Tag des Scheiterns: Als die Hamburger Olympia-Welt zusammenbricht Von Franko Koitzsch, dpa

Eigentlich möchten die Verantwortlichen von der Schmach nichts mehr
hören. Zu tief sitzt der Stachel. Olympia in Hamburg - der Plan ist
gewaltig, am Ende bleibt Frust. Warum musste es so kommen?

Hamburg (dpa) - Für die einen war es eine unfassbare Pleite, die
Schock, Schmerz und Zukunftsangst hinterließ. Für die anderen war es
ein Moment höchster Erleichterung und überbordenden Stolzes. Was vor
fünf Jahren in Hamburg geschah, hat den Blick auf den Spitzensport in
Deutschland verändert. Olympia zwischen Ostsee und Alpen? Nein,
danke. Die Tür ist wohl zu für sehr lange Zeit.

Das Referendum um die Olympischen Spiele 2024 in Hamburg hat vor fünf
Jahren die Hoffnung auf Belebung des schleichenden Niedergangs im
deutschen Spitzensport zerstört. 48,4 Prozent der Hamburger, die am
29. November 2015 ihre Stimme abgaben, waren für Olympia an Elbe und
Alster, 51,6 Prozent dagegen. 50,2 Prozent der stimmberechtigten 1,3
Millionen Einwohner hatten teilgenommen. Für eine Volksbefragung ein
erstaunliches Ergebnis. Nach dem Abstimmungscrash bekannte
DOSB-Präsident Alfons Hörmann erschüttert, dass «der olympische
Gedanke und Deutschland im Moment nicht zusammenpassen».

Was die einen als kleingeistige Angstszenarien ohne Visionen
geißelten, feierten die anderen als Aufstand der Vernunft. «Es war
ein schöner Tag», sagt Mehmet Yildirim, Sportpolitischer Sprecher der
Linken in der Hamburger Bürgerschaft, fünf Jahre danach. «Es war ein

trauriger Tag für die Stadt», meint Nikolas Hill, damals
Geschäftsführer der Bewerbungsgesellschaft. Olympia hatte die Stadt
zerschnitten in glühende Befürworter und kategorische Ablehner.
Handball-Ikone Stefan Kretzschmar sah schließlich «Hamburg meine
Perle vor die Säue geworfen».

«Die Stadt ist danach in ein Loch gefallen», sagt Hill. «Aus dem ist

sie bis heute nicht rausgekommen.» Anders als für manchen
Verantwortungsträger heute sind für Hill die entscheidenden Fragen in
der Hansestadt nicht beantwortet: «Was macht Hamburg aus? Was möchte
die Stadt sein, wo will sie hin? Welche Strategie hat sie?»

Olympische Spiele in Hamburg waren von der regionalen Politik und
Wirtschaft zuvörderst als Katalysator für die Stadtentwicklung
gedacht. Der Sprung über die Elbe gen Süden mit neuen Wohnvierteln
sollte gelingen. Mit Olympia wollte die Metropole in der Welt
bekannter, attraktiver werden und internationale Großunternehmen
anlocken. Kunst und Kultur sollten Hamburg als weltweite Drehscheibe
nutzen. «Hamburg als einziges wirtschaftliches Kraftfeld im Norden»
(Hill) wollte so der Übermacht im Süden Deutschlands Paroli bieten.
Der Horizont war bis 2040 und darüber hinaus gesteckt. «Mit Olympia
hatten wir die Riesenchance, die Stadt zukunftssicher zu machen»,
sagt Hill. Die Idee: Hamburg hat den Plan, der Bund das meiste Geld.

11,2 Milliarden Euro waren für das Projekt veranschlagt worden, wovon
der Bund 6,2 Milliarden übernehmen sollte. Dazu hatte sich dieser
aber nie bekannt. So wurde die ungeklärte Finanzierung das stärkste
Kampfargument für die Olympia-Gegner. «Die öffentlichen Zahlen waren

gelogen. Tatsächlich handelte es sich sogar um 22,5 Milliarden Euro»,
behauptet Yildiz und lobt: «Wir haben geschafft, dass Hamburg nicht
auf einem Milliarden-Schuldenberg sitzen geblieben ist. Uns ist
erspart worden, dass die Mieten in der Stadt extrem steigen.» Florian
Kasiske, Sprecher der damaligen NOlympia-Initiative, sieht das Nein
auch heute als Riesenglück an. «Man stelle sich das unter den
jetzigen Pandemiebedingungen vor. Es wäre schrecklich geworden: Die
Kosten würden Hamburg in den Ruin treiben.»

Die inhomogene Masse der Olympia-Gegner hatte weder Struktur noch
Organisation. Das ließ die Planer aus Politik und Wirtschaft glauben,
leichtes Spiel zu haben. «Wir haben die Bedenken der Menschen
unterschätzt», gesteht Christoph Holstein, damals wie heute Hamburger
Sportstaatsrat. Angst vor Terror nach den Anschlägen in Paris mit 130
Toten, die Kostenexplosion bei der Elbphilharmonie von 77 Millionen
auf 866 Millionen Euro sowie Doping und Korruption im Sport, eine
überalterte Funktionärskaste und die Gigantomanie Olympias trotz
gegenteiliger Bekundungen vergrätzten viele Menschen.

Holstein sieht die zwölf Millionen Euro Planungskosten für Olympia
keineswegs in den Sand gesetzt. «Es wurde sehr viel rübergerettet»,
sagt er. Active City heißt jetzt das Zauberwort im Hamburger Sport.
40 bis 50 Millionen Euro wurden seither in die Sportinfrastruktur der
Stadt investiert. «Da haben wir mehr rausgeholt, als wir mit Olympia
hätten erreichen können», meint Holstein. «Active City ist
international prämiert worden. Wir werden eingeladen ins Ausland, um
zu berichten.» Hill entgegnet: «Active City ist ein Mehrwert, aber
kein Ersatz für Olympia und dessen nachfolgende Dynamik.»

DOSB-Präsident Hörmann bedauert die Entscheidung noch heute, bewertet
aber «das Erbe der damaligen Bewerbungsphase aus Sicht von ganz
Sport-Deutschland als ein durchaus wertvolles». Denn mit der
Dekaden-Strategie Sport um die Entwicklung Active City seien
«international Maßstäbe in der Sportentwicklung gesetzt» worden.

Die Bebauung des Kleinen Grasbrook in der Elbe, wo einst
Olympiastadion, olympisches Dorf und Olympia-Halle entstehen sollten,
läuft jetzt auch ohne Olympia und ohne Geld vom Bund an. Ein neuer
Stadtteil mit vorerst 3000 Wohnungen, 16 000 Arbeitsplätzen und
U-Bahnlinie entsteht. Gleichwohl haben die gescheiterten
Olympia-Pläne in Hamburg für Hill eine ernüchternde Erkenntnis
hervorgebracht: «Die Olympischen Spiele haben für die Menschen nicht
mehr die Bindungskraft, die sie früher einmal hatten.»