Mit Mütze, Schal und Daunenjacke im Klassenzimmer Von Jörg Ratzsch, dpa

Wegen Corona wird bald ein kalter Wind durch viele Schulen wehen. Für
den Infektionsschutz soll regelmäßig gelüftet werden. Schüler dür
ften
mit Mütze und Handschuhen im Klassenzimmer sitzen.

Berlin (dpa) - Schüler und Lehrer müssen sich nach den Herbstferien
warm anziehen. Um Ansteckungen mit Corona in der Schule zu vermeiden,
soll regelmäßig in relativ kurzen Abständen gelüftet werden. Bei
sinkenden Temperaturen wird das zunehmend unangenehm. Lehrervertreter
und Bildungspolitiker rufen deshalb zum Anziehen nach dem
«Zwiebelprinzip» auf.

«Für die kalten Monate werden jetzt Pullover, Schals und Decken zur
Grundausstattung der Schülerinnen und Schüler gehören», sagte die
Vorsitzende des Deutschen Philologenverbands, Susanne Lin-Klitzing,
der «Bild»-Zeitung (Montag). Der Philologenverband vertritt die
Gymnasiallehrer. Schüler und Lehrer sollten sich schichtweise
anziehen. Es gelte das «Zwiebelprinzip», sagte Lin-Klitzing der
Deutschen Presse-Agentur.

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger,
sagte, begeistert sei niemand davon, aber es werde wohl kein Weg
daran vorbeiführen, wenn man alle 20 Minuten bei Minusgraden lüften
müsse.

Niedersachsens Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) hatte sich
vor ein paar Tagen in einem Brief an die Schüler seines Bundeslandes
gewandt und sich für die Einhaltung der Corona-Regeln bedankt. Zum
Thema Lüften schrieb Tonne: «Seid also bitte darauf vorbereitet, dass
es zwischendurch etwas kühler wird und zieht euch warm genug an bzw.
habt eine Jacke oder einen Pullover zum Überziehen dabei.»

ALLE 20 MINUTEN 3 BIS 5 MINUTEN FENSTER AUF

Räume regelmäßig zu lüften, ist eine empfohlene Maßnahme im Kampf

gegen die Ausbreitung von Sars-CoV-2. Es wird davon ausgegangen, dass
man sich über kleinste Schwebeteilchen, sogenannte Aerosole, die sich
über die Atemluft im Raum verteilen, anstecken kann. Die
Kultusministerkonferenz der Länder (KMK) hatte im September zu dem
Thema Wissenschaftler aus Virologie, Hygiene und Strömungsmechanik
angehört. Diese hatten sich dafür ausgesprochen, Klassenzimmer im
20-Minuten-Takt für 3 bis 5 Minuten stoßzulüften und während der
Pausen zusätzlich die Türen für Durchzug zu öffnen. Der Einsatz
mobiler Luftreinigungsgeräte in Schulräumen wurde grundsätzlich nicht

für nötig befunden, sofern sich in den Räumen die Fenster richtig
öffnen lassen.

Im Umweltbundesamt wird eine Handreichung zum Lüften für alle Schulen
im Bundesgebiet erarbeitet. Diese soll am Donnerstag pünktlich zur
nächsten Konferenz der Kultusminister vorgelegt werden. Die
Handreichung werde auf vier Seiten den Stand der Empfehlungen zum
Thema und zum möglichen Einsatz von Luftreinigungsgeräten
zusammenfassen, sagte ein Sprecher am Montag.

DAS PROBLEM MIT DEN FENSTERN 

Lehrervertreter hatten in der Vergangenheit immer wieder bemängelt,
dass die Sache mit dem Lüften ja gut und schön sei, aber dass sich
viele Fenster in den Schulen gar nicht öffnen oder höchstens ankippen
ließen. Manche sind aus Sicherheitsgründen zugenagelt oder
zugeschraubt. Eine Abfrage des Schulministeriums im
bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen hatte ergeben,
dass jede zehnte Schule wegen «baulicher Mängel» Probleme bei der
notwendigen Belüftung einiger Unterrichtsräume hat.

CO2-MESSGERÄTE MIT LÜFTUNGSANZEIGE

Der Lehrerverband fordert schon länger den Einsatz von
Luftfilteranlagen und CO2-Messgeräten in Schulen, die anzeigen, wenn
zu viel ausgeatmetes Kohlendioxid - und damit auch Aerosole - in der
Luft sind und dringend gelüftet werden muss. Bayern gehe hier voran,
sagte Meidinger. Das Kultusministerium in München hatte angekündigt,
37 Millionen Euro für solche Kohlendioxid-Ampeln und für Luftfilter,
dort wo Lüften über die Fenster nicht geht, bereitzustellen.

ERKÄLTUNGSGEFAHR DURCH LÜFTEN?

Klar ist, wenn alle 20 Minuten die Fenster für fünf Minuten weit
aufgerissen werden, dürften bei manchem Schüler und Lehrer die Zähne

klappern, und es gibt Befürchtungen, dass das sogar die Gefahr für
Infekte erhöht. Die Sorge hält HNO-Arzt Bernhard Junge-Hülsing vom
Deutschen Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte für unberechtigt.
Es gebe keine Hinweise darauf. Im Gegenteil sei es wahrscheinlicher,
sich in einem schlecht gelüfteten Raum bei anderen anzustecken.

CORONA-SCHULJAHR BISHER 

Insgesamt lief der Schulbetrieb bisher verhältnismäßig normal.
Rückmeldungen aus den Bundesländern zum Monatsanfang hatten gezeigt,
dass mehrere Zehntausend der insgesamt rund 11 Millionen Schüler in
Deutschland wegen Corona-Fällen oder Verdachtsfällen vorübergehend
nicht am Präsenzunterricht teilnehmen konnten. Komplette
Schulschließungen gab es nur vereinzelt. Nach den Erfahrungen im
Frühjahr haben die Kultusminister der Länder und auch Kanzlerin
Angela Merkel (CDU) es zur obersten Priorität erklärt, Schulen und
Kitas jetzt offenzuhalten. Allerdings hatte Berlins Regierender
Bürgermeister Michael Müller (SPD) vor ein paar Tagen auch schon
wieder die Möglichkeit eines Schichtbetriebs ins Spiel gebracht.

Meidinger sagte: «Wir sollten alles dafür tun, dass der
Präsenzunterricht in vollen Klassen weiter möglich ist.» Die
Kultusminister seien in der Pflicht, die entsprechenden Bedingungen
dafür zu schaffen.