Lindner bekräftigt Willen der FDP zur Regierungsverantwortung

Ein Jahr vor der Bundestagswahl muss sich die FDP neu aufstellen. Die
Umfragewerte sind nicht berauschend. Um bei einer Regierungsbildung
Zünglein an der Waage zu sein, ist es aber noch ein weiter Weg.

Berlin (dpa) - FDP-Chef Christian Lindner hat den Willen der
Liberalen bekräftigt, nach der Bundestagswahl 2021
Regierungsverantwortung im Bund zu übernehmen. Er wolle, dass
nächstes Jahr die Freien Demokraten wieder zu einer Regierungsbildung
im Bund benötigt werden, sagte Lindner am Samstag in Berlin in seiner
Rede auf einem Bundesparteitag unter dem Motto «Mission Aufbruch».

Für freiheitlich denkende Menschen könnten Rot-Rot-Grün oder
Schwarz-Grün oder Grün-Rot-Rot keine besonders positiven Perspektiven
sein. «Wir spielen, wenn es nach mir geht, auf Sieg.» Der FDP-Chef
schloss eine Koalition mit der Linkspartei aus. Und mit der AfD könne
es keine Zusammenarbeit geben.

Bund, Länder und Gemeinden rief Lindner auf, intelligente Maßnahmen
gegen die Corona-Krise zu entwickeln, um einen zweiten Lockdown im
Herbst zu verhindern. Dazu gehörten etwa die weitere Digitalisierung
im Gesundheitswesen sowie eine Beschleunigung der Forschung für einen
Impfstoff, sagte er. «Es darf am Ende nicht das Virus über die
Freiheit triumphieren.»

«Endlich wieder ein Bundesparteitag», rief Lindner den Delegierten
zu. Er begründete diesen ersten Präsenzkongress einer Bundespartei
seit Beginn der Corona-Krise damit, dass das persönliche Gespräch,
die persönliche Begegnung unverzichtbar sei und durch ein digitales
Treffen nicht ersetzt werden könne. Mit Umsicht sei ein solcher
Parteitag auch machbar.

Wegen der Corona-Pandemie wurden beim Parteitag besondere
Sicherheitsvorkehrungen ergriffen, die zu Abweichungen vom Ablauf
bisheriger Parteitage führen. So wurden den Angaben zufolge keine
Gäste eingeladen. Es kommen nur Delegierte, Medienvertreter und
Mitarbeiter unter strengen Regeln. Von den 662 eingeladenen
Delegierten kamen rund 560. Die abwesenden können aber ihr Stimmrecht
an anwesende Delegierte übertragen.

Die Pandemie sei noch nicht vorbei, aber Corona scheine inzwischen
beherrschbar, sagte Lindner. Die Krise habe gezeigt, dass die FDP
Recht gehabt habe, wenn sie schon vor der Pandemie mehr
Digitalisierung eingefordert habe. Dies habe sich besonders an den
Schulen gezeigt. Schüler und Eltern seien mit dem Unterricht zu Hause
zum Teil überfordert gewesen. Jetzt zeige sich, dass Deutschland eine
Digitalisierungs- und Betreuungsgarantie für die Familie brauche.

Lindner kritisierte in diesem Zusammenhang den bis Ende des Jahres
geltenden Mehrwertsteuernachlass. Mit den dadurch dem Staat
entgehenden 20 Milliarden Euro hätte man etwa die 35 000 Schulen in
Deutschland mit W-Lan oder die Lehrer mit Laptop ausstatten können.
Und es wäre immer noch Geld übrig geblieben, um an allen 35 000
Schulen die Toiletten zu sanieren. Für die FDP habe ein Bildungspakt
von Bund, Ländern und Gemeinden Toppriorität.

Mit Blick auf die große Koalition sagte Lindner: «Wir wollen im
nächsten Jahr dafür sorgen, dass eine andere Wirtschafts- und
Finanzpolitik gemacht wird.» Er kritisierte dabei insbesondere
Finanzminister Olaf Scholz (SPD). Die Bundestagswahl werde eine
Richtungswahl: Schulden oder Solidität, Freiheit oder Fesselung des
Landes, soziale Marktwirtschaft oder Planwirtschaft.

Für fällig gewordene Nachwahlen zur Parteispitze wurde in den
ordentlichen Parteitag ein außerordentlicher integriert. Der
rheinland-pfälzische Wirtschaftsminister Volker Wissing soll nach dem
Wunsch von Parteichef Christian Lindner neuer Generalsekretär werden
und die bisherige Amtsinhaberin Linda Teuteberg vorzeitig ablösen.
Lindner will seine Partei rund ein Jahr vor der Bundestagswahl 2021
personell und thematisch neu aufstellen.

Der frühere SPD-Politiker Harald Christ, der erst im März zur FDP
kam, soll neuer Schatzmeister werden. Er folgt Hermann Otto Solms
(79) nach. Zudem sind zwei weitere Nachwahlen im Präsidium nötig
geworden.

Im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur sagte Lindner zu
möglichen Koalitionen: «Wir sind gesprächsbereit, wenn die Inhalte
stimmen.» Die FDP regiert zurzeit in einer Ampelkoalition in
Rheinland-Pfalz mit SPD und Grünen, zusammen mit der CDU in NRW und
in einer Jamaika-Koalition mit CDU und Grünen in Schleswig-Holstein.

Die größten Überschneidungen gebe es nach wie vor mit einer CDU, die

von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet geführt werde. «Dagegen wirkt

eine Ampel im Bund aus heutiger Sicht nicht besonders attraktiv.»
SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz werbe «mit höheren Steuern, mehr
Schulden und neuen bürokratischen Fesseln», so Lindner. «Das Programm

von Herrn Scholz klingt leider manchmal mehr nach Lafontaine als nach
Schmidt.»

Der FDP-Partei- und -Fraktionschef kritisierte die im neuen Haushalt
geplanten rund 96 Milliarden Euro neue Schulden. Irgendwann müsse
jemand diese Schulden zahlen. Solide Staatsfinanzen verzichteten
indessen auf immer neue Verschuldung.

Angesichts der demografischen Entwicklung, fehlender Fachkräfte und
eines verschärften internationalen Wettbewerbs sei der Wohlstand kaum
zu halten. Es bedürfe deshalb eines neuen Wirtschaftswunders in
diesem Land, es bedürfe einer Wirtschaftswunderpolitik, einen Willen
zur Veränderung. Zudem sei unverändert eine Steuerform nötig. «Seit

15 Jahren warten wir auf eine Steuerentlastung.» Deutschland sei in
der Weltspitze bei der Steuerbelastung.