AfD beschließt sozialpolitisches Konzept - Meuthen fordert Disziplin

Das Feld der Sozialpolitik war bislang ein weißer Fleck in der
Programmatik der AfD. Das hat sich jetzt mit dem Bundesparteitag in
Kalkar geändert. Überlagert wurde dieser von einer Brandrede des
Bundesvorsitzenden Meuthen.

Kalkar (dpa) - Die AfD hat ihr Programm um ein sozialpolitisches
Konzept ergänzt und damit vor der Bundestagswahl 2021 eine bislang
bestehende inhaltliche Lücke geschlossen. Der Bundesparteitag in
Kalkar verabschiedete am Samstag einen entsprechenden Antrag mit
Leitlinien zur Gesundheitspolitik und Vorschlägen zur Stabilisierung
des Rentensystems. Nach mehrstündiger Debatte stimmten fast 89
Prozent der rund 500 Delegierten für das Konzept.

Der Bundesvorsitzende Tino Chrupalla betonte, das AfD-Konzept schaffe
es, dass die Leistungsbereitschaft und das Engagement, das ein Mensch
in jahrzehntelanger Arbeit für das Land erbringe, im Alter angemessen
belohnt werde: «Wir garantieren allen Menschen, die ihr Leben lang
gearbeitet haben, eine auskömmliche Rente.»

Bei der Rente fordert die AfD unter anderem Freiheit beim Zeitpunkt
des Renteneintritts, die Abschaffung von Politikerpensionen, eine
Altersvorsorge für Selbstständige und eine Stärkung der privaten
Vorsorge vor. Um mehr «Lastengerechtigkeit» zwischen Familien und
Kinderlosen herzustellen, sollten Eltern für jedes Kind 20 000 Euro
an Beiträgen zur Rentenversicherung aus Steuermitteln erstattet
bekommen. Keine Zustimmung erhielt die Forderung, dies auf deutsche
Staatsbürger zu beschränken.

Die Leitlinien zur Gesundheitspolitik sehen unter anderem vor, die
gesetzliche und die private Krankenversicherung zu stärken, die
ambulante Versorgung von Patienten zu verbessern, die Mehrwertsteuer
auf Arzneimittel zu senken und die stationäre medizinische Versorgung
im ländlichen Raum zu erhalten.

Die Delegierten wählten außerdem den sächsischen Landtagsabgeordneten

Carsten Hütter mit knapper Mehrheit zum Bundesschatzmeister. Zu
seinem Stellvertreter wurde Christian Waldheim aus Schleswig-Holstein
gewählt. Auf den Platz im Bundesvorstand, der durch den
Parteiausschluss von Andreas Kalbitz frei geworden war, rückte die
Bundestagsabgeordnete Joana Cotar nach. Insgesamt setzten sich damit
eher gemäßigte Afd-Politiker durch.

Zuvor hatte der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen seine Partei zur
Distanzierung von Krawallmachern und Provokateuren in den eigenen
Reihen aufgefordert. «Was wir mehr als alles andere brauchen, ist
innerparteiliche Disziplin», sagte er in einer Rede, für die es am
Ende auch Buh-Rufe gab. Der Parteichef kritisierte unter anderem,
dass manche in der AfD von «Corona-Diktatur» sprächen, keine Distanz

zur sogenannten Querdenker-Bewegung zeigten und mit dem Begriff
«Ermächtigungsgesetz» hantierten.

«Das kann und darf so keinesfalls weitergehen», forderte Meuthen.
«Entweder wir kriegen hier die Kurve, und zwar sehr entschlossen und
sehr bald. Oder wir werden als Partei in keineswegs ferner Zukunft in
ganz, ganz schwere See geraten und gegebenenfalls scheitern.»

Von den 600 Delegierten waren rund 540 nach Kalkar am Niederrhein
gekommen. Sie sollen am Sonntag auch zwei Posten im Bundesvorstand
nachwählen. Der langjährige Schatzmeister Klaus Fohrmann war im
Januar zurückgetreten. Dem Beisitzer und früheren Brandenburger
Landeschef Andreas Kalbitz hatte der AfD-Bundesvorstand im Mai die
Mitgliedschaft aberkannt.

Der Parteitag kam in einer Messehalle zusammen. Die örtlichen
Behörden hatten strenge Sicherheitsauflagen gemacht. So mussten alle
Delegierten permanent eine Maske tragen, auch wenn sie an ihrem Platz
saßen. Nach jeweils 50 Minuten mussten alle Türen der Halle für 10
Minuten zum Lüften geöffnet werden. Die Stadt Kalkar hatte
angekündigt, den Parteitag notfalls auch zu beenden, wenn die
Auflagen nicht eingehalten werden sollten.

Rund 500 Menschen demonstrierten friedlich gegen das Treffen der
Rechtspopulisten. Zu der Kundgebung hatte das Bündnis «Aufstehen
gegen Rassismus» aufgerufen.

Parteichef Chrupalla antwortete den Kritikern der Versammlung mitten
in der Corona-Pandemie, Präsenzparteitage seien unverzichtbar in der
Parteiendemokratie. Diese brauche lebendige Debatten. «Wenn wir da
uns von einem Virus in die Schranken weisen lassen, hat die
Demokratie ihr Recht bereits verloren.» Zugleich appellierte
Chrupalla an die Delegierten, das Hygienekonzept einzuhalten. «Tragt
Eure Masken am Sitzplatz. Haltet Abstand.»

Chrupalla kritisierte die «Notstandspolitik von Bund und Ländern» in

der Corona-Krise. Er warf ihnen vor, die Ausnahmesituation zum
Normalzustand machen zu wollen. «Wir werden nicht zulassen, dass die
Regierungen im Alleingang das gesellschaftliche und wirtschaftliche
Leben in Deutschland ins Koma versetzen können.» Es würden
wissentlich Existenzen vernichtet, die Pleitewelle rolle bereits,
viele Menschen werde dies den Arbeitsplatz kosten.

Mit großer Mehrheit ergänzten die Delegierten den Leitantrag zur
Sozialpolitik um eine Passage zur Corona-Krise. Darin kritisiert die
AfD «die panikartigen Corona-Maßnahmen der Bundesregierung». Sie
fordert unter anderem, die flächendeckenden Maßnahmen wie Lockdowns
und Maskenpflicht schnellstmöglich durch angemessene Mittel zum
gezielten Schutz von Risikogruppen zu ersetzen. Alle betroffenen
Bereiche von Wirtschaft und Kultur sollten unverzüglich wieder
geöffnet werden.

Im Umgang mit dem Verfassungsschutz, der den inzwischen aufgelösten
«Flügel» der AfD als rechtsextremistische Bestrebung beobachtet, warb

Chrupalla für Gelassenheit: «Glaubt mir, liebe Freunde, wir
verbessern diese Situation nicht, indem wir uns ständig selbst
anklagen.» Chrupalla wandte sich strikt gegen verfassungsfeindliches
Gedankengut in den eigenen Reihen. «Wer ein Problem mit dem
Grundgesetz hat, der hat in unserer Partei nichts verloren.»