Dramatischer Corona-Appell Merkels an Bürger: «Bleiben Sie zu Hause»

Die Zahl der Corona-Neuinfektionen schnellt weiter in die Höhe. Die
Kanzlerin macht den Bürgern die Dramatik der Lage deutlich. Bei einem
umstrittenen Thema gibt es Neuigkeiten aus dem Urlaubsland
Mecklenburg-Vorpommern. Der Bundespräsident muss in Quarantäne.

Berlin (dpa) - Angesichts sprunghaft gestiegener
Corona-Infektionszahlen hat Kanzlerin Angela Merkel die Bürger
aufgefordert, soziale Kontakte zu beschränken und weniger zu reisen.
«Wir müssen jetzt alles tun, damit das Virus sich nicht
unkontrolliert ausbreitet. Dabei zählt jetzt jeder Tag», sagte die
CDU-Politikerin in ihrer am Samstag veröffentlichten wöchentlichen
Videobotschaft. «Ich bitte Sie: Verzichten Sie auf jede Reise, die
nicht wirklich zwingend notwendig ist, auf jede Feier, die nicht
wirklich zwingend notwendig ist. Bitte bleiben Sie, wenn immer
möglich, zu Hause, an Ihrem Wohnort.»

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier begab sich am Samstag in
Quarantäne. Wie eine Sprecherin des Bundespräsidialamtes mitteilte,
wurde ein Personenschützer des Staatsoberhauptes positiv auf das
Coronavirus getestet. Ein erster Test bei Steinmeier fiel negativ
aus, er bleibt aber weiter in Quarantäne. In den kommenden Tagen sind
weitere Tests geplant.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) warnte mit Blick auf die
Nachverfolgung von Infektionsketten vor einem «Kontrollverlust» in
einigen Regionen in Deutschland. «Das ist hochgefährlich», sagte der

CSU-Politiker der «Passauer Neuen Presse».

Bund und Länder hatten am vergangenen Mittwoch Gegenmaßnahmen in
Corona-Hotspots verschärft. Die Landesregierung von Baden-Württemberg
rief wegen des starken Anstiegs der Infektionszahlen am Samstag die
höchste Corona-Alarmstufe aus. Weitere Maßnahmen zur Eindämmung der
Pandemie wie eine verschärfte Maskenpflicht in der Öffentlichkeit und
weitere Kontaktbeschränkungen sollen von Montag an gelten.

Merkel hatte deutlich gemacht, die Beschlüsse von Bund und Ländern
reichten nicht aus. Beim umstrittenen Beherbergungsverbot für Gäste
aus Risikogebieten gab es keine einheitliche Linie. In mehreren
Ländern haben Gerichte das Beherbergungsverbot inzwischen gestoppt.

Mecklenburg-Vorpommern gab am Samstag seinen harten Kurs beim
Beherbergungsverbot auf. Wenige Tage vor einem dazu erwarteten
Gerichtsurteil einigten sich Landesregierung und Tourismusbranche
darauf, dass für Urlaub im Nordosten von Mittwoch an ein aktueller
negativer Corona-Test ausreicht. Die bislang zusätzlich geforderte
Quarantäne von mindestens fünf Tagen und ein folgender zweiter Test
entfallen. Diese Regelung galt bislang nur in Mecklenburg-Vorpommern,
war die bundesweit schärfste und hatte für massive Kritik gesorgt.

Die Gesundheitsämter in Deutschland haben zuletzt 7830 neue
Corona-Infektionen innerhalb eines Tages gemeldet, mehr als je zuvor
seit Beginn der Pandemie. Das geht aus Daten des Robert
Koch-Instituts (RKI) vom Samstagmorgen hervor. Am Vortag war mit 7334
neuen Fällen der bis dato höchste Wert registriert worden.

Merkel sagte in ihrer Videobotschaft, Deutschland befinde sich in
einer «sehr ernsten Phase» der Pandemie. Diese breite sich wieder
rapide aus, schneller noch als zu Beginn vor mehr als einem halben
Jahr. «Der vergleichsweise entspannte Sommer ist vorbei, jetzt stehen
uns schwierige Monate bevor. Wie der Winter wird, wie unser
Weihnachten wird, das entscheidet sich in diesen kommenden Tagen und
Wochen. Das entscheiden wir alle durch unser Handeln.»

Damit sich das Virus nicht unkontrolliert ausbreite, müssten die
Kontaktpersonen jedes infizierten Menschen benachrichtigt werden, um
die Ansteckungsketten zu unterbrechen: «Die Gesundheitsämter leisten
dabei Großartiges, aber wo die Zahl der Infizierten zu hoch wird, da
kommen sie nicht mehr hinterher.»

Merkel forderte die Bürger auf, konsequent den Mindestabstand zu
wahren, den Mund-Nasen-Schutz zu tragen und Hygieneregeln
einzuhalten. Außerdem sage die Wissenschaft klar, die Ausbreitung des
Virus hänge direkt an der Zahl der Kontakte und der Begegnungen, die
jeder habe. «Wenn jeder von uns seine Begegnungen außerhalb der
eigenen Familie jetzt eine Zeit lang deutlich verringert, dann kann
es gelingen, den Trend zu immer mehr Infektionen zu stoppen und
umzukehren. Genau das ist heute mein Appell an Sie: Treffen Sie sich
mit deutlich weniger Menschen, ob außerhalb oder zu Hause.»

Sie wisse, dass klinge nicht nur hart, das sei im Einzelfall auch ein
schwerer Verzicht, so Merkel. «Aber wir müssen ihn nur zeitweilig
leisten und wir leisten ihn letztlich für uns selbst: Für die eigene
Gesundheit und die all derer, denen wir eine Erkrankung ersparen
können. Dafür, dass unser Gesundheitswesen nicht überfordert wird,
dass die Schulen und Kitas unserer Kinder geöffnet bleiben. Für
unsere Wirtschaft und unsere Arbeitsplätze.»

Deutschland sei deswegen so vergleichsweise gut durch das erste halbe
Jahr der Pandemie gekommen, weil «wir zusammengestanden» und die
Regeln eingehalten hätten. «Das ist das wirksamste Mittel, das wir
zurzeit gegen die Pandemie haben. Jetzt ist es nötiger denn je.»

Söder sagte: «Wenn keine Nachverfolgung der Infektionen mehr möglich

ist, so wie in den Niederlanden, Frankreich, Spanien und Tschechien,
muss man die Kontakte generell begrenzen.» Es müssten grundlegende
Entscheidungen getroffen werden. «Wenn wir das nicht tun und nur
halbherzig vorgehen, steuern wir unwillkürlich auf einen zweiten
Lockdown zu. Wer keinen Lockdown will, der muss jetzt entschlossen
handeln», sagte der CSU-Chef.

Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) kündigte in der «Rheinischen Post»

an, noch mehr Helfer zur Unterstützung der Kommunen bei der
Kontaktnachverfolgung mobilisieren zu wollen, etwa Studierende.

Die Politik will einen erneuten Lockdown wie im Frühjahr eigentlich
unbedingt verhindern - also ein Herunterfahren des gesellschaftlichen
und wirtschaftlichen Lebens wie im Frühjahr. Die Wirtschaftsleistung
war deswegen im zweiten Quartal eingebrochen.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier sagte der «Frankfurter Allgemeinen
Sonntagszeitung»: «Wenn wir vermeiden wollen, abermals in solche
extremen Situationen zu geraten, müssen wir bereit sein, in den
nächsten Wochen auf große Familienfeiern, Partys und Feten zu
verzichten.» Altmaier kritisierte außerdem mit Blick auf die Länder,

abweichende Regelungen in einigen wenigen Bundesländern hätten
Auswirkungen auf alle anderen. «Deshalb brauchen wir mehr
Gemeinsamkeit und Einheitlichkeit.»