«Nicht etwa friedlich eingeschlafen» - Lebenslang für Hilfspfleger Von Britta Schultejans, dpa

Der Fall erinnert an den Patientenmörder Niels Högel: Ein
Hilfspfleger soll die Menschen umgebracht haben, denen er eigentlich
helfen sollte. Jetzt hat das Landgericht München I das Urteil in dem
Fall gesprochen.

München (dpa) - Grzegorz W. verzieht keine Miene, als das Gericht das
Urteil verkündet: Lebenslange Haft wegen dreifachen Mordes, besondere
Schwere der Schuld, Sicherungsverwahrung. Höchststrafe. Der kleine,
schwere Mann nimmt all das völlig regungslos hin - so unbeteiligt,
wie er den ganzen Prozess über schien. So, als gehe ihn das alles gar
nichts an. Dabei stellt das Gericht fest, dass er das ist, als was
die Staatsanwaltschaft ihn bezeichnet hat: ein Serienmörder, der
möglicherweise noch mehr Menschen auf dem Gewissen hat als die drei,
für deren Morde er nun verurteilt wurde.

«Jeder weiß aus eigener leidvoller Erfahrung, wie schmerzlich es ist,
einen Angehörigen zu verlieren», sagt die Vorsitzende Richterin
Elisabeth Ehrl. In den Mordfällen hätten die Trauernden darüber
hinaus noch feststellen müssen, dass ihre Angehörigen «nicht etwa
friedlich eingeschlafen» seien, sondern getötet wurden. Die Taten
hätten «zu erheblichen Einschnitten im Leben der Angehörigen»
geführt, die sich jetzt viele Fragen stellten: «Wie konnte so etwas
passieren? Hätte ich etwas verhindern können?»

Ursprünglich hatte die Staatsanwaltschaft sechs Mordfälle angeklagt.
Nicht in allen Fällen sei der Tatvorwurf zweifelsfrei nachgewiesen
worden, sagte die Staatsanwältin in ihrem Schlussplädoyer. Das
bedeute aber nicht, dass der Angeklagte nicht auch für diese
Todesfälle verantwortlich sein könnte. Das Gericht verurteilt den
Angeklagten am Dienstag neben den drei Morden auch wegen versuchten
Mordes, Raub mit Todesfolge und gefährlicher Körperverletzung.

Nach einem 120-stündigen Pflegekurs war der gelernte Schlosser und
Mechaniker von Mai 2015 an laut Anklage in mehreren Haushalten in
Deutschland als Hilfspfleger tätig - zuständig für die
24-Stunden-Betreuung alter Menschen. Das Gericht sieht es als
erwiesen an, dass er seinen pflegebedürftigen Patienten an
verschiedenen Tatorten Insulin gespritzt hat, das in Überdosis
verabreicht tödlich sein kann. Er soll über das Medikament verfügt
haben, weil er - im Gegensatz zu seinen Opfern - Diabetiker ist.
«Bestialische Morde» nannte der 38 Jahre alte Pole selbst seine
Taten.

Die Staatsanwaltschaft nennt als Motiv im Wesentlichen
Bequemlichkeit. Der Angeklagte habe beispielsweise keine Lust gehabt,
sich nachts um seine Patienten zu kümmern - oder er habe in Ruhe
stehlen wollen. Einmal, so steht es in der Anklage, soll er nach dem
Tod eines seiner mutmaßlichen Opfer gefragt haben, ob er dessen Handy
und Wertsachen haben könnte - «da der Geschädigte diese ja nun nicht

mehr benötigen würde». Demnach stahl er Wertsachen, Geld, Wein,
Waschmittel, Toilettenpapier, Klobürsten.

Die «Vielzahl der Verhandlungsvorwürfe» und der «Gesamteindruck»
vom
Angeklagten hätten das Gericht dazu bewogen, die Sicherungsverwahrung
zu verhängen, sagt Ehrl. «Todesengel» oder «Teufel in
Menschengestalt» hatten Nebenkläger den Hilfspfleger genannt. Die
Verteidigung hatte dem wenig entgegen zu setzen, forderte in ihrem
Schlussplädoyer lediglich ein «sachgerechtes Urteil».

Mit der Feststellung der besonderen Schwere der Schuld ist eine
vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren in der Praxis so gut wie
ausgeschlossen. Danach greift die Sicherungsverwahrung.

Der Fall erinnert auch an den spektakulären Fall des Patientenmörders
Niels Högel, der 2019 vom Landgericht Oldenburg wegen Mordes in 85
Fällen zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. Anders als bei
Högel, der Pfleger in einem Krankenhaus war, wirft der Fall des
polnischen Hilfspflegers auch ein Schlaglicht auf eine ganze Branche
in einer Grauzone. Nach Angaben der Deutschen Stiftung
Patientenschutz «wird die Not in der Pflege durch über 300 000 oft
weibliche Hilfskräfte aus Ost- und Südosteuropa gelindert. Fast rund
um die Uhr und an sieben Tagen die Woche wird hier geschuftet, damit
das Pflegesystem in Deutschland nicht kollabiert. Landläufig wird das
als grauer Pflegemarkt bezeichnet».

Stiftungsvorstand Eugen Brysch fordert
Schwerpunktstaatsanwaltschaften, die sich um Kriminalität in der
Pflege kümmern. «Quer durch Deutschland ist es symptomatisch, dass
bei Delikten in der Pflege und Medizin der Aufklärungsdruck oft
fehlt», sagt er. «Das muss sich ändern. Es braucht
Schwerpunktstaatsanwaltschaften, zentrale Ermittlungsgruppen und ein
vernetztes Vorgehen aller Bundesländer für solche Delikte.»

Brysch betont: «Zum allergrößten Teil verlaufen diese Einsätze
unauffällig.» Aber eben nicht immer. «Die Politik interessiert sich
nicht dafür. Fakten und Zahlen fehlen. Auch die Behörden vor Ort
schauen weg, weil es keine Alternativen gibt. Das macht es
Einzeltätern zu leicht. Selbst bei erdrückenden Hinweisen tun sich
die Justizbehörden schwer.» Brysch spricht sich deshalb auch dafür
aus, «verbindliche amtsärztliche Leichenschauen bei allen
Pflegebedürftigen gesetzlich anzuordnen».

Die Vorsitzende Richterin Ehrl betont in ihrer Urteilsbegründung
zwar, «dass man hier nicht pauschal den Stab über alle
24-Stunden-Betreuungskräfte brechen darf» - sagt aber auch, das Ganze
sei «ein sozial- und gesellschaftliches Problem, das wir hier vor
Gericht nicht lösen können». Aber: «Wir wollten den Opfern ein
Gesicht geben.»