Teil-Lockdown wird womöglich verlängert - kein einsames Weihnachten Von Christian Andresen und Anne-Beatrice Clasmann, dpa

Die zweite Corona-Welle ist deutlich schlimmer als die im Frühjahr.
Eigentlich sollten die derzeitigen Beschränkungen Ende November
auslaufen. Das erwartet jetzt aber kaum noch jemand. Wie geht es
weiter?

Berlin (dpa) - Es ist ein arbeitsreiches Wochenende für die
Staatskanzleichefs der Länder: Gleich mehrfach schalten sie sich in
unterschiedlichen Runden zusammen, um über ihr weiteres Vorgehen in
der Corona-Pandemie zu beraten. Am Montag wollen ihre Chefs die
Vorlage der Länder für die Beratungen am Mittwoch mit Kanzlerin
Angela Merkel (CDU) festzurren - damit es nicht wieder so
konfliktträchtig abläuft wie in der Vorwoche.

Schon jetzt zeichnet sich ab: Eine Verlängerung des Teil-Lockdowns um
zwei bis drei Wochen ist sehr wahrscheinlich. Bundes- und etliche
Landespolitiker sehen keinen anderen Weg, Christdemokraten ebenso wie
Sozialdemokraten.

«Tatsache ist, dass wir noch nicht soweit sind, wie wir gerne
gekommen wären durch die Kontaktbeschränkungen», sagte Merkel am
Sonntag in Berlin nach dem zweitägigen virtuellen G20-Gipfel. In
vielen Bundesländern sei ein Plateau an Neuinfektionen erreicht
worden, in einigen wenigen Ländern gingen die Zahlen auch deutlich
nach unten, in anderen stiegen sie noch. Finanzminister Olaf Scholz
(SPD) sagte am Sonntag in Berlin, bei der Entwicklung der Fallzahlen
sei man noch nicht dort, wo man hinwolle. «Und deshalb ahnt ja auch
jeder, dass es noch Verlängerung geben muss.»

«Wir sind uns einig, dass schon viel erreicht wurde, aber nicht
genug. Zwar konnte das exponentielle Wachstum ausgebremst werden,
aber die Infektionszahlen sind weiterhin zu hoch», sagt Berlins
Regierender Bürgermeister Michael Müller am Sonntag der Deutschen
Presse-Agentur. «Vor diesem Hintergrund ist es aktuell nicht
vorstellbar, dass wir die zuvor beschlossenen Maßnahmen nun schon
aufheben können», betont der Vorsitzende der
Ministerpräsidentenkonferenz. «Wie lange wir verlängern müssen und

wie genau wir das ausgestalten, wird gerade untereinander besprochen.
Wir sind auf einem guten Weg, so dass wir bis Mittwoch eine
Beschlussvorlage erarbeitet haben, über die Bund und Länder dann noch
einmal gemeinsam beraten.»

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte der «Bild am
Sonntag»: «Wenn wir jetzt auf diesem hohen Niveau der
Infektionszahlen den Lockdown abbrechen und die Geduld verlieren,
dann geht alles wieder von vorne los und wir landen am Ende bei noch
härteren Maßnahmen als jetzt in Tschechien oder Österreich.» Und:
«Lieber jetzt einen längeren Lockdown als eine komplette
Ausgangsbeschränkung über Weihnachten.»

DIE AKTUELLE SITUATION:

Seit Anfang November sind deutschlandweit alle Freizeit- und
Kulturangebote auf Eis gelegt, Bars, Cafés und Restaurants
geschlossen. Der Teil-Lockdown sollte zunächst bis Monatsende gelten.
Nach einer rasanten Zunahme im Oktober und Anfang November hat sich
die Zahl der Neuansteckungen auf hohem Niveau eingependelt. Der nach
Inkrafttreten des Teil-Lockdowns erhoffte Rückgang ist nicht klar zu
erkennen, wie aus Zahlen des Robert Koch-Instituts (RKI) von Sonntag
hervorgeht.

Am Sonntag meldete das RKI 15 741 Fälle, die von den
Gesundheitsämtern binnen 24 Stunden übermittelt wurden. Am Sonntag
vor einer Woche lag die Zahl bei 16 947. Der Höchststand war am
Freitag mit 23 648 Fällen erreicht worden. Die Zahl der
Corona-Patienten auf der Intensivstation steigt laut Daten der
Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und
Notfallmedizin weiter, aber zuletzt weniger stark.

Die Unionsländer dringen daher auf eine Verlängerung der
Corona-Beschränkungen bis mindestens Weihnachten, wie «Bild» (Online)

aus einer Vorbesprechung der unionsgeführten Bundesländer vor dem
anstehenden Bund-Länder-Treffen berichtet.

Was bedeutet das ...?

FÜR DIE NÄCHSTEN WOCHEN: Ohne Verlängerung müssten die Beschr
änkungen
Ende November auslaufen. Wie lange sie darüber hinaus dauern sollen,
scheint noch unklar zu sein. «Auf jeden Fall zwei oder besser drei
Wochen», sagt Söder. Das wäre bis kurz vor Weihnachten. Das
Wirtschaftsmagazin «Business Insider» hat unter Berufung auf
Länderkreise das Datum 20. Dezember genannt.

FÜR WEIHNACHTEN:

Einig sind sich «Bild» zufolge die Unionsländer, dass
Kontaktbeschränkungen zumindest über die Weihnachtsfeiertage
gelockert werden sollten. Auch die SPD-regierten Länder wollen laut
«Bild am Sonntag» Lockerungen für die Festtage. Die
rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) sagte der
Zeitung: «Weihnachten und Silvester sollen die Menschen ihre Liebsten
treffen können.» Zuvor hatte Kanzleramtschef Helge Braun dem
Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Samstag) gesagt: «Es ist für mich
nicht vorstellbar, dass die Großeltern an Weihnachten nicht
mitfeiern.»

Bei einer Forsa-Umfrage im Auftrag der Kaufmännischen Krankenkasse
(KKH) äußerten 41 Prozent der rund 1000 Befragten die Sorge, das Fest
wegen der Pandemie im kleinen Kreis oder allein feiern zu müssen. Der
Kandidat für den CDU-Vorsitz, Friedrich Merz, sagte dem
«Tagesspiegel»: «Man kann doch wohl Mitte November schon sagen, dass

Weihnachten in den Familien stattfinden kann.»

FÜR SILVESTER:

Söder sagt, Weihnachten solle «freier» sein, «dafür Silvester wie
der
konsequenter». Für Silvester wünscht er sich ein Böller- oder
Alkoholverbot auf größeren Plätzen. «Ein generelles Böllerverbot

braucht es aber nicht.»

FÜR SCHULEN:

Die Kultusminister der Länder beharren darauf, sie grundsätzlich
offenzuhalten, plädieren aber nach Informationen des
Nachrichtenportals «ThePioneer» (Samstag) und der Deutschen
Presse-Agentur für Ausnahmen. Nach einem Beschluss vom Freitag sollen
in Hotspot-Gebieten mit sehr vielen Infektionen besonders betroffene
Schulen ab der 11. Klasse auf einen «rollierenden Präsenzunterricht»

in verkleinerten Lerngruppen umstellen können, also einen Wechsel von
Lernen in der Schule und zuhause. In einem zweiten Schritt ist das
auch für untere Klassenstufen weiterführender Schulen vorgesehen. Die
Abschlussklassen sollen in jedem Fall in der Schule bleiben. Die
Unionsländer wollen Ähnliches: In Corona-Hotspots mit einer
Sieben-Tage-Inzidenz über 200 soll es ab der 7. Klasse
Wechselunterricht geben.

«Infektionsketten wirklich unterbrechen und gleichzeitig
lebenspraktisch bleiben, das ist die Aufgabe», sagte Spahn dem RND
(Montag). Konkret schlug er vor, dass beim Auftreten eines
Infektionsfalls sofort die betroffene Klasse in die häusliche
Isolation geschickt wird. Bisher ist das teilweise nicht oder nur bei
Sitznachbarn Infizierter der Fall. «Nach negativen Schnelltests am
fünften Tag könnten die Schülerinnen und Schüler wieder in die Schu
le
zurückkehren», sagte Spahn.

Die bisherige Haltung der Länder, dass Schulen generell keine Treiber
der Pandemie seien, sei «nicht mehr haltbar», sagte der Direktor des
virologischen Universitätsinstituts in Düsseldorf, Jörg Timm, der
«Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung». Kleinere Kinder steckten
sich zwar seltener mit dem Virus an, könnten es aber weitergeben.
Kinder ab zwölf seien «genauso ansteckungsfähig wie Erwachsene».

An besonders von Corona betroffenen Schulen soll es nach dem Willen
der Kultusminister mehr Tests geben. Nach Zulassung eines Impfstoffes
solle das Schulpersonal vorrangig ein Impfangebot erhalten.

FÜR DIE EINZELNEN LÄNDER:

Nach dem Willen der Unionsländer sollen laut «Bild» Länder und
Landkreise mit weniger als 50 Neuinfektionen je 100 000 Einwohnern
innerhalb von sieben Tagen die Möglichkeit bekommen, die
Corona-Maßnahmen auszusetzen («Opt-Out-Regelung»). Davon könnten
aktuell nur Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern sowie rund
zwei Dutzend Landkreise profitieren.

FÜR UNTERNEHMER:

Bundesfinanzminister Scholz will die Hilfen für Unternehmen, die
wegen der Corona-Beschränkungen schließen müssen, gegebenenfalls auch

im Dezember weiter zahlen. «Wenn die Beschränkungen verlängert
werden, ist für mich klar, dass die finanzielle Unterstützung der
direkt betroffenen Branchen dann ebenfalls weiter nötig ist», sagte
Scholz der «Bild am Sonntag».