«Vordrängeln wie in der Mensa» - Augsburger Bischof in der Kritik Von Ulf Vogler, dpa

Der Corona-Impfstoff ist in der Bundesrepublik ein knappes Gut. Das
weckt Begehrlichkeiten, und manche können nicht widerstehen.
Spitzenpersonal aus Kommunen und Kirche stand in einigen Orten vorne
in der Impfschlange.

Augsburg (dpa/lby) - Auf hoher See gilt traditionell, dass der
Kapitän als letzter das sinkende Schiff verlässt. In manchen
deutschen Rathäusern gilt in diesen Tagen angesichts der Pandemie und
der Impfstoff-Knappheit anscheinend das umgekehrte Prinzip:
Oberbürgermeister und andere Kommunalpolitiker mussten zugegeben,
dass sie sich schon eine Impfdosis gesichert haben, obwohl sie noch
nicht an der Reihe waren. Nun muss sich auch der Augsburger Bischof
Bertram Meier gegen den Vorwurf wehren, ein Vordrängler zu sein.

Wie sein Sprecher Ulrich Bobinger am Mittwoch erläuterte, haben
sowohl der 60-Jährige wie auch sein 53 Jahre alter Generalvikar
Harald Heinrich bereits die begehrte Spritze gegen das Coronavirus
erhalten. Zuvor hatte die «Augsburger Allgemeine» darüber berichtet.


Nach Ansicht der Diözese stand den beiden hochrangigen Vertretern der
katholischen Kirche die Impfung zu. Nach der entsprechenden
bayerischen Verordnung gehörten beide zu dem Personenkreis, der
vorrangig geimpft werden solle, sagte Bobinger.

Begründet wird dies damit, dass Meier und Heinrich wie Personal von
Pflegeheimen zu betrachten seien, da sie dort regelmäßig als
Seelsorger arbeiteten. Der Bistumssprecher betont, dass nicht nur die
Altenpfleger daher Anspruch auf den frühzeitigen Pieks haben. «Also
das betrifft zum Beispiel auch Putzfrauen.»

Später wurde dann noch eine Stellungnahme des Bischofs
veröffentlicht: «Dass meine Impfung in der Öffentlichkeit für
Missverständnisse gesorgt hat, tut mir leid», sagte Meier demnach.

Der Deutschen Stiftung Patientenschutz ist die Begründung jedenfalls
zu pauschal. Vorstand Eugen Brysch schlägt vor, dass der Bischof
anhand seines Terminkalenders plausibel belegt, wie oft er in der
Vergangenheit in Heimen war.

Wenn er immer zwei- bis dreimal pro Woche die Bewohner an deren
Betten besuche, sei gegen eine Impfung nichts zu sagen. Ein
gelegentlicher Gottesdienst reicht Brysch eindeutig nicht: «Um in der
Hauskapelle eine Messe zu feiern, dafür muss keiner geimpft sein.»

Der Fraktionschef der Landtags-Grünen, Ludwig Hartmann, verglich
Meiers Verhalten mit einem «ungezogenen Vordrängeln wie beim
Mittagessen in der Uni-Mensa». Hartmann betont: «Auch für den Bischof

gilt: Einreihen in die Impfschlange und warten, bis er an der Reihe
ist.»

In den vergangenen Tagen mussten sich bereits mehrere
Kommunalpolitiker in Deutschland gegen die Kritik erwehren, bei den
Impfungen bevorzugt worden zu sein. In Sachsen-Anhalt wurde bekannt,
dass Halles parteiloser Oberbürgermeister Bernd Wiegand und zehn
Stadträte entgegen der festgelegten Reihenfolge bereits die Spritze
erhielten.

In Bayern lief es beim Landrat des schwäbischen Kreises Donau-Ries,
Stefan Rößle (CSU), und dem parteilosen Oberbürgermeister der
dortigen Kreisstadt Donauwörth, Jürgen Sorré, ebenso. Beide hatten
bereits im Januar den Oberarm für die Spritze freigemacht. In allen
Fällen wurde betont, dass kurzfristig übrig gebliebene Dosen
verabreicht worden seien, die ansonsten hätten entsorgt werden
müssen.

Dabei gibt es nach Angaben des Gesundheitsministeriums in München für
solche Fälle eindeutige Vorgaben. Damit der rare Impfstoff nicht
verfällt, sollen die Impfzentren überschüssige Dosen an Kliniken oder

andere Zentren abgeben. Außerdem würden Wartelisten geführt.

Allerdings gibt es auch etliche Beispiele von Politikern und
Kirchenvertretern, die nicht in den Verdacht geraten, sich
Privilegien verschaffen zu wollen. So teilt das Münchner Erzbistum
mit, dass weder Kardinal Reinhard Marx noch sein Generalvikar geimpft
seien. Entsprechende Mitteilungen gab es auch von den übrigen
bayerischen Bistümern.

Auch die «Augsburger Allgemeine» hat eine Reihe von Politikern
gefunden, die nichts von vorgezogenen Impfungen halten. Ein Sprecher
der Stadt Augsburg berichtete dem Blatt, dass sich
Oberbürgermeisterin Eva Weber (CSU) erst impfen lassen wolle, wenn
sie regulär an der Reihe sei. Dies gelte auch für die anderen
Referenten der schwarz-grünen Rathauskoalition. Auch der
CSU-Bundestagsabgeordnete Hansjörg Durz sagte der Zeitung: «Ich lasse
mich impfen. Aber erst, wenn ich dran bin.»

In der Staatskanzlei und den Ministerien in München sind Privilegien
bislang ebenso kein Thema: «Es ist noch kein Mitglied der
Staatsregierung gegen das Coronavirus geimpft worden», teilte ein
Sprecher der Staatskanzlei kurz und knapp mit.