Papst fordert in Sozial-Enzyklika mehr Solidarität in der Politik

Großer Rahmen für ein Rundschreiben: Papst Franziskus hat in der
Corona-Phase eine neue Sozial-Enzyklika verfasst. Er kritisiert die
aktuelle Politik scharf - und bekommt Lob aus der Kirche.

Rom (dpa) - Papst Franziskus hat in einer neuen Enzyklika seine
Vision von einer besseren Politik und einer solidarischen
Gesellschaft nach der Corona-Pandemie vorgelegt. Das
Grundsatzdokument, das der Vatikan am Sonntag veröffentlichte, trägt
den Namen «Fratelli tutti - Über die Geschwisterlichkeit und die
soziale Freundschaft». Der Papst wendet sich darin gegen «wütende und

aggressive Nationalismen».

Aus der katholischen Kirche in Deutschland bekam Franziskus
Zustimmung. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg
Bätzing, würdigte das Schreiben als «eindringlichen Appell» für
weltweite Solidarität. Kardinal Reinhard Marx teilte am Sonntag mit:
«Ich bin sehr dankbar, dass der Papst seine Stimme so deutlich
erhebt, um den Beitrag der Kirche, ja aller Religionen, zur Lösung
der aktuellen Krisen, die unsere Welt erschüttern, einzufordern und
einzubringen.» Die innerkirchliche Reformbewegung «Wir sind Kirche»
wies darauf hin, dass auch in den eigenen Reihen «ein grundlegendes
Umsteuern notwendig» sei, etwa mit Blick auf die Stärkung der
Position der Frauen.

Es ist die dritte Enzyklika des 83-jährigen katholischen
Kirchenoberhaupts. Seine viel beachtete «Umwelt-Enzyklika» ist fünf
Jahre alt. Franziskus hatte die rund 150-seitige Sozial-Enzyklika am
Samstag in der Pilgerstadt Assisi in Umbrien nach einer Messe
unterzeichnet.

«Jahrzehntelang schien es, dass die Welt aus so vielen Kriegen und
Katastrophen gelernt hätte und sich langsam auf verschiedene Formen
der Integration hinbewegen würde», schrieb der Papst. Doch nun sieht
er Hinweise auf Rückschritte: «Unzeitgemäße Konflikte brechen aus,

die man überwunden glaubte. Verbohrte, übertriebene, wütende und
aggressive Nationalismen leben wieder auf.»

Als Ziel des Rundbriefs benannte der Argentinier, er wolle «bei allen
ein weltweites Streben nach Geschwisterlichkeit zum Leben erwecken».
Er forderte mehr Gerechtigkeit und Ethik in der Politik und unter den
Menschen. Ausdrücklich nannte er Migranten und Ältere als Gruppen,
die nicht benachteiligt werden dürften. Zwischen den Religionen müsse
mehr Dialog herrschen.

Der Papst verweist in der Enzyklika mehrfach auf ein Dokument von
2019 («Die Brüderlichkeit aller Menschen - Für ein friedliches
Zusammenleben in der Welt»), das er neu beleben wolle. Franziskus
hatte es im Februar 2019 zusammen mit dem Großimam von Kairo, Ahmed
al-Tajib, in Abu Dhabi unterzeichnet. Dieser ist ein hoher
islamischer Würdenträger.

Der Papst sieht die Corona-Pandemie als globale Tragödie. Sie habe
jedoch das Bewusstsein geweckt, dass die Welt in einem Boot sitze. Er
habe mit der Arbeit an seiner Enzyklika zwar vorher begonnen, doch
die Pandemie mache manches deutlicher.

In dem Papier räumt Franziskus ein, dass seine Kirche die Sklaverei
zu spät verurteilt habe. Ihn betrübe, dass die Kirche «so lange
gebraucht hat, bis sie mit Nachdruck die Sklaverei und verschiedene
Formen der Gewalt verurteilte.»

Das Rundschreiben «Fratelli tutti» gilt als zentrale Botschaft an die
1,3 Milliarden Katholiken weltweit und an die Kirchenoberen. Der
Vatikan hatte zuletzt wiederholt Probleme mit Finanzskandalen und
erntete Kritik wegen der langsamen Aufarbeitung von Missbrauchsfällen
in der Kirche.

Franziskus hat seit seinem Start als Papst 2013 schon zwei andere
Enzykliken verfasst: im Antrittsjahr («Lumen fidei - Licht des
Glaubens») und 2015 die «Umwelt-Enzyklika» zum Klimaschutz («Laudat
o
si - Über die Sorge für das gemeinsame Haus»).

Der 83-Jährige fuhr für die Unterschrift der Enzyklika am Samstag aus
dem Vatikan in die Geburts- und Sterbestadt seines Namensgebers, des
heiligen Franz von Assisi. Mit der Geste unterstrich er den
Stellenwert der Enzyklika. Es war die erste Reise des Argentiniers
seit dem Beginn der Corona-Pandemie. Der Kirchenstaat hatte im März
aus Vorsicht die Reisetätigkeit des Papstes gestoppt.

Der Vatikan hatte schon vor einiger Zeit angekündigt, dass die
Schrift «Fratelli tutti» im Oktober erscheinen solle. Damals war der
Titel provisorisch als eine Ansprache an «Alle Brüder» ins Deutsche
übertragen worden. Das hatte schnell für Unmut vor allem bei Frauen
in der Kirche gesorgt. Sie fühlten sich nicht einbezogen. Nun ist in
der deutschen Fassung oft von «Geschwisterlichkeit» die Rede, nicht
so sehr von «Brüderlichkeit». Und der Haupttitel blieb Italienisch.