Heil will Marktbeherrschung digitaler Plattformen brechen Von Basil Wegener, dpa

Corona verschafft Online-Plattformen wie Essenslieferdiensten einen
Boom. Doch bei manchen digitalen Marktplätzen werden Beschäftigte
nach Wildwestmanier behandelt. Neue Regeln sollen helfen.

Berlin (dpa) - Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will die
Marktbeherrschung der wegen Corona boomenden Digitalplattformen
brechen. Billiglöhne und fehlender Versicherungsschutz von
Beschäftigten solle eingedämmt werden, sagte Heil der Deutschen
Presse-Agentur in Berlin. Nach Eckpunkten, die das Arbeitsministerium
am Freitag in Berlin veröffentlichte, sollen auch soloselbstständige
Plattformtätige künftig sozialen Schutz genießen. Der Essenslieferant

Lieferando wies Vorwürfe an seine Adresse strikt zurück. Die IG
Metall begrüßte den Vorstoß Heils.

«Ich werde nicht zulassen, dass Digitalisierung in der
Plattformökonomie mit Ausbeutung verwechselt wird», sagte Heil.
Betroffen sind neben Essenslieferanten zum Beispiel Fahrdienste und
Haushaltsdienstleistungen, aber auch Plattformen für Textarbeit,
Programmierung und kreative Tätigkeiten. Nach einer EU-Erhebung
beziehen laut Ministerium 2,7 Millionen Menschen in Deutschland
mindestens die Hälfte ihres Einkommens aus Plattformarbeit oder
arbeiten mindestens zehn Stunden pro Woche auf diese Weise. Andere
Studien kämen zu geringeren Zahlen.

«Plattformen streben nach Marktbeherrschung», sagte Heil. «Das
erleben wir jetzt auch in der Pandemie.» Bei den Essensbringdiensten
zum Beispiel gebe es mittlerweile vor allem einen relevanten
Anbieter. Vermehrt wurden zuletzt Klagen von Gastronomen über
Abhängigkeit von der Bestellplattform Lieferando bekannt. Laut einem
ARD-Bericht bemängeln Mitarbeiter zudem, dass dort die Gründung von
Betriebsräten erschwert werde.

Ein Lieferando-Sprecher entgegnete, sein Unternehmen zeige, dass
faire Löhne und Anstellungsverhältnisse in der Branche möglich seien.

Alle Fahrer - rund 5000 in Deutschland - seien regulär angestellt und
versichert. Neben Sozialabgaben, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall
sowie bezahltem Urlaub zahle Lieferando allen Kurieren einen festen
Stundenbasislohn von 10,50 Euro im deutschlandweiten Schnitt.

Heil sagte, Marktbeherrschung führe dazu, «dass Preise und
Bedingungen gegenüber den Lieferanten und den Restaurants einseitig
diktiert werden können». Nötig sei ein Rahmen für fairen Wettbewerb
.
Soziale Marktwirtschaft solle es auch in der Plattformökonomie geben.

Das Arbeitsministerium schlägt unter anderem folgende Eckpunkte vor:

SOZIALER SCHUTZ: Soloselbstständige Plattformtätige sollen in die
gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden. Die
Plattformbetreiber sollen dafür mitbezahlen. Auch Beiträge der
Plattformen für die Krankenversicherung sollen geprüft werden. Etwa
bei Lieferanten und Kurieren soll auch geprüft werden, ob Betreiber
Beiträge der Unfallversicherung tragen müssen.

BEWEISLAST FÜR SELBSTSTÄNDIGKEIT: Wenn ein Plattformtätiger das
Bestehen eines Arbeitsverhältnisses angibt, soll der Betreiber bei
Meinungsverschiedenheiten das Gegenteil beweisen müssen.

ORGANISATION DER PLATTFORMTÄTIGEN: Das Ministerium will
kollektivrechtliche Organisation für soloselbstständige
Plattformtätige ermöglichen.

WEITERE REGELN: Mindestkündigungsfristen sollen je nach Dauer der
Tätigkeit eingeführt werden. Angestrebt werden auch eine
Lohnfortzahlung bei Krankheit, Mutterschutz- und Urlaubregeln sowie
faire Vertragsbedingungen für Soloselbstständige.

«Digitale Plattformen machen das Leben leichter», sagte Heil. «Neue
Arbeitsmöglichkeiten entstehen.» Aber Plattformbeschäftigte müssten

die Möglichkeit haben, ihre Interessen wirksam zu vertreten und zum
Beispiel Tarifverträge zu machen. Das Thema werde auch auf dem
Digitalgipfel der Regierung am Montag und Dienstag behandelt.
«Plattformen dürfen nicht mit den niedrigsten Löhnen und dem
schlechtesten Schutz miteinander konkurrieren.» Eine Novelle des
Wettbewerbsrechts sei derzeit bei Wirtschaftsminister Peter Altmaier
(CDU) in Planung.

Die IG Metall begrüßte die Eckpunkte. «Im Internet ist ein
Parallelarbeitsmarkt entstanden, in dem Plattformen viele Tarif- und
Sozialstandards unterlaufen können», sagt Vizechefin Christiane
Benner. Die Gewerkschaft wies auf eine Verhandlung über den fristlos
gekündigten Account eines Crowdworker vor dem Bundesarbeitsgericht in
Erfurt an diesem Dienstag hin: «Für viele Plattformarbeitende hat die
Kündigung ihres Benutzerkontos die gleiche Tragweite wie die
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses, aber sie haben bislang
keinerlei Schutz gegen dieses Risiko.»

Die Linke-Expertin für moderne Arbeitswelt, Jessica Tatti, forderte:
«Anstatt Pressemitteilungen zu schreiben, soll der Minister einen
Gesetzentwurf vorlegen.» Plattformbeschäftigte bräuchten Sicherheit.