Die verdrängte Krise? Von Steffen Trumpf, Teresa Dapp und den dpa-Korrespondenten

In diesem Jahr hat die Corona-Pandemie den Klimawandel zumindest
teilweise aus den Köpfen und auch aus den Medien verdrängt. Dabei
werden die Alarmsignale nicht weniger. Einiges spricht dafür, dass
das Thema 2021 wieder mit ganz vorne steht.

Berlin/Kopenhagen (dpa) - Zehntausende auf der Straße in friedlichem
Protest, rufend und singend, Arm in Arm: So ist Fridays for Future zu
einer Macht geworden, die der Politik Beine gemacht hat beim
Klimaschutz. In den vergangenen Monaten haben Aktivisten sehnsüchtig
zurückgedacht an diese Zeit. Denn 2020 hatten Greta Thunberg, Luisa
Neubauer und ihre Mitstreiter es sehr viel schwerer, Bilder und
Schlagzeilen zu produzieren. Die Corona-Pandemie verdrängte die
Klimaproteste größtenteils ins Internet und das Thema von den
Titelseiten. Doch für 2021 gibt es Grund zur Hoffnung aus Sicht der
Klimaschützer - in Deutschland, Europa und weltweit.

Start in Deutschland: 2021 ist Bundestagswahl. Umwelt, Klima und
Energie liegen bei den wichtigen Problemen, die die Forschungsgruppe
Wahlen regelmäßig für das ZDF-«Politbarometer» abfragt, immerhin
auf
Platz zwei hinter Corona, sie dürften also auch im Wahlkampf wichtig
werden. Forscher mahnen, dass die 20er Jahre entscheiden, ob das Ziel
des Pariser Klimaabkommens, die Erderwärmung auf unter zwei Grad und
möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen, erreichbar bleibt. Der nächste
Koalitionsvertrag wird auch in diesem Licht bewertet werden.

«Die Bundestagswahl wird Klimawahl», zeigt sich Luisa Neubauer
überzeugt, die bekannteste deutsche Klimaaktivistin. Fridays for
Future wolle die Menschen auffordern, «mit uns die Wahl zu einer zu
machen, die sich wie noch nie zuvor um das Klima dreht». Der Planet
führe täglich vor Augen, wie dringend gehandelt werden müsse. «Soba
ld
große Proteste möglich sind, werden sie auch wieder stattfinden -
vorausgesetzt, die Regierung gibt weiterhin so engagiert Gründe zu
streiken.»

Weiter mit der Europäischen Union: Dort gelang im Dezember die
Einigung der Mitglieder auf ein höheres Klimaschutz-Ziel - und dann
wird es erst richtig spannend. 2021 wird ausbuchstabiert, was das für
die einzelnen Mitgliedstaaten, für Energieproduktion oder die
Autobauer bedeutet. Dazu kommen Corona-Wiederaufbauhilfen, die
klimafreundliche Technologien voranbringen können oder auf Kohle, Öl
und Gas setzen. Von den Experten von Climate Transparency etwa gibt
es da bisher ganz gute Noten für die EU. Neubauer sieht die EU
besonders in der Verantwortung: Für das 1,5-Grad-Ziel «steht und
fällt allerdings alles mit Europa, das vorgeht und vorlebt.»

Blick auf die Welt: 2020 fiel die UN-Klimakonferenz dem Coronavirus
zum Opfer, sie wird Ende 2021 in Glasgow nachgeholt. Eigentlich
sollten alle Staaten bis zum Klimagipfel neue nationale Pläne
vorlegen, wie sie ihren Treibhausgas-Ausstoß senken wollen. Ein
Mini-Online-Gipfel Mitte Dezember konnte nicht dieselbe Strahlkraft
entfalten, zeigte: Das Thema ist nicht vergessen, mehr als 70 Staaten
machten neue Zusagen oder betonten zumindest den Ernst der Lage.
Keine Nachricht machte Klimaschützern so große Hoffnung wie die Wahl
von Joe Biden zum US-Präsidenten. Am 20. Januar tritt er sein Amt an.

Biden will mit den USA, dem Land mit dem zweithöchsten CO2-Ausstoß
weltweit, gleich an Tag eins im Oval Office ins Pariser Klimaabkommen
zurückkehren und die Wirtschaft auf den Weg Richtung Klimaneutralität
2050 bringen. Die kommende US-Regierung werde die Klimakrise als die
dringliche Bedrohung für die nationale Sicherheit behandeln, die sie
sei, kündigte der designierte Klimabeauftragte John Kerry bereits an.
«Gut zu wissen», antwortete die inzwischen 17 Jahre alte Schwedin
Greta Thunberg, die eisern jeden Freitag aufs Neue ihr berühmtes
Schild «Schulstreik fürs Klima» präsentiert. Neubauer glaubt: «
Biden
öffnet wieder viele klimapolitische Türen.»

Weltweit sind Folgen des Klimawandels längst nicht mehr zu übersehen
- auch wenn es schwierig bleibt, einzelne Extremwetter-Ereignisse auf
die Erderwärmung zurückzuführen. Klar ist aber, dass es mehr werden
und dass sie heftiger ausfallen. Ein Rückblick über den europäischen

Tellerrand - nach Afrika, Australien, Asien und Mittelamerika:

AFRIKA hat bislang nur etwa drei Prozent zum globalen CO2-Ausstoß
beigetragen, ist aber besonders stark von der Klimakrise betroffen.
2020 mussten die Menschen Ostafrikas mitansehen, wie ihre Felder und
Weiden von Millionen Wüstenheuschrecken kahlgefressen
wurden. Hauptgrund für die dort schlimmste Heuschrecken-Plage seit
Jahrzehnten war der ungewöhnlich starke und langanhaltende Regen.

Viele Länder im Süden Afrikas erlebten schlimme Überschwemmungen,
andere litten unter schwerwiegenden Dürren. Trotzdem spielt die
Klimakrise als Thema in den meisten Staaten nur eine kleine Rolle,
die Anstrengungen vieler Regierungen halten sich in Grenzen.

AUSTRALIEN, das 2019 das heißeste Jahr seit Beginn der
Wetteraufzeichnungen erlebt hatte, startete mit verheerenden
Buschfeuern mit Hunderten Millionen toten Tieren ins Jahr 2020. Es
folgten Starkregen, Zyklone, Hitzewellen und Dürren. Die
Buschbrand-Saison wird Prognosen zufolge wegen des Klimawandels immer
früher starten und immer länger dauern.

In SÜDOSTASIEN führt der Klimawandel dazu, dass Indonesien in den
nächsten Jahren eine neue Hauptstadt auf der Insel Borneo bauen will.
Die bisherige Hauptstadt Jakarta mit zehn Millionen Einwohnern droht
wegen des steigenden Meeresspiegels zu versinken. Die Philippinen
wiederum wurden 2020 von mehr als 20 Tropenstürmen überrollt.
Tropische Wirbelstürme entstehen über dem offenen Meer - und je
stärker dieses aufgewärmt ist, desto mehr Energie setzt es frei.

In LATEINAMERIKA wurden in der diesjährigen Hurrikansaison so viele
schwere Wirbelstürme registriert wie nie zuvor. 30 Stürme waren stark
genug, um einen Namen zu bekommen. Argentinien und Chile litten 2020
erneut unter schweren Dürren - während andere Gebiete regelmäßig vo
n
extremen Regenfällen und Überschwemmungen heimgesucht wurden.

Für das AMAZONASGEBIET war 2020 ebenfalls erneut ein schlechtes Jahr.
Durch Abholzung und Brände gingen erneut Tausende Quadratkilometer
bewaldeter Fläche verloren. Weil der Regenwald im Amazonasgebiet
immense Mengen CO2 binden kann, hat er auch für das Weltklima große
Bedeutung. Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro sieht in der Region
allerdings vor allem ungenutztes wirtschaftliches Potenzial und will
noch mehr Flächen für Landwirtschaft, Bergbau und Energiegewinnung
erschließen. Internationale Kritik prallt an ihm ab.