Bund und Länder bereiten Menschen auf längeren Teil-Lockdown vor Von Jörg Ratzsch, Jörg Blank, Christian Andresen und Anne-Beatrice Clasmann, dpa

Am Mittwoch beraten Kanzlerin Merkel und die Regierungschefs der
Länder über die Corona-Beschränkungen über Weihnachten und Silveste
r.
Nun gibt es einen Vorschlag vom Vorsitz der Ministerpräsidentenrunde.
Offen ist, wie die unionsgeführten Länder darauf reagieren.

Berlin (dpa) - Angesichts anhaltend hoher Corona-Infektionszahlen
müssen sich die Menschen in Deutschland auf eine Verlängerung des
Teil-Lockdowns im Dezember einstellen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU)
und Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) bereiteten die
Bürger vor der an diesem Mittwoch geplanten Runde mit den
Ministerpräsidenten grundsätzlich auf eine Verschärfung der zunächs
t
bis Ende November geltenden Kontaktbeschränkungen vor.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte im ARD-«Bericht
aus Berlin», es gebe keinen Grund zur Entwarnung. Deswegen «werden
wir den Lockdown sicherlich zu verlängern vorschlagen. Und an einigen
Stellen - insbesondere in den Hotspots - auch deutlich zu vertiefen.»
Am Montag wollten ihre Chefs die Vorlage der Länder für die
Beratungen mit Merkel an diesem Mittwoch festzurren - damit es nicht
wieder so konfliktträchtig abläuft wie in der Vorwoche.

Merkel sagte in Berlin bei einem gemeinsamen Auftritt mit Scholz nach
dem G20-Gipfel führender Wirtschaftsmächte, welche Maßnahmen genau
ergriffen würden, «dem kann ich und will ich heute nicht vorgreifen».

Sie versicherte: «Die Bürgerinnen und Bürger sollen von Bund und
Ländern eine geschlossene, gemeinsame Antwort bekommen. Darauf haben
sie eigentlich ein Recht. Und daran arbeiten wir jetzt diesmal sehr
intensiv.» Tatsache sei, «dass wir noch nicht soweit sind, wie wir
gerne gekommen wären durch die Kontaktbeschränkungen».

Auch Scholz sagte, bei der Entwicklung der Fallzahlen sei man noch
nicht dort, wo man hinwolle. «Und deshalb ahnt ja auch jeder, dass es
noch Verlängerung geben muss.»

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD), derzeit als
Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz für die Organisation
einer Länder-Linie zuständig, sagte der Deutschen Presse-Agentur:
«Wir sind uns einig, dass schon viel erreicht wurde, aber nicht
genug.» Er ergänzte: «Wie lange wir verlängern müssen und wie g
enau
wir das ausgestalten, wird gerade untereinander besprochen.»

In einem unter anderem der «Berliner Morgenpost», dem
Wirtschaftsmagazin «Business Insider» und der Deutschen
Presse-Agentur vorliegenden Beschlussentwurf Müllers als MPK-Chef
heißt es, die für den November von Bund und Ländern beschlossenen
Maßnahmen wie die strikten Kontaktbeschränkungen sowie die Schließung

von Freizeiteinrichtungen könnten angesichts der nicht eingetretenen
Trendwende bei den Infektionszahlen nicht aufgehoben werden.

Die Vorschläge Müllers sind bisher nach dpa-Informationen nur unter
den SPD-Ländern abgestimmt. Ein gesondertes Papier der sogenannten
B-Länder, zu denen die unionsgeführten Länder sowie Baden-Württembe
rg
mit einem grünen Regierungschef gehören, soll es nicht geben. Der
Beschlussentwurf Müllers soll nach diesen Informationen an diesem
Montag in einer Gesamtschalte der Ministerpräsidenten beraten werden.
Im Einzelnen sehen die Vorschläge des MPK-Vorsitzenden folgendes vor:

KONTAKTBESCHRÄNKUNGEN: Die Bürgerinnen und Bürger bleiben aufgerufen,

jeden nicht notwendigen Kontakt zu vermeiden und möglichst zu Hause
zu bleiben. Zur weiteren Vermeidung von Kontakten werden die
Arbeitgeber gebeten, unbürokratisch Home-Office zu ermöglichen. Die
für November geltenden Maßnahmen sollen bundesweit bis zum 20.
Dezember verlängert werden.

Länder, die weniger als 35 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner
innerhalb von 7 Tagen haben und eine sinkende Tendenz dieses Wertes
aufweisen, sollen davon schon vor dem 20. Dezember abweichen können.
Wird bis zu diesem Stichtag keine bundesweit signifikant sinkende
Tendenz erreicht, sollen die Maßnahmen für jeweils 14 Tage verlängert

werden, bis dieses Ziel erreicht ist.

PRIVATE ZUSAMMENKÜNFTE: Vom 1. Dezember bis zum 17. Januar sieht der
Beschlussvorschlag weitere erhebliche Kontaktbeschränkungen vor, um
eine Reduzierung des Infektionsgeschehens mittelfristig abzusichern.
So sollen private Zusammenkünfte mit Freunden, Verwandten und
Bekannten auf den eigenen und einen weiteren Haushalt, jedoch in
jedem Fall auf maximal 5 Personen beschränkt werden. Kinder bis 14
Jahre sollen von dieser Regel ausgenommen werden.

WEIHNACHTEN: Bei den Vorschlägen für die Weihnachtstage gibt es in
dem Entwurf noch eckige Klammern, über deren Inhalt noch beraten
werden muss. So sollen nach den Vorstellungen des MPK-Vorsitzes die
Personenobergrenzen für Zusammenkünfte innen und außen vom 21. bis
zum 27. Dezember - also über die Weihnachtstage - erweitert werden
auf Treffen eines Haushaltes mit haushaltsfremden Familienmitgliedern
oder haushaltsfremden Personen bis maximal 5 Personen. Alternativ
gibt es die Überlegung, diesen Zeitraum vom 21. Dezember bis zum 3.
Januar auszudehnen und die Beschränkung auf maximal 10 Personen
festzulegen. Kinder bis 14 Jahre sollen jeweils ausgenommen werden.

Mit dieser Regelung solle «Weihnachten auch in diesem besonderen Jahr
als Fest im Kreise von Familien und Freunden, wenn auch im kleineren
Rahmen, möglich sein», heißt es in dem Entwurf. Wo immer möglich
solle man sich vor und nach den Feiertagen in eine möglichst
mehrtägige häusliche Selbstquarantäne begeben. Diese Regel ist
allerdings lediglich als Appell formuliert.

GOTTESDIENSTE: Bund und Länder sollen das Gespräch mit den
Religionsgemeinschaften suchen, um möglichst Vereinbarungen für
Gottesdienste und andere religiöse Zusammenkünfte mit dem Ziel einer
Kontaktreduzierung zu treffen. Religiöse Zusammenkünfte mit dem
Charakter von Großveranstaltungen sollen vermieden werden.

SILVESTER: Verkauf, Kauf und Zünden von Feuerwerk soll verboten
werden. Damit sollen Einsatz- und Hilfskräfte entlastet und die
Kapazitäten des Gesundheitssystems freigehalten werden.

MUND-NASE-BEDECKUNG: Für öffentliche Verkehrsmittel sowie in
geschlossenen Räumen, die öffentlich oder im Rahmen eines Besuchs-
oder Kundenverkehrs zugänglich sind, soll es eine Pflicht zum Tragen
einer Mund-Nase-Bedeckung geben. Auch an Orten unter freiem Himmel,
an denen sich Menschen auf engem Raum aufhalten, soll demnach eine
Mund-Nase-Bedeckung vorgeschrieben werden. Jene Orte sollen von den
zuständigen Behörden festgelegt werden. Auch in Arbeits- und
Betriebsstätten soll eine Mund-Nasen-Maske getragen werden - am
jeweiligen Arbeitsplatz soll das nicht gelten, wenn ein Abstand von
1,5 Metern zu einer weiteren Person eingehalten werden kann.

HOCHSCHULEN UND UNIVERSITÄTEN: Sie sollen grundsätzlich auf digitale
Lehre umstellen. Ausnahmen soll es nur für Laborarbeiten, Praktika
und Prüfungen geben.

SCHULEN: Schüler ab der 7. Klasse sollen künftig auch im Unterricht
Maske tragen. Gelten soll das für Schüler und Berufsschüler in
Regionen mit deutlich mehr als 50 Neuansteckungen pro 100 000
Einwohnern innerhalb von 7 Tagen - was derzeit vielerorts der Fall
ist. Schulen ohne Corona-Fälle können aber davon ausgenommen werden.

Für die Schulen wird auch eine Teststrategie vorgeschlagen: Tritt in
einer Klasse ein Corona-Fall auf, soll diese zusammen mit den
betroffenen Lehrkräften für fünf Tage in Quarantäne. Am fünften T
ag
soll es für alle einen Schnelltest geben. Fällt der negativ aus, kann
die Klasse wieder zurück an die Schule. «Um diese wirksame
Teststrategie flächendeckend zur Anwendung bringen zu können, wird
der Bund (über die Länder) zusätzliche Kapazitäten von Antigen-Test
s
zur Verfügung stellen», heißt es in dem Papier.

Die Ausgestaltung weiterer Maßnahmen, wie etwa Wechselunterricht wird
den Ländern überlassen. Schülerfahrten und internationaler Austausch

sollen untersagt bleiben. Es wird empfohlen, den Unterrichtsbeginn zu
staffeln, um den Schulverkehr zu entzerren.

WIRTSCHAFT, KULTUR, REISEBRANCHE, SOLOSELBSTÄNDIGE: Auch die
staatlichen Hilfen für betroffene Betriebe sollen bis 20. Dezember
verlängert werden. Diese seien für Unternehmen und Beschäftigte
essenziell und ein wichtiges Element für die hohe Akzeptanz der
notwendigen Schutzmaßnahmen bei den Bürgerinnen und Bürgern, heißt
es
in dem Papier. Die Ausgaben für diese Unterstützung im November
werden auf 15 Milliarden Euro beziffert.

Vorgeschlagen wird auch, Hilfsmaßnahmen für Branchen, die absehbar in
den kommenden Monaten weiterhin «erhebliche Einschränkungen»
hinnehmen müssten, bis Mitte 2021 zu verlängern. Genannt werden die
Kultur- und Veranstaltungswirtschaft, Soloselbständige und die
Reisebranche.

REISERÜCKKEHRER: Der Entwurf schlägt vor, dass die häusliche
Quarantäne bei Reiserückkehrern und Kontaktpersonen einheitlich auf
im Regelfall auf zehn Tage festgelegt werden soll - gerechnet ab dem
Tag der Einreise beziehungsweise dem letzten Tag des Kontakte.

GESETZLICHE KRANKENVERSICHERUNG: Die Länder wollen den Bund nach dem
Entwurf bitten, wie eine steuerfinanzierte Stabilisierung der
GKV-Beiträge aussehen könnte, damit die durch die Pandemie im
Gesundheitswesen verursachten Kosten nicht einseitig durch die
gesetzlich Versicherten abgefedert werden müssen. Als Möglichkeit
wird ein Solidaritätszuschlag genannt.