Was bleibt von der Pandemie? - Museen legen Corona-Sammlungen an Von Julia Giertz, dpa

Die Corona-Pandemie bestimmt den Alltag und das Zusammenleben der
Menschen. Damit das historische Ereignis im kollektiven Gedächtnis
bleibt, haben Museen begonnen, Dinge aus dieser Zeit zu sammeln.

Waldenbuch/Mannheim (dpa/lsw) - Was bewegt die Menschen während der
Corona-Krise, wie hat sich ihr Alltag verändert, welche Wünsche haben
sie? Dazu sammeln einige Museen im Südwesten Objekte, Fotos und
Texte. Die Gegenstände mit Bezug zur Pandemie reichen vom Grenzzaun
zwischen Konstanz und dem benachbarten Schweizer Kreuzlingen bis zu
Ostereiern in Virusform. «Wir wollen der Nachwelt zeigen, dass die
Situation nicht immer eindeutig war, dass wir im Sommer mit einer
Entspannung der Corona-Lage rechneten - kurz, dass es immer wieder
Ungewissheiten gab», erläutert Markus Speidel, Leiter des Museums für

Alltagskultur in Waldenbuch. Kollegen in Mannheim, Stuttgart und im
badischen Müllheim hat ebenfalls die Corona-Sammellust ergriffen.

Das Stuttgarter Haus der Geschichte hat sich den
deutsch-schweizerischen Grenzzaun gesichert, in dessen Streben
Anwohner mit Absperrband das Kunstwort «Kreuztanz» (aus «Kreuzlingen
»
und «Konstanz») sowie ein Herz eingewebt haben. Ein anderer Bauzaun
erinnert seit 2010 im Museum an den Konflikt um das Bahnprojekt
Stuttgart 21.

Teil der Sammlung werden auch Selfies von Mitgliedern einer
katholischen Kirchengemeinde in Achern (Ortenaukreis). Die Fotos
nahmen während der Schließung beim Ostergottesdienst ihren Platz auf
den Kirchenbänken ein. «Das zeigt sehr anschaulich, wie kreativ die
Menschen mit den Corona-Einschränkungen umgehen», sagt Kurator
Alexander Schwanebeck. Aber auch Flyer von Gegnern der Maskenpflicht
werden in die Sammlung aufgenommen. Schwanebeck betont:
«Partizipation und Demokratie sind wichtige Themen dieser Zeit.»

Im Waldenbucher Museum organisierte Speidel eine Ausstellung «Mein
Stück Alltag trotz(t) Corona». Eingang dafür fanden etwa ein
Springseil, Zeitpläne einer Familie zur Nutzung von Räumlichkeiten
sowie Ostereier, die an den Erreger erinnern. Fotos einer Beerdigung
unter Auflagen beleuchten die ganz dunklen Seiten der Pandemie.

Die im Oktober beendete Waldenbucher Schau war auch als Verlängerung
des Online-Projektes «Corona-Alltag. Dein Projekt für Übermorgen»
gedacht. Dabei sollten alltägliche Gegenstände eingesandt werden, die
in 15 oder 20 Jahren bei einer Ausstellung «Die Corona-Pandemie in
Württemberg» gezeigt werden können. 600 Ideen wurden eingereicht.

Zudem konnten Museumsbesucher ihre Gedanken zum Thema Normalität und
deren Wahrnehmung während der Pandemie auf Zetteln an eine
Wäscheleine hängen. 1000 Menschen haben bereits mitgemacht, nach dem
Ende der coronabedingten Schließung sollen die Besucher weiter ihre
Kommentare loswerden können. «Die rege Teilnahme zeigt, dass die
Menschen das Museum auch als Ort des Diskurses ansehen», sagt
Speidel.

Zudem wollte das Museum im Kreis Böblingen herausfinden, welche
Begriffe die Besucher neu oder verstärkt benutzen; beim
«Corona-Alphabet» konnten sie typische Begriffe wie Absperrband oder
Triage auf Postern vermerken. Die Museumsmitarbeiter werten die
Aktion vor allem unter der Fragestellung aus, wie sich der
Sprachgebrauch im Laufe der Pandemie verändert hat.

Auch das Mannheimer Technoseum will, dass die Einschnitte in den
Alltag nicht in Vergessenheit geraten. Ein gehäkelter Corona-Virus,
Schul-Lernkits mit Samen für den heimischen Balkonkasten sowie ein
Poster des Mannheimer Sportvereins Waldhof mit dem Angebot eines
Einkaufsdienstes für Risikogruppen gehören bereits zur Sammlung. Auf
andere Dinge wie Trennwände, Schutzanzüge und Testkits hat das
Technik-Museum sich den Zugriff bereits gesichert.

Auch im Markgräfler Museum in Müllheim ist die Sammelleidenschaft
ausgebrochen. Ein Trauerkranz mit Kerze ist der Neuzugang zur
Corona-Sammlung. Den Kranz hatten Bürger im Rathaus abgelegt, um auf
die schwierige Zeit aufmerksam zu machen. Er wanderte ins
Dachgeschoss des Museums, wo bereits ein Schutzanzug, Masken, Fotos,
Karikaturen und ein Comic einer Hebamme mit Coronabezug verwahrt
werden. Auch Poster mit den Hygieneanforderungen gehen in die
Sammlung ein. Kurator Frederic Lettelier betont:. «Das sind alles
wichtige Dinge, anhand derer wir für die folgenden Generationen die
Ereignisse anschaulich dokumentieren können.»