Fall Ischgl: Expertenkommission sieht Fehler und Fehleinschätzungen Von Matthias Röder, dpa

Etwas Licht und viel Schatten: Das ist die Bilanz der
Expertenkommission zum Fall Ischgl. Wichtig aber auch: Ein alter
Verdacht scheint ausgeräumt.

Innsbruck (dpa) - Beim umstrittenen Corona-Management im
österreichischen Ischgl sind nach Darstellung einer
Expertenkommission Fehler und Fehleinschätzungen passiert. Es sei
aber kein generelles Versagen der Behörden und der Politik zu
konstatieren, sagte der Kommissionsvorsitzende Ronald Rohrer am
Montag in Innsbruck.

So sei der Betrieb der Skibusse und der Seilbahnen mindestens einen
Tag später als erforderlich eingestellt worden. Auf lokaler Ebene sei
es dabei zu einer «Pflichtverletzung» gekommen, weil die Verordnung
der Bezirksbehörde nicht unverzüglich an der Amtstafel des Orts
veröffentlicht worden sei.

Auch die Verkündung der Quarantäne über das Paznauntal durch
Bundeskanzler Sebastian Kurz am 13. März hätte aus Sicht der
Expertenkommission besser vorbereitet werden müssen. Es habe
panikartige Reaktionen bei den vielen ausländischen Gästen gegeben,
die in Windeseile versucht hätten, die Region zu verlassen. Es habe
an der sofortigen Information an die Touristen gefehlt, dass sie über
das Wochenende «gestaffelt und kontrolliert» abreisen sollten. Die
Urlauber hätten wegen der drohenden Quarantäne und der
Polizeikontrollen ihre Hotelzimmer teils unter Zurücklassen von
Gepäck verlassen.

Außerdem habe es keinen Evakuierungsplan gegeben, kritisierte Rohrer.
Es hätte schon viel früher ein Konzept entwickelt werden müssen, «w
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man diese engen Täler leer bekommt», sagte Rohrer. Für einen oft
kolportierten Einfluss der Tourismus- und Seilbahnwirtschaft auf die
Entscheidungen der Behörden gebe es aber keine Anhaltspunkte. Alle
Befragten hätten dies entschieden zurückgewiesen. Als positiv und
angemessen wertete die Kommission die anfängliche Reaktion der
Behörden nach Bekanntwerden der ersten Fälle mit Bezug zu Ischgl um
den 3. März.

Die Kommission hatte für den Bericht insgesamt 53 Menschen befragt,
darunter Betroffene, Vertreter der Seilbahn- und der
Tourismuswirtschaft sowie Verantwortliche auf Bezirks-, Landes- und
Bundesebene. Der 1600-Einwohner-Ort in Tirol gilt nicht zuletzt wegen
der dortigen Feiern beim Après-Ski als einer der Hotspots bei der
Verbreitung des Coronavirus in Teilen Europas. Auch viele deutsche
Gäste steckten sich hier an.

Die sechsköpfige Expertenkommission mit Vertretern aus Deutschland,
der Schweiz und Österreich war im Mai vom Tiroler Landtag eingesetzt
worden. Ihr Auftrag war es, «umfassend, transparent, unabhängig» zu
ermitteln. Die Kommission hatte nicht den Auftrag, strafrechtliche
Ermittlungen vorzunehmen oder über Schadenersatzansprüche von
Geschädigten zu entscheiden. Ihr Bericht umfasst fast 300 Seiten. Es
handle sich um einen «unendlich komplexen Sachverhalt», sagte Rohrer
über die Recherchen.

In ihrer detaillierten Untersuchung warf die Kommission auch einen
Blick auf das Anfangsszenario. Rohrer erinnerte daran, dass die
Weltgesundheitsorganisation (WHO) am 11. März das globale
Krankheitsgeschehen als Pandemie eingestuft habe. Bereits am 3. März
habe es durch Mails aus Island an ein Hotel in Ischgl Hinweise
gegeben, dass Erkrankte zuvor in Ischgl gewesen waren. Nach weiteren
Hinweisen sei ein Kellner, der bisher oft als Barkeeper bezeichnet
worden sei, in der Après-Ski-Bar «Kitzloch» positiv getestet worden.

Die baldige Schließung des Lokals und die Testung der Belegschaft
seien angemessen gewesen. Es sei «vorerst prompt und richtig
reagiert» worden. Die Bar sei «ein Spreading-Lokal, wo es zugeht, wie
im ewigen Leben» gewesen, sagte Rohrer.

Rohrer erklärte, die Virus-Variante in Ischgl passe zu einem
Coronavirus, das zuvor in einem französischen Skigebiet aufgetaucht
sei. An einer Tagung dort hätten Ende Januar 109 Personen
teilgenommen. Wie das Virus von dort nach Ischgl gekommen sei, sei
unklar.

Bei einem Verbraucherschutzverein, der die Interessen der
Geschädigten vertreten will, haben sich inzwischen mehr als 6000
Tirol-Urlauber aus 45 Staaten gemeldet. Tausende Corona-Infektionen
in Europa sollen auf Menschen, die in Tirol Urlaub gemacht haben,
zurückzuführen sein. Die Staatsanwaltschaft Innsbruck ermittelt zudem
gegen vier Verdächtige wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger
Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten.

Der Verbraucherschutzverein bekräftigte angesichts der Ergebnisse des
Berichts seine Forderung nach einem Runden Tisch, den Kanzler Kurz
einberufen solle. Es gelte, dort Verantwortung einzugestehen, sich
bei den Reisenden zu entschuldigen und Schadenersatz anzubieten. «Das
wäre im Interesse der Geschädigten, wohl aber auch im Interesse des
Tiroler Fremdenverkehrs, wo Ischgl weltweit zum Synonym für
Corona-Hotspots geworden ist», sagte Peter Kolba vom Verein.