Ärzte kritisieren Umgang mit Masseninfektion in Erstaufnahme

Nach einem Ausbruch in einem Flüchtlingsheim ist Kassel Hessens
oberster Corona-Hotspot. Mediziner werfen dem Land vor, dabei nicht
richtig reagiert zu haben. Unterdessen kämpft die Stadt gegen eine
Waffenbörse, die nun doch per Gerichtsbeschluss starten darf.

Kassel/Gießen (dpa/lhe) - Nach einer Masseninfektion mit 112
Covid-Fällen in einer Kasseler Flüchtlingseinrichtung werfen dort
eingesetzte Ärzte dem Regierungspräsidium Gießen Versäumnisse vor.

«Weil zu viele Menschen auf zu kleinem Raum zu eng zusammen sind, ist
es zu dieser Häufung gekommen», sagte der Allgemeinmediziner Helmuth
Greger, Organisator des Ärzteteams der Erstaufnahme am Donnerstag.
Die Mediziner kümmern sich dort seit Jahren als Honorarkräfte um die
Gesundheit der Bewohner. Die Einhaltung der Hygieneregeln sei für die
Flüchtlinge angesichts der Situation extrem schwierig. Zuvor hatten
verschiedene Medien über das Thema berichtet.

Nach Corona-Fällen Anfang Oktober hätten die Mediziner darauf
hingewiesen, dass die positiv Getesteten in anderen Einrichtungen
untergebracht werden müssten. «Wir hatten das Gefühl, das wir nicht
ernst genommen werden», erklärte Greger. Eine Isolation der
Erkrankten unter strengen hygienischen Bedingungen sei dort
problematisch. «Man muss die Infizierten von den Nichtinfizierten
trennen, dafür reichen die Räumlichkeiten nicht aus.» Auch bei einem

Krisengespräch Anfang dieser Woche seien die Bedenken der Mediziner
offenbar nicht ernst genommen worden. «Daher war völlig klar, dass
sich die Situation so entwickelt.»

Das für die Erstaufnahme zuständige Regierungspräsidium erklärte am

Donnerstag, eine Verlegung infizierter Personen komme aus fachlichen
Gründen nicht in Betracht. Dadurch könnten neue Infektionsketten
ausgelöst werden. Zudem sei angesichts von 480 zur Verfügung
stehenden Plätzen und einer Belegung mit 300 Personen eine adäquate
Unterbringung gewährleistet. «Wir werden das Ausbruchsgeschehen genau
analysieren und anhand der ermittelten Infektionsketten in
Kooperation mit dem Gesundheitsamt geeignete Maßnahmen ergreifen»,
sagte ein Sprecher.

Der Corona-Ausbruch hatte Kassel über Nacht in die höchste
Infektionswarnstufe des Landes Hessen katapultiert. In der
nordhessischen Stadt lag die Zahl der Infektionen pro 100 000
Einwohner in sieben Tagen am Donnerstag bei 97,6. Sie ist damit die
Region mit der höchsten Inzidenz in Hessen.

Kassel gilt als Gebiet mit erhöhtem Infektionsrisiko - obwohl es ohne
den Ausbruch im Flüchtlingsheim unter dem kritischen Wert von 50
geblieben wäre und die Einrichtung bereits seit Tagen unter
Quarantäne stand. «Ob es gerechtfertigt ist oder nicht: Wir müssen
gemeinsam Anstrengungen unternehmen, damit diese Inzidenz wieder
runtergeht», sagte Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD).
Angesichts steigender Infektionszahlen hätte Kassel vermutlich
ohnehin in den nächsten Tagen die kritische Schwelle überschritten.

Die Stadt hatte als Reaktion auf die Entwicklung unter anderem eine
Waffenbörse verbieten wollen, zu der Tausende Besucher erwartet
werden. Doch die dürfte am Donnerstag zunächst starten, nachdem das
Verwaltungsgericht in einem Eilverfahren dem Veranstalter, der Expo
Management GmbH, Recht gegeben hatte. Es herrsche große Erleichterung
bei Ausstellern und Besuchern, endlich wieder «Business as usual» -
wenn auch unter Auflagen - auf der Traditionsmesse machen zu können,
erklärte der Veranstalter. Zudem gebe es ein Hygienekonzept. Die
Veranstaltung soll bis Sonntag gehen.

Geselle kündigte Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof in Kassel
an. Wenn die Messe weiter stattfinde, sei alles hinfällig, was an
Corona-Beschränkungen in den vergangenen Tagen beschlossen worden
sei.