«Desaströses Corona-Jahr» im Gastgewerbe - Krise bremst Reiselust Von Friederike Marx und Bernhard Sprengel, dpa

Urlaub im eigenen Land statt in der Ferne: In der Corona-Krise
änderte sich das Reiseverhalten der Menschen in Deutschland. Doch
auch das kann den Einbruch im Deutschland-Tourismus nicht verhindern.

Wiesbaden/Hamburg (dpa) - Viele Menschen in Deutschland haben im
Corona-Jahr 2020 Urlaub zwischen Rügen und Garmisch-Partenkirchen
gemacht. Gut jede zweite Urlaubsreise fand einer Umfrage zufolge im
eigenen Land statt - ein Reiseverhalten ähnlich wie in den 1970er
Jahren. Dennoch verzeichnete der Deutschland-Tourismus einen massiven
Einbruch. Die Übernachtungszahlen sanken auf ein Rekordtief. Die
Deutsche Zentrale für Tourismus (DZT) rechnet vor allem für die
Sommermonate mit einer Belebung der Reisen aus Deutschland und
Europa. Allerdings ist die Verunsicherung der Menschen einer Umfrage
zufolge derzeit noch groß.

Reisebeschränkungen und zeitweise Übernachtungsverbote für
Privatleute in der Pandemie trafen Hotels, Pensionen und andere
Unterkünfte im vergangenen Jahr mit voller Wucht. Nach Angaben des
Statistischen Bundesamtes vom Mittwoch sank die Zahl der
Übernachtungen von Reisenden aus dem In- und Ausland gegenüber dem
Vorjahr um 39,0 Prozent auf das Rekordtief von 302,3 Millionen. Es
war der niedrigste Stand seit dem Vorliegen gesamtdeutscher
Ergebnisse im Jahr 1992.

Der Einbruch infolge des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 ließ sich
auch nicht durch eine mancherorts gute Sommersaison kompensieren. Es
fehlten auch Geschäftsreisende und internationale Gäste. Wegen der
Pandemie wurden reihenweise Messen, Konferenzen und andere
Veranstaltungen abgesagt. Der weltweite Reiseverkehr wurde
eingeschränkt. So galt beispielsweise von Mitte März bis Ende Juni
2020 ein Einreiseverbot für Bürgerinnen und Bürger aus
Nicht-EU-Staaten. Seit Anfang November befindet sich die Branche in
Deutschland erneut im Lockdown.

Der Präsident des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga),
Guido Zöllick, schlug Alarm: «Nach dem desaströsen Corona-Jahr mit
vier Monaten Lockdown sind die Konten unserer Betriebe leer. Wegen
der verzögerten Hilfszahlungen und der fehlenden Öffnungsperspektiven
nehmen Verzweiflung und Existenzängste in der Branche dramatisch zu.»
Das Geschäft mit den wenigen Übernachtungen der Geschäftsreisenden
decke kaum die Kosten für das Offenhalten der Hotels, Gasthäuser und
Pensionen.

Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) machte auf die aus
ihrer Sicht wachsende Notlage der Beschäftigten im Gastgewerbe
aufmerksam. Angesichts niedriger Löhne in der Branche und
monatelanger Kurzarbeit befänden sich Hotelangestellte, Köche und
Kellner in einer prekären Lage. «Selbst 80 Prozent des Nettolohns ab
dem siebten Monat Kurzarbeit sind bei jemandem, der nur knapp über
dem Mindestlohn verdient, zu wenig, um Rechnungen oder die Miete zu
bezahlen», sagte NGG-Vorsitzender Guido Zeitler. Ohne zusätzliche
Hilfen der Politik drohten enorme soziale Verwerfungen im unteren
Einkommenssektor.

Einer Umfrage zufolge verpasste die Corona-Pandemie der Reiselust der
Menschen in Deutschland im vergangenen Jahr einen kräftigen Dämpfer.
Lediglich 37 Prozent der mehr als 3000 Befragten waren mindestens
fünf Tage verreist, wie aus der Tourismusanalyse der Hamburger
Stiftung für Zukunftsfragen von British American Tobacco (BAT)
hervorgeht. Im Vorjahr waren es noch 61 Prozent.

Der Anteil der Inlandsreisen stieg im Vergleich zum Vorjahr um gut 21
Prozentpunkte auf 55,5 Prozent. Das entspricht den Angaben zufolge
dem Reiseverhalten der 1970er Jahre. Bayern, Niedersachsen und
Baden-Württemberg konnten ihre Marktanteile jeweils in etwa
verdoppeln. Die Anzahl der Ankünfte blieb allerdings in etwa gleich,
weil insgesamt weniger Menschen verreisten.

«Die Bundesbürger zeigen sich krisenbewusst und pragmatisch. Statt zu
verreisen, blieben sie 2020 überwiegend zuhause - teilweise
zwangsweise, teilweise aber auch durch die große Verunsicherung und
Angst vor Infektionen», erläuterte der wissenschaftliche Leiter der
BAT-Stiftung, Ulrich Reinhardt.

Das beliebteste Auslandsziel war der Umfrage zufolge Österreich, das
erstmals seit 50 Jahren diesen Spitzenplatz belegte. Wie Anfang der
1970er Jahre folgten Italien und Spanien auf Platz zwei und drei,
auch wenn beide Länder Marktanteile einbüßten. Skandinavien,
Griechenland, die Benelux-Staaten und Polen konnten ihre Anteile
erhöhen, bei insgesamt niedrigem Gesamtniveau. Nur noch jeder 15.
Urlauber habe ein Ziel außerhalb Europas gewählt. Reisen nach Amerika
oder Afrika fanden fast gar nicht statt.

Zwar möchten gut drei Viertel der Befragten (76 Prozent) in diesem
Jahr mit Familie oder Freunden Urlaub machen. Doch ungefähr genauso
viele Befragte (78 Prozent) glauben, dass das Gefühl der Unsicherheit
wegen der andauernden Corona-Pandemie erstmal bleiben wird. «Solange
die Angst sich zu infizieren, krank zu werden oder im Urlaub gar
ärztliche Hilfe zu benötigen im Hinterkopf ist, werden viele
Bundesbürger mit einem unguten Gefühl unterwegs sein oder gleich ganz
zuhause bleiben», erklärte Reinhardt. «Sicherheit war, ist und bleibt

die Grundvoraussetzung beim Reisen.»