Neue Corona-Verschärfungen beschlossen - Sorge vor Kontrollverlust

Im Sommer waren die Corona Fallzahlen niedrig. Doch die
Verschnaufpause war nur kurz. Mit dem Herbst klettern die Zahlen
immer schneller, jetzt sogar auf einen Rekordwert. Die Politik stemmt
sich mit neuen Auflagen dagegen. Es gibt eine große Sorge.

Berlin (dpa) - Mit härteren Corona-Auflagen hoffen Bund und Länder
den rasanten Anstieg der Infektionszahlen insbesondere in deutschen
Risikoregionen einzudämmen. Ihre Beschlüsse nach achtstündigen
Beratungen im Kanzleramt stießen am Donnerstag zum Teil auf deutliche
Kritik. So zeigte sich der Deutsche Städtetag skeptisch, ob die
Maßnahmen ausreichen werden. Daran hatten am Vorabend auch Kanzlerin
Angela Merkel (CDU) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU)
Zweifel geäußert. Sie machten deutlich, dass andernfalls schärfere
Maßnahmen folgen würden. Kritisiert wurde am Donnerstag auch, dass
bei der Konferenz nicht die umstrittenen Beherbergungsverbote für
Reisende aus innerdeutschen Risikogebieten gekippt wurden.

Kanzleramtschef Helge Braun ging am Donnerstag ebenfalls davon aus,
dass die Beschlüsse vom Vortag vermutlich nicht ausreichen werden.
«Und deshalb kommt's jetzt auf die Bevölkerung an», sagte der
CDU-Politiker im ARD-«Morgenmagazin»: «Dass wir nicht nur gucken: Was

darf ich jetzt? Sondern wir müssen im Grunde genommen alle mehr
machen und vorsichtiger sein als das, was die Ministerpräsidenten
gestern beschlossen haben.»

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte im Deutschlandfunk
mit Blick auf die sprunghaft gestiegenen Infektionszahlen: «Wir haben
es selbst in der Hand, diese Entwicklung zu stoppen.» Das Signal des
Treffens im Kanzleramt, bei dem unter anderem für Regionen mit hohen
Infektionszahlen Kontaktbeschränkungen vereinbart wurden, sei
wichtig. Es gebe ein gemeinsames Grundverständnis, das die Menschen
nun aber auch unbedingt beibehalten müssten. So werde bereits heute
entschieden, ob Weihnachten «in gewohnter Weise stattfinden kann,
oder ob wir eine Situation haben werden wie an Ostern, (...) wo wir
empfehlen mussten, nicht die Verwandtschaft zu besuchen», sagte
Spahn. «Das würde ich eigentlich gerne vermeiden wollen.»

Das Treffen im Kanzleramt war von der Sorge eines Kontrollverlustes
über die Infektionsentwicklung geprägt. Die aktuellen Zahlen geben
dieser Sorge neue Nahrung. Die Gesundheitsämter meldeten nach Angaben
des Robert Koch-Instituts vom Donnerstagmorgen einen Rekordwert von
6638 Neuinfektionen binnen eines Tages - rund 1500 mehr als am
Vortag. Bislang waren Ende März mit knapp 6300 Neuinfizierten die
meisten registriert worden. Allerdings sind die jetzigen Werte nicht
mit denen aus dem Frühjahr vergleichbar, weil mittlerweile wesentlich
mehr getestet wird und damit auch mehr Infektionen entdeckt werden.

Am Mittwoch hatten sich Bund und Länder darauf geeinigt, die Schwelle
für strengere Maßnahmen in deutschen Corona-Hochburgen zu senken.
Diese sollen zum Teil bereits ab 35 Neuinfektionen pro 100 000
Einwohner binnen sieben Tagen greifen statt bisher bei 50. So soll
dort die Maskenpflicht ausgeweitet werden, die Gästezahl bei privaten
Feiern weiter begrenzt und eine Sperrstunde für die Gastronomie
eingeführt werden.

Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner monierte, dass die
Beherbergungsverbote nicht abgeschafft wurden. «Damit bleibt ein
massiver Eingriff in Grundrechte bestehen. Dabei geht die Gefahr von
Massenveranstaltungen ohne Schutzkonzept oder Besäufnissen aus, nicht
vom Familienurlaub oder Geschäftsreisen.» Lindner warnte, wer
unwirksame Beschneidungen der Freiheit verlängere, gefährde die
Akzeptanz der Corona-Maßnahmen insgesamt. «Die Regierungen
balancieren damit auf der Grenze zur Verfassungswidrigkeit.»

Zugleich forderte der FDP-Chef, solche einschneidenden Maßnahmen
nicht weiter an den Parlamenten vorbei zu beschließen. «Der Deutsche
Bundestag ist in eine Beobachterrolle geraten. In Grundrechte darf
aber nur durch das Parlament eingegriffen werden», sagte er der
Deutschen Presse-Agentur. Der Bundestag müsse sein Rechte wieder
geltend machen.

Die AfD im Bundestag kritisierte die Beschlüsse von Bund und Ländern
als willkürlich und schädlich für die Wirtschaft. «Die Ergebnisse
dieses Gipfels bedeuten einen neuerlichen Lockdown auf Raten. Die
ohnehin am Boden liegende Wirtschaft wird weiter stranguliert», sagte
die Fraktionsvorsitzende Alice Weidel. «Die beschlossenen Maßnahmen
richten nachweislich erheblichen wirtschaftlichen Schaden an, während
ihr Nutzen zur Eindämmung der Pandemie nicht nachweisbar ist.»

Der Co-Vorsitzende Alexander Gauland monierte, der Kanzlerin und den
Ministerpräsidenten sei es wieder nicht gelungen, die Kleinstaaterei
in der Pandemiebekämpfung zu überwinden und einheitliche Regelungen
für ganz Deutschland zu vereinbaren. Wären die Maßnahmen nachweisbar

sinnvoll, würden sie flächendeckend umgesetzt. «Der deutschlandweite

Flickenteppich an Maßnahmen entlarvt diese als bloßen Aktionismus»,
erklärte Gauland.

Der Deutsche Städtetag blickte skeptisch auf die neuen Maßnahmen.
Sein Präsident Burkhard Jung (SPD) sagte der dpa: «Es wird jetzt
etwas mehr einheitliche Regeln bei steigenden Infektionszahlen geben.
Aber ob das reicht und die Menschen besser durchblicken können, was
gilt, müssen wir erst noch sehen.»

Kritik kam auch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz. «Die
schärferen Regeln für Corona-Hotspots können hier nur ein erster
Schritt sein. Denn wie die wenigen Beamten der Ordnungsämter das
überwachen sollen, bleibt offen», sagte Stiftungsvorstand Eugen
Brysch der dpa. Auch fehlten «verbindliche Zielvorgaben zur
Stabilisierung der Gesundheitsämter oder zum Aufbau kommunaler
pflegerisch-medizinischer Unterstützungsgruppen».

Konkret vereinbarten die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten dies:

MASKENPFLICHT: In Städten und Regionen mit stark steigenden
Corona-Zahlen soll die Maskenpflicht erweitert werden. Sie soll ab 35
Neuinfektionen je 100 000 Einwohner in sieben Tagen auch überall da
gelten, wo Menschen dichter beziehungsweise länger zusammenkommen.

PRIVATE FEIERN: In Regionen mit einem Wert über 35 Neuinfektionen
soll es eine Begrenzung von 25 Teilnehmern im öffentlichen und 15
Teilnehmern im privaten Raum geben. Ab 50 Neuinfektionen pro 100 000
Einwohner in sieben Tagen sollen private Feiern auf maximal zehn
Teilnehmer im öffentlichen Raum sowie auf höchstens zehn Teilnehmer
aus höchstens zwei Hausständen im privaten Raum begrenzt werden.

KONTAKTBESCHRÄNKUNGEN: Übersteigen die Neuinfektionen den 50er Wert
dürfen sich künftig nur noch maximal zehn Personen im öffentlichen
Raum treffen. Sollten die neuen Maßnahmen den Anstieg nicht zum
Stillstand bringen, wird dies auf bis zu fünf Personen oder die
Angehörigen zweier Hausstände verringert.

SPERRSTUNDE: Ebenfalls bei 50 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner in
sieben Tagen soll eine Sperrstunde um 23.00 Uhr für die Gastronomie
verhängt werden. Bars und Clubs sollen geschlossen werden.

VERANSTALTUNGEN: Wird der 50er Wert überschritten, wird die Zahl der
Teilnehmer bei Veranstaltungen auf 100 Personen begrenzt. Ausnahmen
bedürfen eines mit dem zuständigen Gesundheitsamt abgestimmten
Hygienekonzeptes.

BEHERBERGUNGSVERBOTE: Die Beherbergungsverbote für Urlauber aus
innerdeutschen Risikogebieten waren vor den Beratungen am
umstrittensten. Bund und Länder fanden auch im Kanzleramt keine
Einigung und vertagten das Thema erst einmal bis zum 8. November. Bis
dahin soll diese Maßnahme auf ihre Wirksamkeit überprüft werden.