricht in festen
Gruppen oder mit mehr Abstand im Wechselbetrieb möglich.

PERSPEKTIVE

Laut Holter soll es bei dem Ziel bleiben, die sogenannte
Sieben-Tage-Inzidenz auf unter 50 Neuinfektionen pro 100 000
Einwohner innerhalb einer Woche zu drücken. Erst wenn dies «stabil»
erreicht sei, könnten Schulen im Land auf Stufe «grün» und damit in

den normalen Regelbetrieb wechseln. Strenge Infektionsschutzmaßnahmen
seien freilich auch dann noch nötig, betonte Holter.

IMPFUNGEN

Der Bildungsminister sprach sich erneut dafür aus, dass Lehrer früher
geimpft werden als bisher angepeilt. Vergangene Woche hatten sich die
Regierungschefinnen und Regierungschefs von Bund und Ländern darauf
verständigt, dass geprüft werden soll, ob Lehrer in der
Impfverordnung in eine höhere Kategorie rutschen können. Eine
Entscheidung dazu steht aber noch aus.

TESTS

Holter appellierte wiederholt an Lehrer und Schüler, sich regelmäßig

auf eine Corona-Infektion testen zu lassen. Bisher bezahlt das Land
diese Tests für die Beschäftigten an den Schulen und für jene
Schüler, die bislang trotz Lockdown an den Schulen lernen durften -
zum Beispiel Abschlusskandidaten oder Schüler mit besonderem
Unterstützungsbedarf. Holter machte klar, dass eine Ausweitung dieses
Testsystems teuer sein würde. Bisher habe man zwölf Millionen Euro
für solche Tests eingestellt. «Wenn das Testsystem ausgedehnt werden
soll, brauchen wir finanzielle Verstärkung, die aber deutlich über
zwölf Millionen hinausgeht.»

Bisher ist noch unklar, ob alle künftig regelmäßig getestet werden.
«Bei 245 000 Schülerinnen und Schülern und 44 000 Beschäftigten ode
r
auch bei rund 20 000 Lehrerinnen und Lehrern kommt man auf eine
richtig große Summe», sagte Holter. Er rechne damit, dass mindestens
noch einmal 40 Millionen Euro, «wenn nicht sogar noch mehr», nötig
seien, um das Testsystem auf alle auszuweiten.

KRITIK

Der Thüringer Landesverband der Gewerkschaft für Erziehung und
Wissenschaft (GEW) kritisiert vor allem, dass an Grundschulen und in
Kitas nur feste Gruppen vorgeschrieben werden sollen - aber kein
Wechselmodell. «Kindergärten und Grundschulen öffnen nun in voller
Besetzung, ohne dass die Voraussetzungen für sichere Arbeit
vollumfänglich geschaffen wurden», erklärte Thüringens
GEW-Vorsitzende Kathrin Vitzthum. Auch angesichts der Virusmutationen
halte man die Entscheidung des Kabinetts für fahrlässig.